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Foto: picture alliance / Hans Lucas
Marine Le Pen hat Jordan Bardella für den Posten des Premierministers ins Rennen geschickt.

Neuwahlen in Frankreich : Droht Frankreich ein Rechtsruck?

Vor den Neuwahlen zur Assemblée nationale am 30. Juni und 7. Juli liegen die Rechtpopulisten in Umfragen vorn. Doch eine Mehrheit ist auch für die Linke möglich.

27.06.2024
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4 Min

Bei Wahlveranstaltungen lässt sich Jordan Bardella, Chef der rechtspopulistischen Partei Rassemblement National (RN), wie ein Popstar feiern. Doch bei der Pressekonferenz in Paris verkündet ein Plakat schlicht "L'Alternance commence" (Der Machtwechsel beginnt) für die Neuwahlen zum Parlament in Frankreich. Fraktionschefin Marine Le Pen ist gekommen und lässt den 28-Jährigen das Parteiprogramm erklären: ein nationalistischer Blick auf Handelsbeziehungen, weniger Einzahlungen in den EU-Haushalt, Kampf gegen Immigration, Rücknahme der Rentenreform, weniger Mehrwertsteuer auf Energie, keine Bodentruppen für die Ukraine.

RN-Chef Bardella will absolute Mehrheit in der Nationalversammlung 

Damit wollen die Rechtspopulisten an die Macht kommen und den Premierminister im Amtssitz Matignon stellen. Unter einer Bedingung: Er könne nur "bei einer absoluten Mehrheit Premierminister werden", sagt Bardella. Denn nur dann hätte er die Macht, sein Programm durchzusetzen. Wenn nicht, wären die Entscheidungen in der Nationalversammlung blockiert, wie unter Emmanuel Macron. Der Präsident hat seit den Parlamentswahlen 2022 nur die relative Mehrheit und konnte seine Projekte kaum durchsetzen.

Drei wahlentscheidende Blöcke

1️⃣ Rassemblement national: Der rechtsextreme RN von Marine Le Pen hat die Europawahlen Anfang Juni mit 31,37 Prozent gewonnen. Umfragen sagen bis zu 36 Prozent voraus.

2️⃣ Nouveau Front populaire: Der NFP wurde für die Neuwahlen gegründet, in ihm sind linke und linksextreme Parteien wie die Parti socialiste, La France insoumise, Les Ecologistes und die Parti communiste français vereint. Umfragen sehen das Bündnis bei 27 Prozent.

3️⃣ Ensemble: An dritter Stelle liegt die Sammlungsbewegung, die aus Emmanuel Macrons Partei Renaissance und mehrerer kleineren Gruppierungen besteht. In Umfragen kommt das Bündnis auf 20 Prozent.



Nach den Europawahlen und dem Triumph der Rechtspopulisten entschied Macron sich für Neuwahlen. Er wollte nicht als schwacher Präsident dastehen und hoffte darauf, dass sich Politiker von links und rechts mit ihm verbünden, um RN zu verhindern. Oder im schlimmsten Fall, dass sich die extreme Rechte mit einem Premierminister diskreditiert. Weltweit stieß seine risikoreiche Entscheidung auf Unverständnis. Medien in Frankreich und im Ausland schreiben schon über die "verlorene Wette". Er habe Frankreich destabilisiert. Einige Politiker der Republikaner stimmten einer Allianz mit RN zu und könnten deren Reihen verstärken.

Macrons Bündnis drohen Stimmenverluste

Außerdem entstand links der Mitte das Bündnis Nouveau Front Populaire (NFP, Neue Volksfront) aus Linken, Kommunisten, Sozialisten und Grünen. Bisher deutet alles darauf hin, dass Macron und sein Mehrheitsbündnis Sitze verlieren und bei der Abstimmung Ende Juni auf dem dritten Platz hinter den Rechten und den Linken landen wird.

