Engagement in der Sahelregion : Grenzen der Ertüchtigung
Nach Frankreich und anderen Partnern zieht sich die Bundeswehr nach einem Jahrzehnt aus Mali zurück.
"Strukturiert und geplant" soll der Rückzug ausfallen, das wird die Bundesregierung nicht müde zu betonen, "schrittweise und geordnet", lauten die Worte des Verteidigungsministers Boris Pistorius (SPD). Ein Jahrzehnt nach dem Beginn des Mali-Einsatzes der Bundeswehr soll dessen Ende im kommenden Jahr möglichst berechenbar und ohne Zwischenfälle erfolgen. Mit Rücksicht auf die lange erwartete Präsidentschaftswahl in Mali im Februar 2024 als "nachvollziehbaren Endpunkt" der Präsenz, so begründet es die Bundesregierung. Keinesfalls wie vor zwei Jahren in Afghanistan - als Rückzug Hals über Kopf, so ließe sich das wohl zusammenfassen.
Während die Beteiligung an der EU-Ausbildungsmission (EUTM) in Mali bereits seit dem vergangenen Jahr nahezu ausgesetzt ist, will die Bundesregierung in den nächsten Wochen zum letzten Mal ein Mandat für die Beteiligung an der UN-Mission in Mali (MINUSMA) und damit einen Fahrplan zum Abzug vorlegen. Die Friedensmission, in der Juli 2013 die afrikanisch geführte Stabilisierungsmission AFISMA aufgegangen war, ist eine der verlustreichsten in der Geschichte der Vereinten Nationen mit mehr als dreihundert Todesopfern vor allem unter dem VN-Personal afrikanischer Staaten. Im Juni 2021 wurden zwölf deutsche und ein belgischer Soldat der Mission bei einem Selbstmordanschlag verwundet. Für die Bundeswehr, zuletzt mit 1.133 Soldaten vor Ort, war es nach dem Abzug aus Afghanistan nicht nur personell der am stärksten fordernde Einsatz.
Begleitung der Missionen durch zivile Hilfen und diplomatische Initiativen
Seine Bilanz dürfte durchwachsen ausfallen: Ist der Plan, mit der UN-Mission und ihren rund zwischenzeitlich 13.000 Soldaten für Stabilität zu sorgen, in Mali und in der Sahelregion, gescheitert? Im Kern bestand die Hoffnung bei der UN- und der EU-Mission stets darin, mit der Ausbildung der malischen Streitkräfte beziehungsweise der operativen Unterstützung im Hintergrund diese zu befähigen, selbst für die Sicherheit im Land zu sorgen. Begleitet wurde das außerdem stets mit zivilen Hilfen und Entwicklungsmitteln, mit diplomatischen Initiativen wie dem Friedensplan von Algier: All dies auch, um Einfluss auf eine erhoffte sich festigende demokratische Entwicklung des westafrikanischen Landes zu nehmen.
Die Sahelregion vom Westen bis zum Osten Afrikas südlich der Sahara, laut Vereinten Nationen ein "Epizentrum des globalen Terrorismus", kämpft mit den am schnellsten wachsenden Fluchtbewegungen weltweit. 6,6 Millionen Menschen sind in der gesamten Region auf der Flucht. Immer häufiger sind Teile der Bevölkerung auf humanitäre Hilfe angewiesen, 2022 betraf dies 31,8 Millionen Menschen. Fehlende Perspektiven, Unsicherheit, Vertreibung - es ist der Nährboden für Gewalt, Kriminalität, Terrorismus, ausbleibende Entwicklung, fehlende Staatlichkeit. Mit den jüngsten Kämpfen im Sudan zeichnet sich die nächste humanitäre Krise im Sahel an.
Bereits die Vorgängermission von MINUSMA in Mali war 2013 zunächst unter Führung der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft (ECOWAS) etabliert worden, um islamistischen Rebellen, darunter solchen mit Nähe zum Terrornetzwerk al-Qaida, Einhalt zu gebieten, die damals auf die Hauptstadt Bamako vorrückten und das ganze Land zu übernehmen drohten. Zuvor hatte Frankreich mit der "Opération Serval" vorrückende islamistische Gruppen, darunter auch aufständische Tuareg im Norden Malis, zurückgedrängt und wichtige Städte zurückerobert, darunter Gao und Timbuktu. Ab 2014 setzte Frankreich dann mit der "Opération Barkhane" den Einsatz gegen dschihadistische Gruppen in der Sahelregion fort, auf Wunsch der G5-Sahel-Regierungen in Burkina Faso, Tschad, Mali, Mauretanien und Niger.
