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Deutsch-Französische Freundschaft : 60 Jahre Elysée-Vertrag: Ein Rückblick

Vor 60 Jahren vereinbarten Deutschland und Frankreich eine enge Partnerschaft, verfolgten damit aber durchaus unterschiedliche Ziele.

30.01.2023
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4 Min

Das Bild ihrer Umarmung ging um die Welt: Gerade hatten Staatspräsident Charles de Gaulle und Bundeskanzler Konrad Adenauer am 22. Januar 1963 im Salon Murat des Pariser Élysée-Palasts den "Vertrag über die deutsch-französische Zusammenarbeit" unterschrieben, als der Franzose plötzlich sein Gegenüber in die Arme schloss - zur Überraschung der Anwesenden und Adenauers selbst. "Das war etwas völlig Neues ", erklärt der Historiker und Politologe Stefan Seidendorf. "Männer, Politiker und noch dazu Kriegsgegner umarmten sich nicht", so der stellvertretende Direktor des Deutsch-Französischen Instituts in Ludwigsburg. Nicht ganz ohne Hintergedanken habe de Gaulle den Deutschen "zur Brust" genommen, der Wirkung dieser Emotionsbezeugung sei sich der General durchaus bewusst gewesen.

Historische Versöhnung

Auch heute, 60 Jahre später, hat das Bild seine Symbolkraft nicht verloren. Steht es doch für die historische Versöhnung der sogenannten "Erbfeinde" Deutschland und Frankreich. Daran anknüpfend hätten spätere deutsche und französische Staats- und Regierungschefs die Freundschaft immer wieder wort- und bildmächtig beschworen, so Seidendorf. "Denken wir nur an Kohl und Mitterrand händehaltend in Verdun." Der "Élysée-Vertrag", 18 Jahre nach Kriegsende geschlossen, war der Auftakt: Darin verpflichteten sich die Nachbarländer zu Freundschaft und intensiver Zusammenarbeit in politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Fragen.

Nur acht Seiten lang ist das Dokument, das heute als "Jahrhundertvertrag" gilt. Der Inhalt des auf schwerem Büttenpapier gedruckten und von den Unterzeichnern mit Siegeln versehenen Textes hat es aber in sich: So legt der Vertrag einen verbindlichen Konsultationsmechanismus fest, der für Staats- und Regierungschefs ebenso gilt wie für Minister und Spitzenbeamte. Mindestens zweimal jährlich sollen sich die Chefs treffen, Minister mindestens alle drei Monate. Vereinbart wurde zudem eine umfassende Kooperation und Koordinierung in der Außen-, Europa- und Verteidigungspolitik sowie eine enge Zusammenarbeit in Erziehungs- und Jugendfragen.

Eine solche Verknüpfung der Politik zweier Länder sei bis heute beispiellos, sagt Seidendorf. In den deutsch-französischen Beziehungen markiert das den Beginn einer neuen Ära - wenngleich der Vertrag weder der Anfang noch der Schlusspunkt des Aussöhnungsprozesses war, wie Historiker oft betonten.

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In der Tat gingen ihm wichtige Annäherungsschritte voraus, wie die Gründung der Montanunion 1951 oder die Einigung in der umstrittenen Saarfrage 1956. Trotzdem verlief die Entwicklung der deutsch-französischen Freundschaft nicht linear. Von Anfang an war sie auch von Missverständnissen geprägt, die auf unterschiedlichen Zielen und Interessen beruhten: Neben der Aussöhnung ging es der französischen Außenpolitik auch darum, ein Wiedererstarken des Nachbarn sowie ein amerikanisches Übergewicht in Europa zu verhindern. Die junge Bundesregierung strebte mit ihrer multilateralen Bündnispolitik danach, außenpolitische Souveränität und internationales Vertrauen zurückzugewinnen. So erfuhr die Euphorie der Vertragsunterzeichner schnell einen Dämpfer: Verträge seien wie junge Mädchen und Rosen - sie hielten, so lange sie hielten, stellte de Gaulle ernüchtert im Juli 1963 bei einem Treffen mit Adenauer fest. Der Grund: Der Bundestag hatte zur Ratifizierung dem Vertrag eine Präambel vorangestellt, die nach Auffassung de Gaulles den Vertrag entwertete. Tatsächlich wurde der von den Staats- und Regierungschefs eingeschlagene Kurs damit korrigiert: Die Präambel betont die engen Beziehungen zu USA, Großbritannien und Nato. Groß war die Sorge auf deutscher Seite gewesen, die Bundesrepublik werde sich durch einen exklusiven Pakt mit Frankreich isolieren und sowohl die atlantische Partnerschaft als auch die europäische Zusammenarbeit gefährden.

Für den französischen Präsidenten ein Affront. Dessen Ärger versuchte Adenauer zu beschwichtigen: Rosen, insbesondere die mit Dornen, seien sehr widerstandsfähig, so Bundeskanzler: "Die Freundschaft zwischen Frankreich und Deutschland ist wie ein Rosenstock, der immer Knospen und Blüten tragen wird." De Gaulle wirkte besänftigt, mahnte aber: Der Vertrag sei nicht wie eine Rose, sondern ein "Rosengarten". Während eine einzelne Rose rasch verwelke, halte der Rosengarten unbegrenzt, "wenn man sich die Mühe macht, ihn zu pflegen".

"Vertrag ist kein Selbstläufer"

Trotz der Skepsis zeitgenössischer Beobachter - der Élysée-Vertrag funktioniere, meint auch Seidendorf. Als Schlüssel habe sich der Konsultationsmechanismus erwiesen. Scheinbar unspektakulär und einfach sei er "das wahre Genie des Vertrags". Viele hätten das damals nicht erkannt: "Weil nur die Treffen und ansonsten wenig Konkretes vereinbart wurde, war das Echo: 'Kurz gesprungen, schnell vergessen'", sagt Seidendorf. Eine Fehleinschätzung. Durch die institutionalisierten Treffen sei eine "Pfadabhängigkeit" entstanden, die das Ausscheren erschwere. Das zeige etwa die Aufregung um den abgesagten Ministerrat im Oktober.

Doch der Vertrag sei kein "Selbstläufer", betont der Politologe. Es brauche den politischen Willen, um die Beziehungen zu pflegen. "Ist der Wille da, bietet der Vertrag die nötige Infrastruktur für weitreichende Kooperationsprojekte." Ob das Deutsch-Französische Jugendwerk, die gemeinsame Brigade, der Kulturkanal Arte oder der vereinbarte Ausbau deutsch-französischer Zugverbindungen - im heute breiten Netz der Zusammenarbeit war der Élysee-Vertrag der erste Knoten.