Nach den Wahlen in Moldau : Präsidentin Sandu beklagt beispiellose Ausmaße des Betrugs
Nur eine dünne Mehrheit hat für das Ziel des EU-Beitritts gestimmt. Ein Dämpfer für Präsidentin Maia Sandu. Sie selbst muss in die Stichwahl und erhebt Vorwürfe.
Anders als von Wahlforschern prognostiziert, ist das Ergebnis der Abstimmung am Sonntag denkbar knapp ausgefallen: Nach Angaben der moldauischen Wahlkommission am Montag stimmten nur 50,38 Prozent der Wählerinnen und Wähler für das erklärte Ziel der proeuropäischen Amtsinhaberin Maia Sandu, den EU-Beitritt als Ziel in der Verfassung festzuschreiben. 49,62 Prozent stimmten dagegen - ein Unterschied von nur 11.276 Stimmen.
Sandu selbst erhielt bei der parallel abgehaltenen Präsidentschaftswahl 42,45 Prozent der Stimmen, muss aber am 3. November in einer Stichwahl gegen EU-Kritiker Alexander Stoianoglo von der Sozialistischen Partei antreten.
Sandu spricht von Manipulation
Verantwortlich für das Ergebnis macht die Präsidentin Desinformation und Stimmenkauf. Es sei ein “beispielloser Angriff auf die Freiheit und die Demokratie in unserem Land", erklärte sie noch in der Wahlnacht. "Kriminelle Gruppen in Zusammenarbeit mit ausländischen Mächten" hätten in Moldau etwas noch nie Dagewesenes vollbracht: "Die Ausmaße des Betrugs sind beispiellos." 100 Millionen Euro, so heißt es aus dem Lager der Präsidentin, sollen in eine von Russland gesteuerte Kampagne geflossen sein. Medien berichten, dass rund 300.000 Nein-Stimmen beim Referendum gekauft worden seien.
Präsidentin Sandu, hier beim Verlassen des Wahllokals am Sonntag, wirft "kriminellen Gruppen in Zusammenarbeit mit ausländischen Mächten" einen Angriff auf Freiheit und Demokratie vor.
Schon im Wahlkampf hatte Sandu die massive Einflussnahme Russland beklagt. Anfang Oktober hatten die moldauischen Behörden bekanntgegeben, ein Netzwerk zerschlagen zu haben, über das Moskau Stimmenkauf in der Republik Moldau finanziere. Es gab Hausdurchsuchungen und Festnahmen. Über die russische Promswjazbank sollen Millionen auf die Konten zigtausender Moldauer überwiesen worden sein.
Enthüllungsvideo sorgte für Aufregung
Weiter angeheizt hatte die Stimmung vor der Wahl auch das Video einer Enthüllungsjournalistin vom Nachrichtenportal Ziarul de Garda. Die Bilder sind verwackelt, heimlich gefilmt. Unter falschem Namen hatte sich die Journalistin in ein aus Russland finanziertes Netzwerk eingeschlichen, das in der Republik Moldau Stimmung gegen den europäischen Kurs der Regierung macht und Wählerstimmen kauft. "Oh, ein neues Gesicht in unserer Truppe." Die alte Frau im gemusterten Sommerkleid hatte sie freudig begrüßt und ihren Namen notiert. “Die Leute lassen sich für Demonstrationen bezahlen. Und wir machen das auch.” Moldau gilt als das Armenhaus Europas. Drei Monate hat die Reporterin mitgemacht, war bei Kampagnentreffen und Protestkundgebungen, bekam telefonische Anweisungen aus Moskau.
Für Präsidentin Sandu ist ist der Ausgang der Abstimmungen ein herber Schlag. Seit 2020 im Amt ist die 52-Jährige die erste, die die Republik Moldau mit ihren 2,5 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern konsequent Richtung EU führt und energisch gegen Korruption vorgeht. Im Juni begannen Beitrittsverhandlungen. EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen reiste erst kürzlich persönlich nach Chisinau, brachte einen 1,8 Milliarden Euro starken Wachstums- und Investitionsplan für die kommenden zwei Jahre mit. Sozialforscher erwarteten für das Referendum eine Mehrheit von mehr als 60 Prozent.
Gegenkandidat Stoianoglo schnitt deutlich besser ab als prognostiziert
Doch das prorussische Lager konnte offenbar besser mobilisieren. In Umfragen hatte der stärkste von Sandus Gegenkandidaten bei der Präsidentenwahl, Alexandru Stoianoglo von der Sozialistischen Partei, noch abgeschlagen bei rund zehn Prozent gelegen. Nun schnitt er mit 25,98 Prozent deutlich besser ab.
"Russisches Geld ist unser größtes Problem", sagt die Präsidentin Maia Sandu. Der moldauische Thinktank WatchDog.MD spricht von Millionen Euro, die Moskau in Desinformationskampagnen gesteckt habe. Oligarchen, die mit Haftbefehl gesucht werden und sich ins Ausland abgesetzt haben, unterstützen die Kampagnen. Inhaltlich ist es immer das gleiche: Die EU wolle die nationale Identität des Landes zerstören, sei Schuld an den hohen Energiepreisen im Land und werde den Menschen Krieg bringen.
