Proteste auf Georgiens Straßen halten an : "Ja zu Europa, nein zum russischen Gesetz"
Die Regierung Georgiens gefährdet die Chance auf einen EU-Beitritt des Landes. Die dritte Lesung des umstrittenen "Agentengesetzes" ist für Mitte Mai geplant.
In den Straßen von Tiflis hingen bis vor wenigen Tagen Plakate mit den Gesichtern von Journalisten und Vertretern der Zivilgesellschaft. Sie sind mit Drohungen versehen: „Wir werden nicht zulassen, dass ihr unsere Heimat verkauft.“ Die Fotos sind durchgestrichen wie bei Steckbriefen, wenn der Verbrecher gefasst ist. Die Kampagne sollte Menschen diskreditieren, die in Georgien für den Aufbau demokratischer Strukturen stehen. Initiator war die Jugendorganisation der Regierungspartei "Georgischer Traum". Die bringt parallel ein Gesetz durchs Parlament, das diese Organisationen und Menschen verpflichtet, sich als "Vertreter der Interessen einer fremden Macht" registrieren zu lassen, sofern sie mindestens zu einem Fünftel aus dem Ausland finanziert werden.
Dritte Lesung des umstrittenen Gesetzes für Mitte Mai geplant
Das Gesetz hat die zweite Lesung passiert, die dritte und letzte ist für Mitte Mai angekündigt. Es ist bereits der zweite Versuch, dieses Gesetz zu beschließen. Vor einem Jahr ist es nach massiven Protesten der Bevölkerung zurückgezogen worden. Auch damals hingen Plakate in Tiflis. Nur dass darauf "Vaterlandsverräter" stand. Abgebildet war unter anderem die Leiterin von Transparency International, der Organisation, die sich weltweit um Korruptionsbekämpfung kümmert.
Seit Wochen kommt es immer wieder zu Demonstrationen in Georgien. Vor allem die junge Generation geht wie hier in Tbilisi gegen das „russische Gesetz“ auf die Straße.
In diesem Jahr scheint die Regierungspartei "Georgischer Traum" gewillt, das Projekt durchzuziehen. Wieder sind zigtausende Georgier auf den Straßen, rufen "Ja zu Europa, nein zum russischen Gesetz". Denn das Gesetz, um das es geht, hat in einer ganz ähnlichen Fassung in Russland seit 2012 dazu beigetragen, die Demokratie zu beseitigen. Es gilt als klares Signal, sich Russland unterzuordnen und den Kurs in Richtung EU zu verlassen.
Polizei geht brutal gegen Demonstrierende vor
Der EU-Außenbeauftragte Josep Borell hat die politische Führung Georgiens unmissverständlich aufgefordert, den Gesetzentwurf zurückzuziehen. Er verstoße gegen Normen und Werte der Union, mahnte der stellvertretende Kommissionschef und Hohe Vertreter der EU für die Außen- und Sicherheitspolitik. Weiter behindere er die Fortschritte Georgiens auf dem Weg zur EU-Mitgliedschaft. Borell erinnerte daran, das Recht auf friedliche Versammlungen zu schützen. Die Gewalt der Uniformierten nannte der Sozialdemokrat „inakzeptabel“.
Die Regierung scheint davon unbeeindruckt zu sein. Ihre Vertreter behaupten weiter, das Gesetz sei mit EU-Recht vereinbar, sorge für Transparenz im Sinne der EU. Die Gegner könnten "kein einziges Argument nennen, was an diesem Gesetz russisch oder schlecht ist", sagte Mamuka Mdinaradze, der Fraktionsvorsitzende der Regierungspartei im Parlament. Bei der Gelegenheit stellte er erneut in den Raum, die Nichtregierungsorganisationen (NGOs) würden Interessen anderer Staaten vertreten. Ein Paradoxon, denn viele NGOs in Georgien werden von Partnern in der EU finanziert, in der Georgien auch nach Aussagen von Regierungspolitikern offiziell Mitglied werden möchte.
80 Prozent der Bevölkerung für EU- und Nato-Beitritt
Georgiens Westkurs galt lange Zeit als sicher. Seit Jahren sind generationsübergreifend etwa 80 Prozent der Bevölkerung für einen Beitritt des Landes zu EU und zur Nato – EU- und Nato-Mitgliedschaft sind in der Verfassung verankert. „Dass die aktuelle Regierung diesen präferierten Kurs der Gesellschaft so dramatisch Richtung Russland verändert, ist eine Katastrophe für das Land“, sagt die Europaabgeordnete Viola von Cramon (Grüne). Sie ist mit ihrer klaren Kritik an der Regierungspolitik regelmäßig Hasskampagnen in Georgien ausgesetzt. „Diese Politik stellt aber auch die EU vor ein großes Problem“, sagt sie.