Laut einer Elabe-Umfrage kommt RN auf 36 Prozent, die Volksfront auf 27 Prozent, Macrons Lager nur auf 20 Prozent, auch andere Umfragen sehen die Le-Pen-Partei bei weit über 30 Prozent. Bei den letzten Parlamentswahlen kam der RN auf 89 Abgeordnete. Um die absolute Mehrheit zu erreichen, müsste er 289 von 577 Mandaten erlangen. Doch das dürfte schwierig werden. In der Nationalversammlung könnten der RN und Verbündete nach Hochrechnungen, basierend auf den Umfragen, auf 250 bis 280 Sitze kommen, das Mehrheitsbündnis von Präsident Macron auf 90 bis 110 statt derzeit 245, und die vereinte Linke auf 150 bis 170 Sitze von bisher 153, die konservativen Republikaner (LR) und Verbündete auf 35 bis 45 von 74. 


„Wir müssen kämpfen, damit RN nicht an die Macht kommt. “
Marcus Thuram, französischer Fußballnationalspieler

Im gesamten Land werden Proteste von Gewerkschaften und Linksparteien organisiert. Bei den Demonstrationen kam es immer wieder zu Ausschreitungen. Für Aufsehen sorgte auch, dass die Spieler der französischen Fußballnationalmannschaft Kylian Mbappé und Marcus Thuram während der gerade ausgetragenen UEFA-Fußballeuropameisterschaft sich gegen den RN aussprachen. Thuram erklärte: "Wir müssen kämpfen, damit RN nicht an die Macht kommt." Mbappé stimmt ihm zu.

Präsident Macron schießt mit heftiger Kritik gegen die Konkurrenz von links und ultrarechts und warnt, Frankreich drohe ein "Bürgerkrieg". Wirtschafts- und Finanzminister Bruno Le Maire kritisiert die Programme, sieht sie als Ruin für das Land. Auch Ökonomen haben beide Wirtschaftsprogramme unter die Lupe genommen. Das Fazit: Sie unterscheiden sich kaum und wären mit extremen Kosten für das hochverschuldete Frankreich verbunden.

Zweitstärkste Kraft sind die Linken, doch ein Spitzenpolitiker polarisiert

Wird es ein linker oder rechtsnationaler Premierminister? Diese Frage steht im Raum, seit die Linken laut Umfragen die zweitstärkste Kraft abgeben. Linkspolitiker Jean-Luc Mélenchon von La France Insoumise (LFI) hat sich als Premierminister ins Spiel gebracht. Doch selbst beim Linksbündnis gilt der altgediente Politiker als zu radikal. Im Europawahlkampf setzte er auf eine pro-palästinensische Kampagne mit antisemitischen Tönen. Der erfolgreiche sozialistische Spitzenkandidat bei den EU-Wahlen, Raphaël Glucksmann, hat sich gegen ihn ausgesprochen. Bei den Linken wird immer wieder ein Name ins Gespräch gebracht, der die Nation einigen könnte: Laurent Berger, bis vor einem Jahr Chef der gemäßigten Gewerkschaft CFDT. Im Interview mit "Le Monde" klang seine Antwort darauf verhalten, aber nicht ganz ablehnend. Sollte Macrons Rechnung aufgehen, wäre das ein Geniestreich, so Frankreichs Medien. Mit Glucksmann und Berger könnte er sich arrangieren.

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Umfragen sind aufgrund des Systems in zwei Wahlgängen ungenau, wobei sich im zweiten Wahlgang oft Bündnisse in den Wahlkreisen ergeben, wenn sich in der ersten Runde drei Kandidaten qualifiziert haben. Die Umfragen geben in Prozenten nur das Ergebnis des ersten Wahlgangs wieder. Die Schätzungen für die tatsächlichen Sitze sind vage. Die Grünen haben schon erklärt, dass ihre Abgeordneten im zweiten Wahlgang verzichten werden, wenn sie auf Platz drei liegen und jene Partei empfehlen wollen, die im jeweiligen Wahlkreis gegen den RN antritt. Die Bildung einer stabilen Mehrheit wird aber in jedem Fall sehr kompliziert werden.

Die Autorin ist Korrespondentin in Paris.