UN-Einsatz in Mali : "Die Terrorgruppen haben jetzt mehr Einfluss als 2013"
Die Kritik an der UN-Mission Minusma in Mali wird immer lauter. Hauptvorwurf: Die Blauhelme würden gegen Terroristen und Kriminelle nicht aktiv vorgehen.
Im Kulturpalast von Bamako übertönt der Lärm der Vuvuzelas, der aus Südafrika stammenden Blasinstrumente, am letzten Freitag im April fast die Stimme der Redner. Die UN-kritische Bewegung "Yerewolo Debout sur les Remparts" ("Männer mit Würde auf den Stadtmauern") hat in der malischen Hauptstadt zu einer Kundgebung eingeladen, um ihrer Forderung Nachdruck zu verleihen: Die UN-Stabilisierungsmission Minusma soll Mali verlassen, so schnell wie möglich. Zwischen russischen Flaggen und Bannern mit der Aufschrift "Nieder mit der Minusma" brennt ein Blauhelm.
Deutschland beteiligt sich noch mit bis zu 1.400 Soldaten
Die Versammelten möchten erreichen, dass das gültige Minusma-Mandat nicht verlängert wird, wenn es Ende Juni ausläuft. Minusma ist mit rund 15.000 Militärs und zivilen Kräften im Land. Deutschland beteiligt sich bisher noch mit bis zu 1.400 Soldatinnen und Soldaten, vergangenen Freitag verlängerte der Bundestag das Mandat zum letzten Mal.
Mali, eines der ärmsten Länder der Welt, befindet sich seit 2012 in einer schweren politischen Krise, die Sicherheitslage ist extrem instabil. Islamistische Gruppen mit Verbindungen zum Al-Qaida Netzwerk und zum "Islamischen Staat" sowie kriminelle Banden kämpfen gegen den Staat und terrorisieren die Bevölkerung. In den vergangenen Jahren wurden die Bewohner ganzer Dörfer getötet, Hunderte wurden bereits Opfer der Gewalt, mehr als 410.000 Menschen sind innerhalb des Landes auf der Flucht.
Auftrag von Minusma ist es, die Zivilbevölkerung und die Menschenrechte zu schützen; einen Kampfauftrag hat die Mission nicht. Auch soll sie die Regierung dabei unterstützen, die staatliche Autorität im ganzen Land wieder herzustellen und einen Friedensvertrag, der 2015 mit etlichen der bewaffneten Gruppen geschlossen wurde, umzusetzen. Ende 2022 haben einige der Rebellengruppen den Vertrag allerdings aufgekündigt.
Unterstützer des Terrorismus?
"Minusma unterstützt den Terrorismus", behauptet Siriki Kouyaté, Sprecher der Bewegung "Yerewolo". Als Beleg führt der Jurist unter anderem an, dass sich die Sicherheitslage trotz der UN-Präsenz kontinuierlich weiter verschlechtert habe. In diesem Punkt hat der UN-Kritiker Recht. Als die UN-Mission der damaligen, bedrängten Regierung 2013 zur Hilfe kam, hatten islamistische und andere bewaffnete Gruppen "nur" den Norden Malis unter Kontrolle. Seit 2015 wurde die Landesmitte Malis mehr und mehr zum Epizentrum des Terrors. Mittlerweile bauen die Terrorgruppen ihre Präsenz auch im Westen, Süden und Osten aus.
Die militärische Übergangsregierung in Mali, die durch zwei Putsche 2020 und 2021 an die Macht kam, hat sich mit der ehemaligen Kolonialmacht Frankreich überworfen. Stattdessen ging sie mit Russland eine "Sicherheitspartnerschaft" ein. Bei den russischen Bewaffneten handelt es sich um Söldner der berüchtigten Wagner-Truppe, was die Übergangsregierung weiterhin bestreitet. Zudem hat sie die UN-Mission immer wieder behindert, darunter auch die daran beteiligten deutschen Truppen. Hauptaufgabe der Bundeswehr ist die Aufklärung für gesamte UN-Mission. Das Kontingent bekam aber zuletzt keine Genehmigungen mehr zum Start von Aufklärungsdrohnen.
Dass die Blauhelme gegen Terrorgruppen und Kriminelle nicht aktiv eingreifen, gehört zu dem häufigsten Vorwurf gegen die Mission - obwohl beides durch das Mandat nicht gedeckt wäre, es sei denn zum unmittelbaren Schutz der Bevölkerung. Trotzdem denken viele so ähnlich wie Bajan Ag Hamadou, Abgeordneter der Krisenregion Ménaka im Grenzgebiet zu Niger. "Die Terrorgruppen haben jetzt mehr Einfluss als 2013, die Zahl ethnischer Konflikte hat zugenommen, die Menschen trauen sich nicht mehr, von einer Region in die andere zu fahren, weil die Überlandstraßen unsicher sind", schildert Bajan. Die Folgen seien weitreichend: "Die Menschen arbeiten nicht mehr, trauen sich nicht auf ihre Felder, die Wirtschaft ist zum Erliegen gekommen." Sein Fazit: "Da kann man sich schon fragen, ob die Minusma irgendwas bringt."