Ab 2020 folgte eine Serie von Putschen
Terroristen zurückzudrängen, zumindest in Schach zu halten, zum Beispiel wenigsten Teile des "Azavad" im Norden Malis zu kontrollieren, wo es bis auf wenige Oasen nur Sand-, Fels- und Steinwüsten gibt - all dies ist mit wechselndem Erfolg gelungen. Doch die Rechnung, über Mali hinaus auch politisch eine Stabilisierung der gesamten Region zu erreichen, ist nicht aufgegangen: Im August 2020 putschte das Militär, das soeben noch unter EU-und UN-Ägide geschult und unterstützt wurde, gegen die gewählte Regierung in Bamako. Im Mai darauf folgte der nächste Putsch. Ähnlich das Bild in einigen der G5-Sahel-Staaten: Militärputsche folgten 2021 im Tschad, 2022 in Burkina Faso.
2021 zog Frankreich als erstes die Reißleine. Präsident Emmanuel Macron sagte, es sei nicht "die Rolle Frankreichs, einen militärischen Kampfeinsatz in einem Land fortzusetzen, dessen Verantwortliche selbst nicht zur Stabilisierung beitragen". Neben der Kritik an der Militärpräsenz der früheren Kolonialmacht wuchsen in der Sahelregion auch antifranzösische Ressentiments. In Mali ging dies so weit, dass die Übergangsregierung Söldner der russischen Wagner-Gruppe ins Land ins Land holte und die Einsatzspielräume für die internationalen Truppen immer enger machte. Übel stieß Paris offenbar zusätzlich auf, dass die Übergangsregierung in Bamako verstärkt mit Islamisten verhandeln wollte.
Die Entscheidung Frankreichs, sich aus der Barkhane-Operation zurück- und rund 4.500 französische Soldaten aus Mali abzuziehen und darüber hinaus auch an MINUSMA nicht mehr teilzunehmen bedeutete dann ab 2022 eine ernste Sicherheitslücke für die UN-Mission. Mit den französischen Kampfhubschraubern fehlte eine entscheidende Unterstützung aus der Luft. Die Bundesregierung rechnete außerdem mit einem "signifikanten Nachlassen des Verfolgungsdrucks" auf terroristische Gruppen und einer weiteren Verschlechterung der Sicherheitslage vor allem im Norden Malis.
Als Anfang 2022 malische Behörden einem deutschen Militärtransporter den Überflug verweigerten und sich dies im August für MINUSMA wiederholte, rang sich die Bundesregierung schließlich dazu durch, den Einsatz vorerst auszusetzen.
Pistorius kündigt Verlagerung des militärischen Engagements nach Niger an
Bei ihrem Besuch in Mali gemeinsam mit Kabinettskollegen Pistorius vor wenigen Wochen in Mali und Niger versicherte Entwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD), dass Deutschland in Mali und in der Sahelregion weiter engagiert bleibe, um dem "Terrorismus den Nährboden zu entziehen". Nötig sei ein "langer Atem". Auch Pistorius, der das Ende der Bundeswehrbeteiligung bei MINUSMA und die Verschiebung des militärischen Engagements ins Nachbarland Niger anzukündigen hatte, hob in Mali hervor, "dass wir im Gespräch bleiben, dass wir keine Türen zuschlagen". Von der Zuversicht, von der das zunächst erfolgreiche französische Eingreifen 2013 gegen Terroristen und das dann folgende internationale Engagement in Mali getragen war, ist das jedoch weit entfernt.
Die Hoffnungen richten sich nun auf Niger, in dem 2021 in freien demokratisch Wahlen ein friedlicher Machtwechsel gelungen ist. Die EU soll auf Wunsch der Regierung in Niamey helfen, die Streitkräfte auszubilden, die bis 2025 auf 50.000 Soldaten verdoppelt werden sollen. Pistorius spricht von "Hilfe zur Selbsthilfe", mit der Niger "aus eigener Kraft" für mehr Sicherheit und Stabilität sorgen wolle und auch solle. Kritiker werfen der Bundesregierung hingegen vor, mit dieser Annahme den gleichen Fehler wie in Mali 2013 zu wiederholen, darauf verwiest zum Beispiel Die Linke. Aber auch die Unionsfraktion, die die Mali-Mandate als Teil der Koalitionen über die Jahre stets mitgetragen hat, warnt vor "Illusionen". Man müsse sich womöglich ehrlich machen: Ohne robustes Vorgehen drohe im Sahel ein Landstrich nach dem anderen an Terroristengruppen zu fallen.