Zentrale Figur ist ein prorussischer Oligarch
Eine zentrale Rolle spielt Ilan Shor. Der Geschäftsmann und Politiker wurde in der Republik Moldau wegen Geldwäsche und Betrugs zu 15 Jahren Haft verurteilt, seine Partei ist verboten. Shor setzte sich in sein Geburtsland Israel ab, hält sich aber immer öfter in Russland auf, besitzt nach eigenen Angaben auch einen russischen Pass. In diesem Frühjahr hat er das prorussische moldauische Parteienbündnis "Victorie", "Sieg" gegründet - in Moskau. Hunderte Delegierte reisten extra aus Moldau in die russische Hauptstadt. Bei der Rückreise fanden moldauische Grenzbeamte am Flughafen Chisinau bei ihnen mehr als eine Million US-Dollar in unterschiedlichen Währungen. Aus Sicht der Ermittler, um prorussische Parteien zu finanzieren.
Oligarch Ilan Shor, hier im Juni bei einem Parteitag, gründete im Frühjahr das prorussische Parteienbündnis "Sieg" - in Moskau.
Ein Kandidat von Victorie wurde aus formalen Gründen nicht zugelassen. "Shor hat sich eine besondere Taktik überlegt", sagt Aleksandru Tanas, Direktor der Nachrichtenagentur Infotag. Drei bis vier der angeblich unabhängigen Kandidaten auf den Wahlzetteln seien in Wirklichkeit Shors Kandidaten. Shors Leute haben angekündigt, erst im letzten Moment bekanntzugeben, wem die Menschen am Ende ihre Stimme geben sollen. "So wappnen sie sich für den Fall, dass die Zentrale Wahlkommission kurz vor der Wahl weitere Namen streicht", vermutet Tanas. Amtsinhaberin Sandu hat sich deshalb geweigert, an einer Fernsehdebatte der Kandidaten teilzunehmen. Die Mitbewerber seien keine echten Konkurrenten, sondern von verbrecherischen Oligarchen aufgestellt worden, um deren Rückkehr ins Land vorzubereiten, so ihre Begründung. "Es wäre Zeitverschwendung gewesen, wenn Sandu gekommen wäre", findet Tanas.
Provinz Gaugasien dient Moskau als Einfallstor
Bis vor kurzem war der abtrünnige Landstrich Transnistrien Russlands Hebel, um Moldaus Entwicklung zu stören. Seit dem Krieg gegen die Ukraine hat Russland allerdings keinen Zugang mehr zu dem quasi besetzten Gebiet, und viele Unternehmer in Transnistrien profitieren von den Vorzügen des Assoziierungsabkommens Moldaus mit der EU. Aktuell heißt das Einfallstor für Shor und die Machthaber in Moskau Gagausien. Die Provinz im Süden Moldaus ist autonom und hat rund 130.000 Einwohner. Viele bekommen eine Zusatzrente aus Moskau.
Ilan Shor ließ dort in diesem Jahr einen Vergnügungspark eröffnen, die einzige Freizeitmöglichkeit weit und breit, der Eintritt ist frei. Die Gouverneurin von Gagausien, Jewgenia Gutsul, kam 2023 nur dank massiver finanzieller und organisatorischer Hilfe Shors ins Amt. Und sie ist die Generalsekretärin des prorussischen Victorie-Bündnisses. Gutsul reist häufig nach Moskau und hat Wladimir Putin persönlich um Unterstützung gebeten. Die moldauischen Behörden ermitteln gegen sie unter anderem wegen illegaler Parteienfinanzierung. Die EU hat im Oktober Sanktionen gegen Gutsul verhängt.
Präsidentin Sandu warnt Europa vor Russland
Sandu selbst sagte im Mai, als sie in Leipzig den Demokratie-Preis der Stadt erhielt, die Republik Moldau sein “ein Testgelände für Russlands Methoden der Einmischung und der Destabilisierung. Was immer in Moldau passiert, kann Russland später in anderen demokratischen Ländern ausprobieren.”
Für Moldau jedenfalls ist der Weg in die EU keineswegs vorgezeichnet. Beobachter sehen Sandu nach der ersten Wahlrunde zudem geschwächt. Wie die Stichwahl am 3. November ausgeht, ist offen. Ein weiterer Test für ihren EU-Kurs werden schließlich die Parlamentswahlen sein, die voraussichtlich im Frühjahr 2025 stattfinden sollen.
Der Autor ist freier Korrespondent für Osteuropa.
Mehr zur EU-Erweiterung nach Osten
Die Debatte in Brüssel stagniert, weil sich die Mitgliedstaaten nicht über die nötigen Reformen einig werden. Insbesondere kleine Staaten sperren sich.
Das Parlament in Georgien hat das „Ausländische-Agenten-Gesetz“ verabschiedet, durch das die Arbeit von Medien und NGOs erheblich erschwert wird.
Der Europapolitiker der Union kritisiert die EU-Staaten wegen ihrer Haltung gegenüber Ungarn und Russland und erklärt, warum es einen Verteidigungskommissar braucht.