Parlamentswahlen am 26. Oktober : Georgien steht vor einer Schicksalswahl
Es wird eine Schicksalswahl zwischen der EU und Russland. Egal wie die Wahl ausgeht: Georgien steht vor unruhigen Zeiten.
Ein rotes Dach, ein kleiner Garten mit Obst und Gemüse, die Häuser im Dorf Tserovani gleichen sich fast alle. "Einige Leute haben etwas Land außerhalb der Siedlung gekauft", sagt Nana Chkareuli, eine der Bewohnerinnen. Wie alle hier ist sie 2008, beim letzten russischen Einmarsch in Georgien, aus dem russisch besetzten Südossetien geflüchtet. "Mein Haus dort steht noch. Die Nachbarn kümmern sich darum." Vor elf Jahren war sie das letzte Mal dort. Seitdem hat sie Probleme, die Papiere zu bekommen, die die Besatzungsbehörden verlangen.
Die Flüchtlingssiedlung Tserovani wurde noch unter Ex-Präsident Mikheil Saakaschwili errichtet, als Nothilfe für die Vertriebenen. 2012 wurde seine Regierung abgewählt, seitdem bestimmt der Multimilliardär Bidzina Iwanischwili mit seiner Partei "Georgischer Traum" die Geschicke des Landes. Zu den Parlamentswahlen am 26. Oktober tritt er als Kandidat seiner Partei an. "Natürlich werde ich wählen gehen", sagt Chkareuli. "Ich weiß zwar noch nicht wen, die Regierungspartei aber nicht." Zwar habe der "Georgische Traum" versucht, sie damit zu ködern, dass die Situation für die Flüchtlinge nach einem erneuten Wahlsieg besser werde, "aber sie haben ja bisher auch nichts erreicht".
Iwanischwilis enge Verbindungen zu Putin
Stattdessen unternimmt die Regierung derzeit vieles, um die Demokratie im Land zu schwächen und Georgien stärker an Russland zu binden. Georgien war annähernd 200 Jahre russisch besetzt, erst 1991 konnte sich das Land aus der Sowjetunion befreien und selbstständig werden. Ein Fünftel des Staatsgebietes ist trotzdem unter russischer Kontrolle. Iwanischwili wurden diverse Verbindungen in das Machtgefüge um den russischen Präsidenten Wladimir Putin nachgewiesen. Ganz im Sinne der russischen Propaganda spricht er von einer "globalen Kriegspartei", die auch Georgien in einen Krieg verwickeln wolle. Im Wahlkampf präsentiert sich der "Georgische Traum" als Garant gegen einen Krieg mit Russland. Das fällt auf fruchtbaren Boden, denn Georgien hat seit seiner Unabhängigkeit mehrere Kriege durchlebt. Stabil und durch alle Bevölkerungsgruppen sprechen sich 80 Prozent der Menschen für eine Integration ihres Landes in die Europäische Union und in die Nato aus. Die Westintegration ist außerdem in der georgischen Verfassung festgelegt. Und so ist der Wahlkampf zugespitzt darauf, wie man weiter mit Russland umgehen soll.
Besonders ein Gesetz steht derzeit im Fokus. Es verpflichtet Organisationen der Zivilgesellschaft, der Medien und auch Einzelpersonen, die mehr als 20 Prozent ihres Budgets aus dem Ausland erhalten, sich als "Vertreter ausländischer Interessen" registrieren zu lassen. Es ist die georgische Version eines Gesetzes, das in Russland einen wesentlichen Anteil an der Vernichtung der ohnehin schwachen Zivilgesellschaft hatte.
Polizei geht bei Massenprotesten brutal gegen Demonstranten vor
Im Mai protestierten bis zu 300.000 Menschen gegen das Vorhaben. Die Polizei ging mit äußerster Gewalt gegen die Demonstranten vor, schlug gezielt Aktivisten zusammen und verletzte sie lebensbedrohlich. Flankierend hatte die Jugendorganisation des "Georgischen Traums" Plakate geklebt, auf denen bekannte Vertreter der Zivilgesellschaft mit dem Zusatz "Vaterlandsverräter" abgebildet waren - darunter zum Beispiel die Leiterin von Transparency International, einer Organisation, die sich weltweit für die Bekämpfung von Korruption einsetzt.
