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Siebte Parlamentswahl in knapp vier Jahren : Bulgarien wählt wieder

Bulgarien sucht bei der Parlamentswahl Ende Oktober einen Ausweg aus der politischen Dauer-Blockade. Auch Wahlmanipulation ist dabei ein Faktor.

18.10.2024
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4 Min

Wenn die Bulgaren und Bulgarinnen am 27. Oktober 2024 zum siebten Mal in dreieinhalb Jahren zur Wahl ihres neuen Parlaments schreiten, steht der Wahlsieger voraussichtlich bereits fest. Die rechtsgerichtete Partei "Bürger für eine Europäische Entwicklung Bulgariens" (GERB) dürfte mit komfortablem Abstand als stärkste politische Kraft aus der Wahl hervorgehen. Dies tat sie bereits bei der letzten Wahl zur Bulgarischen Volksversammlung im Juni 2024, danach fand Ex-Ministerpräsident und GERB-Vorsitzender Boiko Borissov aber keine parlamentarische Mehrheit für seinen Vorschlag eines GERB-Minderheitenkabinetts.

Foto: picture alliance / ASSOCIATED PRESS

Ex-Premier Boiko Borissov (Mitte) kann sich für seine Mitte-Rechts-Partei Chancen auf einen Sieg bei der Wahl Ende Oktober ausrechnen.

Wahlkampf ist geprägt von konfrontativer Härte

Das Scheitern der Regierungsbildung Anfang Juli 2024 erschütterte Bulgariens politische Landschaft wie ein Erdbeben. Es spaltete die Partei der bulgarischen Türken "Bewegung für Rechte und Freiheiten" (DPS), die bis dahin als eine der stabilsten Parteien der Balkanlandes galt. Indem DPS-Fraktionsvorsitzender Deljan Peevski und seine Getreuen für die GERB-Regierung stimmten, widersetzten sie sich der Weisung des DPS-Gründers und Ehrenvorsitzenden Ahmed Dogan.

So stellen sich nun zwei verfeindete DPS-Versionen zur Wahl, Ahmed Dogans "Allianz für Rechte und Freiheiten" (APS) und Deljan Peevskis "Bewegung für Rechte und Freiheiten - Neubeginn" (DPS - NN). Dies bringt nicht nur eine bis dahin unerhörte konfrontative Härte in den Wahlkampf, sondern potenziert die mit der Regierungsbildung verbundenen Unwägbarkeiten.

Liberale DPS war oft das Zünglein an der Waage

Ihrem Selbstverständnis nach ist die liberale DPS ein "Garant des ethnischen Friedens" in Bulgarien. Als traditionell drittstärkste Partei gab sie oft als Zünglein an der Waage den Ausschlag für die Möglichkeit einer Regierung oder ihr Scheitern. Nun teilen sich APS und DPS - NN ihre Wahlklientel und konkurrieren mit dem Linksbündnis um die post-kommunistische "Bulgarische Sozialistische Partei" (BSP) und der Kleinstpartei "So ein Volk gibt es" (ITN) um eine der besseren Positionen im Verfolgerfeld. Für die Spitzengruppe prognostizieren die Meinungsforscher ein knappes Rennen um Platz Zwei zwischen der nationalistischen Partei "Wiedergeburt" und dem konservativ-liberalen Parteienbündnis aus "Wir setzen den Wandel fort" (PP) und "Demokrarisches Bulgarien" (DB).

Ungeachtet persönlicher Animositäten zwischen ihren Parteiführern gelten die euro-atlantisch orientierten Parteien GERB und PP/DB als prädestinierte Partner für eine Koalition. Rein rechnerisch dürften sie aber mindestens noch einen dritten Partner zur Regierungsbildung benötigen. Dies trübt die Aussichten auf eine zügige Bildung einer stabilen Regierung und lässt das Drohszenario achter Parlamentswahlen in vier Jahren als realistisch erscheinen.


„Es werden nicht nur Stimmen gekauft, sondern auch Plätze auf Wahllisten und ganze Wahlkommissionen.“
Plamen Kirov, Universität Sofia

Einen erneuten Wahlgang im kommenden Frühjahr will GERB-Führer Borissov unbedingt vermeiden, so hat er sich prinzipiell zur Zusammenarbeit mit allen politischen Kräften außer den russlandfreundlichen Nationalisten von "Wiedergeburt" bereit erklärt. Dem Vorschlag von PP/DB, eine Art Expertenkabinett zu bilden mit einem "von allen Parteien gleichweit entfernten Regierungschef", erteilt er indes eine Absage, verschleiere dies doch "die politische Verantwortung der Parteien für das Regierungshandeln".

