Russische Söldnergruppe Wagner : Der verlängerte Arm des Kremls
Den »Wagner«-Söldnern werden schwerste Kriegs- und Menschenrechtsverbrechen vorgeworfen. Die Union drängt darauf, die Gruppe auf die EU-Terrorliste zu setzen.
Es ist keine der sonst von ihm bekannten Tiraden gegen die russische Militärführung. Doch das, was Jewgeni Prigoschin, Chef der russischen Söldnergruppe "Wagner", vergangene Woche in einem Interview zu sagen hatte, ist eine Analyse, die im staatlichen Fernsehen und den unter der Zensurknute stehenden russischen Presse längst nicht mehr zu finden ist: Wenn die "Spezialoperation", also der Angriff Russlands auf die Ukraine, die "Entmilitarisierung" des Nachbarlandes zum Ziel gehabt habe, sei das nach hinten losgegangen: Die Ukraine habe heute mehr und schwerere Waffen und mehr Soldaten als vor dem Krieg. "Sie verfügen über ein hohes Maß an Organisation, ein hohes Ausbildungsniveau, ein hohes Maß an geheimdienstlicher Aufklärung, sie haben verschiedene Waffen. Sie arbeiten mit allen Systemen - sowjetischen oder von der Nato - gleichermaßen erfolgreich." Russland, so das Fazit, habe das Nachbarland in Wahrheit "militarisiert".
"Wagner"-Chef Jewgeni Prigoschin posiert mit einigen seiner Kämpfer vor der Kulisse der zerstörten ostukrainischen Stadt Bachmut.
Prigoschin, der soeben die vollständige Einnahme der seit Monaten umkämpften ostukrainischen Salzbergwerk-Stadt Bachmut durch seine "Wagner"-Söldner behauptet hatte - was Kiew bestreitet -, erinnerte auch an die zahlreichen Niederlagen der russischen Streitkräfte, die sich vor der ukrainischen Hauptstadt und in Cherson in die "Hose gemacht" hätten und dann abgehauen seien. Die eigenen Verluste bei der Schlacht um Bachmut gab der "Wagner"-Chef erstmals mit 20.000 getöteten Söldnern an, davon die Hälfte Rekrutierte aus Gefängnissen. Diese Zahlen lassen sich nicht unabhängig überprüfen.
Damit Russland nicht verliere, müsse es den Kriegszustand ausrufen und die Wirtschaft auf die Produktion von Munition umstellen, sagte Prigoschin dann noch. "Wir sollten neue Mobilmachungen einleiten", so der Vertraute von Kremlchef Wladimir Putin. Dieser hat freilich in den vergangenen Monaten viel dafür getan, um den Eindruck zu zerstreuen, eine neue Mobilisierungswelle stehe ins Haus.
Prigoschin gefällt sich als volksnahes Raubein
Prigoschin, in Sowjetzeiten unter anderem wegen Raubüberfalls zu mehrjähriger Haft verurteilt, später als Gründer einer Restaurantkette und als Caterer des Kremls zu Reichtum gekommen (daher der Beiname "Koch"), gefällt sich in der russischen Machtelite als Raubein, als einer der sich volksnah gibt, die Dinge beim Namen nennt und dem russischen Generalstab Feuer macht. Seiner Söldnergruppe wird seit langem vorgeworfen, nicht nur westliche Wahlkämpfe zu trollen, sondern irreguläre Kämpfer in Konfliktregionen zu schicken, Regime wie in Syrien oder Mali (siehe Seite 9) zu unterstützen, um so auch rabiat russische Interessen zu verfolgen, für deren Durchsetzung sich das russische Militär zu schade ist oder für den Kreml aus anderen Gründen nicht infrage kommt.
Für die Unionsfraktion im Bundestag sind all das Gründe genug, Prigoschins "Wagner"-Gruppe auf die EU-Terrorliste zu setzen. Zwar lehnten es alle übrigen Fraktionen vergangenen Donnerstag ab, sofort und für einen entsprechenden Antrag der Union zu stimmen, der stattdessen zunächst in die Ausschüsse überwiesen wurde. In der Bewertung von "Wagner" bestand aber Einigkeit.
Es gehe darum, die Gruppe "klar als das benennen, was sie ist, nämlich ein terroristischer Akteur", sagte Katja Leikert (CDU). "Egal ob in der Ukraine, Syrien oder in Mali: Wagner begeht systematisch die schlimmsten Verbrechen." Doch die Bundesregierung nenne die Frage der Terrorlistung "rein hypothetisch" und verstecke sich hinter "juristischen Scheinargumenten".
SPD: Privatisierung von Kriegen darf man nicht dulden
Vieles im Antrag sei richtig, befand Ralf Stegner (SPD), der unter anderem auf Hinrichtungsvideos im "Wagner"-Umfeld hinwies, die man bisher nur von Al-Qaida kenne. Man dürfe auch nicht die Privatisierung von Kriegen dulden. Einer Aufforderung durch den Bundestag bedürfe es aber nicht. Die EU habe bereits Sanktionen gegen "Wagner"-Leute verhängt und Vermögen eingefroren.
Stephan Brandner (AfD) warf der Union vor, Populismus zu betreiben. "Wagner" sei bereits 2014 Bestandteil des russischen Machtapparats gewesen. "Das war mitten in der Merkel-Zeit" und habe die Union damals nicht interessiert. Man müsse zudem grundsätzlich über den Umgang mit Nichtkombattanten reden, sagte Brandner und nannte als Beispiele das Asow-Regiment in der Ukraine und US-Militärunternehmen wie Blackwater.
Lamya Kador (Grüne) sprach von hohen rechtlichen Hürden für die EU-Terrorlistung. Inhaltlich sei man aber bei der Union. Die "Wagner"-Gruppe sei "Quasiregierungswerkzeug der immer aggressiver werdenden Außenpolitik des Kremls", zu ihren "Dienstleistungen" gehörten Putsche, Morde, Wahlbeeinflussung und Destabilisierung.
Linke: Wirkung der EU-Terrorliste ist fraglich
Auch für Kathrin Vogler (Die Linke) steht fest, dass diese Truppe zweifelsfrei Terror verbreite, "wo immer sie auftaucht". Die Wirkung der EU-Terrorliste sei indes fraglich, "denn noch keine der dort gelisteten Organisationen wurde deswegen aufgelöst oder nachhaltig geschwächt". Grundsätzlich sollte der Einsatz von Söldnern in Konflikten international genauso geächtet werden wie der Einsatz von Landminen, Bio- oder Chemiewaffen.
Ulrich Lechte (FDP) nannte die Forderung der Union nachvollziehbar. Die Gruppe agiere als "verlängerter Arm des Kremls", begehe Menschenrechtsverbrechen, stütze autoritäre Regime, raube Bodenschätze. Lechte verwies auf die Vielzahl bestehender EU-Sanktionen gegen "Wagner" und den allenfalls symbolischen Wert einer EU-Terrorlistung. "Solange das EU-Recht es nicht hergibt, können wir so viele symbolische Beschlüsse fassen, wie wir wollen."