Die Bevölkerung hofft auf einen EU-Beitritt des Landes. Den treibt die Regierung voran, doch zugleich setzt sie NGOs unter Druck und sucht die Nähe zu Russland.
Zerrissen zwischen Hoffnung auf einen EU-Beitritt und Russlands Einfluss wächst die Kriegsangst in Georgien.
Georgien hat im Dezember letzten Jahres den Kandidatenstatus bekommen, die Anforderungen dafür aber nicht ansatzweise erfüllt. Die Verleihung des Kandidatenstatus war deshalb von einer Erklärung der Kommission begleitet: Sie schätze zwar die Zustimmung der georgischen Bevölkerung zur EU, diese müsse sich jedoch auch im Handeln der Regierung widerspiegeln. Die Regierung hat all das nahezu ignoriert.
"Entoligarchisierung" der Gesellschaft gefordert
Es mangelt an elementaren Dingen wie Pressefreiheit, in Georgien gibt es fast keine unabhängigen Medien mehr. Auch die Beteiligung der Zivilgesellschaft am politischen Prozess ist mangelhaft. Die EU mahnte weiter, dass Georgien seine Außen- und Sicherheitspolitik der EU anpassen müsse. Auch das war bisher nicht im Sinne des "Georgischen Traums". Dessen Politiker warnen davor, Russland zu provozieren, und sie sind damit bei Teilen der eigenen Bevölkerung durchaus erfolgreich. Georgien war annähernd zweihundert Jahre unter Kontrolle aus Moskau.
Georgiens Beziehungen zu Russland
📜 1991 erklärte sich Georgien für unabhängig.
🔓 Ethnische Spannungen führten 1992 zur Loslösung Südossetiens und Abchasiens von Georgien. Russland unterstützte die Separatisten auch militärisch.
🧨 2008 kam es im Konflikt um die Regionen zu einem fünftägigen georgisch-russischen Krieg, dem Kaukasuskrieg. Seither hat Russland in Südossetien und in Abchasien Truppen stationiert.
2008 rollten das letzte Mal Panzer in Richtung Tiflis. Derzeit hält Russland mit den Separationsgebieten Abchasien und Südossetien de facto 20 Prozent des Territoriums besetzt. Konstant mahnen EU-Politiker und Beamte eine "Entoligarchisierung" der Gesellschaft an. Das zielt direkt auf die Regierungspartei "Georgischer Traum". Die wird beherrscht vom Multimilliardär Bidsina Iwanischwili. Er hat sein Geld in den 1990er Jahren in Russland gemacht hat und ist der wohl mächtigste Mensch in Georgien. Seit der Machtübername seiner Partei im Jahr 2012 hat er Georgien wieder an Russland angenähert und Reformen seines Vorgängers, Ex-Präsident Micheil Saakaschwili, zurückgenommen.
Iwanischwili spricht in Wutrede von einer "Diktatur", die die EU errichten wolle
Angesichts der massiven Proteste meldete sich Iwanischwili Anfang Mai selbst zu Wort, was er nur selten tut. In einer wütenden Rede nannte er die Vertreter der Zivilgesellschaft eine "vaterlands- und prinzipienlose Pseudoelite": "Sie haben kein Vaterland. Sie lieben ihr Land und ihr Volk nicht, weil sie sich nicht als Teil dieses Volkes betrachten." Er sprach von einer "Diktatur", die die EU in Georgien errichten wolle: "Das werden wir um jeden Preis verhindern." Und er drohte der Opposition nach den Wahlen im Oktober mit Konsequenzen. Eine kritische Resolution des Europaparlaments zu Georgien sei von einer "globalen Kriegspartei" erzwungen worden. Am Ende versprach er seinen Anhängern, Georgien werde 2030 EU-Mitglied sein. Die Opposition geht seit langem davon aus, dass es ihm nur noch darum geht, einen Beitritt Georgiens zu verhindern, dafür aber die EU verantwortlich zu machen.
EU-Politikerin regt Georgien-Mission an
Viola von Cramon ist eine der Initiatorinnen der Resolution, die anregt, dass die EU zeitnah eine ranghohe diplomatische Mission zusammenstellt, um deutlich zu machen, was auf dem Spiel steht. "Die Mission sollte das auch der Bevölkerung verdeutlichen, damit die Parlamentswahl am 26. Oktober tatsächlich als eine Abstimmung über den europäischen Kurs gesehen werden kann,“ sagte von Cramon. Wer der aktuellen Regierung seine Stimme gebe, entscheide sich gegen eine Annäherung an die EU.
Der Autor ist freier Korrespondent für Osteuropa.