Es mangelt an Zusammenarbeit der Parteien

Die politische Klasse hat sich in den vergangenen Jahren als unwillig oder unfähig zur konstruktiven Kooperation gezeigt. Sie verfehlte dadurch auch konsensuelle strategische Ziele wie den unbeschränkten Zutritt zum Schengener Raum und den Beitritt zur Eurozone. Auch riskierte sie den Verlust von Milliarden Euro an EU-Fördermitteln durch Versäumnisse beim bulgarischen Plan für Aufbau und Resilienz. Jahrelange Ränkespiele der Parlamentsparteien verschärften zudem die Politikverdrossenheit der Bürger und Bürgerinnen. Zuletzt nahm nur noch jeder Dritte sein Wahlrecht in Anspruch.

Fakten und Zahlen zu Bulgarien

📅 Seit 2007 ist Bulgarien Mitglied der Europäischen Union.

🏛️ Bulgarien ist eine parlamentarische Republik mit einem nach dem Verhältniswahlverfahren gebildeten Einkammerparlament. Die ersten demokratischen Wahlen fanden 1990 statt, kurz nach dem Zusammenbruch des kommunistischen Regimes.

👨‍👩‍👧‍👧 Das Land hat hat 6,5 Millionen Einwohner.

💷 Mit einem Pro-Kopf-Bruttoinlandsprodukt von 24.200 Euro liegt Bulgarien unter dem EU-Durchschnitt (37.600 Euro). Auf das Land entfallen 0,6 Prozent des gesamten BIP der EU.



Ohnehin vertrauen manche Parteien längst nicht mehr allein auf den Willensbildungsprozess, um Wähler zu gewinnen, sondern greifen zu Mitteln der Wahlmanipulation. Sie gibt es in ihrer direkten Form des Stimmenkaufs, aber auch vermittelt durch kontrollierte Stimmabgabe beispielsweise wenn große Arbeitgeber Druck ausüben auf ihre Arbeitnehmer. "Es werden nicht nur Stimmen gekauft, sondern auch Plätze auf Wahllisten und ganze Wahlkommissionen", alarmierte der Professor für Verfassungsrecht Plamen Kirov von der Universität Sofia jüngst in einem Interview für die Tageszeitung "Trud". Und Ex-Regierungschef Borissov rief die Wähler und Wählerinnen dazu auf, "per Wahlzettel abzustimmen, denn die Wahlmaschinen sind manipuliert".

Antikorruptionsfonds ermittelte 1.738 Wahllokale mit Unregelmäßigkeiten

Fernsehbilder von Razzien der Polizei, die vor allem in Roma-Vierteln Namenslisten sicherstellen und mutmaßliche Händler von Wählerstimmen verhaften, illustrieren seit Jahren die Wahlkampfberichterstattung. Die Verhaftung des DPS-Abgeordneten Dscheichans Ibrjamov Anfang Oktober 2024 auf dem hatte besonderen Nachrichtenwert, betraf es diesmal doch nicht einen kleinen Fisch. Laut Staatsanwaltschaft soll Ibrjamov mehr als 50.000 Euro Bestechungsgeld entgegengenommen haben mit der Absicht, es in den Kauf von Wählerstimmen zu investieren. Da es sich bei ihm um einen prominenten Parteigänger Ahmed Dogans handelt, wähnen die Gegner Deljan Peevskis dessen sprichwörtlichen Einfluss auf die staatlichen Repressionsorgane als treibende Kraft hinter Ibrjamovs Festnahme.

Im Oktober 2022 legte der der journalistisch-investigative Antikorruptionsfonds (AKF) eine detaillierte Bestandsaufnahme vor. Durch statistische Analysen der Wahlergebnisse der gut elftausend Wahllokale ermittelten die AKF-Autoren 1.738 Wahllokale mit Anzeichen für Stimmenkauf und kontrollierter Stimmabgabe. "Seit Jahren sind DPS, GERB und BSP unter den ersten drei Formationen, die die meisten Stimmen in diesen Wahllokalen erhalten", schreiben sie. So bestünde zu diesen Parteien "der ernsthafte Verdacht, dass sie einen bedeutenden Teil ihrer Stimmen durch Wahlmanipulationen erhalten". 

Der Autor ist freier Korrespondent.

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