Dagegen verteidigt Mafouz Ag Sarakatou, Leiter der Landwirtschaftskammer von Ménaka, die UN-Mission. Er ist nur für ein paar Tage in Bamako, um für Unterstützung für seine Region zu werben. Und um sich etwas von der ständigen Anspannung in Ménaka zu erholen. "Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie furchtbar die Situation dort ist", klagt er. Das Grenzgebiet zu Niger im Osten des Landes ist weitgehend unter der Kontrolle des so genannten "Islamischen Staats". Dort hat sich die Situation weiter verschärft, seit die letzten französischen Militärs im August 2022 aus Mali abgezogen sind. Im Rahmen mehrerer Operationen hatte Frankreich seit 2014 mit bis zu 4.500 Streitkräften aktiv gegen Terrorgruppen gekämpft, in einer Militäroperation unabhängig von Minusma.
"Mission müsste wirksamer werden"
Die Kämpfer des "Islamischen Staates" hätten den Menschen ihr Vieh und allen übrigen Besitz gestohlen, sie zerstörten Leben und Besitz, "ohne auch nur zu erklären, was sie von uns wollen", schildert Mafouz die gegenwärtige Lage. Die meisten Menschen sind aus den Dörfern in andere Regionen Malis oder über die Landesgrenzen geflohen. Wer zu bleiben wagt, sucht wenigstens Zuflucht in der Stadt Ménaka. "Minusma schafft Arbeit, baut Brunnen, ermutigt die Menschen zum Frieden und zum Zusammenleben", lobt Mafouz. Bajan, der ihm zuhört, winkt ab: Das sei alles lobenswert, aber nicht das, wofür die Minusma im Land sei: die Stabilisierung von Mali. Bei einem Budget von immerhin rund einer Milliarde Euro im Jahr könne man mehr Erfolge erwarten, meint der malische Abgeordnete. Dennoch würde er sich den Demonstrationen gegen die Minusma niemals anschließen: "Ich fordere nicht den Abzug, aber die Mission müsste wirksamer werden." Dafür bräuchte sie allerdings mehr Truppen und ein anderes Mandat, was angesichts der gegenwärtigen Spannungen zwischen den Vereinten Nationen und der militärischen Übergangsregierung nicht realistisch erscheint.
UN-Kritiker wie Siriki Kouyaté vertreten keine Außenseitermeinung. Nach der jüngsten Meinungsumfrage der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) in Mali, dem "Mali Mètre", die Anfang Mai veröffentlicht wurde, steht die Bevölkerung mit großer Mehrheit hinter der militärischen Übergangsregierung und Minusma sehr kritisch gegenüber. Christian Klatt, Leiter des FES-Büros in Bamako, schränkt allerdings ein: "Je stärker die Minusma-Präsenz in einer Region, desto positiver ist die Meinung der Bevölkerung zu ihr." Das gilt vor allem für die drei Städte im Norden, die Bundeswehr hat ihr "Camp Castor" in Gao. Dort, aber auch in Timbuktu und Kidal, gab es in den vergangenen Wochen parallel zu den Protesten in Bamako auch Kundgebungen für Minusma. Die Befürworter der Mission betonen allerdings vor allem, dass sie zumindest in diesen Städten Arbeitsplätze schafft.
Sicherheitslage verschlechtert sich weiter
Bamako sei mittlerweile eine "Sicherheits-Insel", beschreibt Ulf Laessing, Leiter des Sahel-Büros der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung in Bamako. Dass sich die Sicherheitslage trotz tausender internationaler Soldatinnen und Soldaten weiter verschlechtert hat, erklärt er so: "Der Staat ist nicht in die Gebiete zurückgekehrt, die die Franzosen zurückerobert haben." In den befreiten ländlichen Gebieten gebe es weiterhin keine funktionierten Schulen oder Gesundheitszentren, die Menschen blieben weitgehend sich selbst überlassen. "Minusma kann dort so ein bisschen Stabilität und Präsenz schaffen. Aber was ist, wenn da keine staatlichen Dienstleistungen sind und auch keine wirtschaftlichen Perspektiven für diese junge Bevölkerung?", fragt Laessing mehr rhetorisch. Seine Antwort: "Dann haben die Dschihadisten leichtes Spiel." In der Fläche, in den Dörfern und in den Weiten, die die Nomaden mit ihren Herden durchstreifen, ist von den Blauhelmsoldaten ohnehin nichts zu spüren.
Boubacar Ba, der in Bamako das "Zentrum für die Analyse von Regierungsführung und Sicherheitsfragen" leitet, bedauert den anstehenden Abzug der Deutschen. "Ich denke, dass der Verlust der deutschen oder anderer Minusma- Truppen ein Vakuum schaffen wird, denn sie sind nicht nur für den Krieg hier, sondern unterstützen auch die lokalen Gemeinschaften", meint Ba. Er sei davon überzeugt, dass die malische Armee weder heute noch in der näheren Zukunft die Kapazität haben werde, das Staatsgebiet zu kontrollieren. Das sei schon angesichts der Größe des Landes - Mali ist etwa dreieinhalb Mal so groß wie Deutschland - nicht möglich.