Gerade Korruptionsbekämpfung scheint den Mächtigen um Iwanischwili ein Dorn im Auge zu sein. Premierminister Irakli Kobachidse spricht davon, dass Transparency International das Ziel habe, zu manipulieren und die Bevölkerung zu spalten. Der Druck auf die Opposition ist in den letzten Monaten immer größer geworden. Autos und Wohnungstüren wurden beschmiert, Oppositionelle erhalten nachts Drohanrufe. Selbst ihren Kindern werde systematisch Angst gemacht, dass ihrer Mutter Schlimmes passiere, wenn sie nicht aufhöre, die Regierung zu kritisieren, berichtet Ana Natswlischwili. Sie sitzt für die Oppositionspartei "Lelo" im Parlament. Natswlischwili spricht von einem Überlebenskampf der Demokraten. "Wir werden physisch angegriffen. Ich fühle mich in Sitzungen nicht mehr sicher." Schlägereien sind im Parlament Georgiens keine Seltenheit. "Wir wurden gewaltsam aus den Anhörungen des Ausschusses herausgezogen." Natswlischwili fühlt sich an ihre Vorfahren erinnert, die in der Sowjetunion verfolgt und ermordet wurden. "Es herrscht das Gefühl, das war es. Es ist das Ende."
Selbst die proeuropäische Präsidentin Georgiens Salome Surabischwili wird mit Amtsenthebungsverfahren bedroht. Trotz der bedrohlichen Lage haben die demokratischen Oppositionsparteien es nicht geschafft, sich gegen den "Georgischen Traum" zu vereinen. So ringen diverse Kleinstparteien um Wähler. Mehrheitsfähig ist keine von ihnen. Laut einer Umfrage des regierungsnahen Fernsehsenders Imedi könnte der "Georgische Traum" die Wahlen mit 59,5 Prozent gewinnen.
Premierminister Kobachidse bezeichnet Opposition als “Staatsverräter”
Wano Chkhikwadse, der Leiter der Open Society Foundation, denkt bereits darüber nach, das Land nach der Wahl zu verlassen. Die Stiftung setzt sich weltweit für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit ein. Sie ist einer der Hauptgegner der antidemokratischen Regierungen im Umfeld Putins. "Premierminister Irakli Kobachidse nennt meinen Namen immer in Kombination mit dem Wort 'Staatsverräter'", sagt Chkhikwadse.
Mehr zu Georgien vor der Wahl am 26. Oktober
Das Parlament in Georgien hat das „Ausländische-Agenten-Gesetz“ verabschiedet, durch das die Arbeit von Medien und NGOs erheblich erschwert wird.
Die Koalition setzt sich für einen Beitritt Georgiens in die EU ein, kritisiert aber den "antieuropäischem Kurs" der Regierung. Die AfD spricht von "Einmischung".
Weiterhin versprechen Vertreter des "Georgischen Traums", das Land in die EU zu führen. "Auf diesem Kurs wird Georgien nicht in der Lage sein, der EU beizutreten", stellte neben anderen der deutsche Botschafter in Georgien, Ernst Peter Fischer, beim Empfang zum 3. Oktober fest. Bewusst wurden keine Politiker oder Parteivertreter zu dem Fest eingeladen. Man wollte vermeiden, dass Bilder entstehen, die von regierungstreuen Medien als Zustimmung zur Politik der Regierungspartei gewertet werden. "Wir wollen klarstellen", so Botschafter Fischer, "dass die Wahlen am 26. Oktober die Wahlen der Georgier sind und wir uns nicht einmischen." Und dann machte er unmissverständlich klar, was zurzeit alle Vertreter von EU-Staaten unterstreichen: Die Vertreter der Regierung müssten sich positionieren und entscheiden, "welcher Gruppe von Staaten Sie angehören möchten". Selbst wenn die Regierungspartei die Wahl verliert, steht nicht fest, dass sie die Macht freiwillig abgibt. Dann ist es an der Polizei, sich zu entscheiden, auf welche Seite sie sich stellt.