Ukraine : Eine Frage der Definition
Die Politik streitet über Waffenlieferungen an die Ukraine und die Sorge, damit zur Kriegspartei zu werden.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP) am vergangenen Freitag
Der Auftritt wurde allseits mit Spannung erwartet - aber nicht jede Erwartung wurde offenbar erfüllt: Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) war am vergangenen Freitag auf Einladung der Vorsitzenden Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP) im Verteidigungsausschuss erschienen, um den Abgeordneten hinter verschlossenen Türen seinen Kurs bei der - auch militärischen - Unterstützung der Ukraine im russischen Angriffskrieg zu erklären: Dazu gehört etwa die Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine und die Ausbildung ukrainischer Soldaten an solchen Waffen - und die viel diskutierte Frage, ob und ab welchem Punkt Deutschland mit solcher Unterstützung zur Kriegspartei werde. Scholz habe die Chance gehabt, "sich zur Ukraine zu erklären", schrieb der FDP-Abgeordnete Marcus Faber, der die Sitzung vorzeitig verlassen hatte, auf Twitter. "Leider wurden viele Antworten nicht gegeben." Später versuchte Faber die Wogen zu glätten. Er kündigte an, von seinem Amt als verteidigungspolitischer Sprecher der FDP-Fraktion zurückzutreten.
Linke fürchtet Eskalation
Vernehmlich fiel die Kritik von Teilen der Opposition bereits am Vorabend aus, als das Plenum über einen Antrag der Linksfraktion debattierte: Die Abgeordneten hatten sich darin entschieden gegen die Ausbildung ukrainischer Soldaten an schweren Waffen in Deutschland und gegen die Lieferung von Waffen in die Ukraine gewendet. Zaklin Nastic (Die Linke) sprach von einer "hochgefährlichen Entscheidung" der Koalition: "Sie machen Deutschland zunehmend zur Kriegspartei." Waffen führten nicht dazu, "dass dieser schreckliche Krieg endet". Stattdessen bestehe die Gefahr eines dritten Welt- oder gar Atomkriegs. Es sei ein Irrtum zu glauben, eine solche Eskalation gehe allein den ursprünglichen Aggressor Russland an. "Die Waffen müssen schweigen. Möglich ist das aber nur, wenn man miteinander redet."
Besuch der Bundestagspräsidentin in Kiew
- Gedenken: Anlässlich des 77. Jahrestages des Kriegsendes hat Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) am 8. Mai gemeinsam mit ihrem ukrainischen Amtskollegen Ruslan Stefantschuk in Kiew der Opfer des Zweiten Weltkrieges gedacht.
- Solidarität: Auf dem Programm standen Treffen mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj und Ministerpräsident Denys Schmyhal. "Deutschland und seine Partner stehen fest an der Seite der Ukraine", sagte Bas mit Blick auf den russischen Angriffskrieg. "Mein Besuch ist ein Zeichen der Solidarität mit der Ukraine und dem ukrainischen Volk in diesem Existenzkampf."
Johannes Schraps (SPD) wies darauf hin, dass der Verteidigungskrieg laut Charta der Vereinten Nationen die einzig legitime Form eines Krieges sei. "Und als Unterstützer, auch in Form einer Ausbildung, wird man nicht automatisch zur Kriegspartei." Nichthandeln schütze im Übrigen nicht davor, "Opfer eines unprovozierten Angriffskriegs zu werden, so wie es die Ukraine geworden ist". Russland habe gegen das UN-Gewaltverbot verstoßen und die territoriale Integrität eines friedliebenden Nachbarlandes, nämlich der Ukraine, infrage gestellt und verletzt.
Knut Abraham (CDU) warf den Antragstellern eine "krasse Verdrehung der Realität" vor: Die alleinige Verantwortung für den Krieg liege bei Russland. "Mir ist völlig rätselhaft, wie Sie von den Linken aus der deutschen Geschichte ableiten wollen, es sei richtig, einem überfallenen Opfer bei der Verteidigung gegen einen brutalen Aggressor nicht zu helfen." Mit Blick auf den Kurs der Bundesregierung konstatierte Abraham ein "ramponiertes" Ansehen in Osteuropa. Deutschland müsse verlorene Glaubwürdigkeit zurückgewinnen. Dazu gehöre eine klare Perspektive für die Ukraine "in der EU und nicht in irgendeiner europäischen Wartekammer von rein symbolischen Wert oder einem Klub der schwierigen Nachbarn".
Grüne kritisierten "infame Unterstellung"
Jürgen Trittin (Grüne) sprach von einer "infamen Unterstellung" der Antragsteller. "Wer will denn in diesen Krieg eintreten? Niemand, kein deutscher, kein europäischer, kein Nato-Soldat wird dort eingreifen." Die Linke verbreite hier genau das Narrativ, mit dem der russische Präsidenten Wladimir Putin seinen "Vernichtungskrieg" betreibe. Trittin verwies auf Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke), der Waffenlieferungen an die Ukraine befürwortet habe. Es gehe nicht, dass man erst dann mit der Ethik anfange, wenn ein Überfallener sich verteidigen wolle, habe Ramelow argumentiert. "Ich finde, Bodo Ramelow hat Recht."
Hannes Gnauck (AfD) kritisierte hingegen die Koalition für ihre "ausufernde Bereitschaft, eine fremde Armee in einem fremden Krieg auszurüsten", während die eigenen Streitkräfte strukturell vernachlässigt würden. "Schwere Waffen benötigen wir; doch Sie reichen Gerät und Material weiter in die Ukraine." Gnauck warnte vor einer drohenden Eskalation. "Wie können Sie den Bürgern dieses Landes wirklich versichern, dass Deutschland nicht zum Schlachtfeld wird?"
Alexander Müller (FDP) nannte die Forderung der Linken nach mehr Diplomatie naiv. Putins Interesse sei, die Unterstützung für die Ukraine zu beenden. "Und Sie tanzen nach seiner Pfeife." Die Forderung, Waffenlieferungen einzustellen, sende ein zynische Botschaft an die Menschen in der Ukraine: "Gebt doch endlich auf und ertragt das, was Russland euch antun will. Den wenigen von euch, die Gewaltexzesse und Bombardierungen überleben werden, winkt ein Marionettenstaat wie Belarus mit einem Gewaltherrscher an der Spitze." Müller warnte überdies vor Folgen für die internationale Rechtsordnung. Es gebe neun Atommächte auf der Welt. "Dürfen die sich ab jetzt alles erlauben, ohne dass es Folgen hat, nur weil wir vor Angst erstarren?"
Der Antrag der Linksfraktion wurde mit den Stimmen der Koalitionsfraktion von SPD, Grünen, FDP abgelehnt, die Union wandte sich ebenso dagegen, die AfD-Fraktion enthielt sich.