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EU-Sondergipfel in Brüssel : Europa schlägt härtere Gangart gegen Migranten ein

Auf ihrem Sondergipfel haben sich die EU-Staaten auf einen verschärften Kurs in der Migrationspolitik geeinigt. Doch bei der Umsetzung droht neuer Streit.

13.02.2023
True 2024-01-23T11:44:56.3600Z
4 Min

Besserer Grenzschutz, schnellere Abschiebungen und zwei Pilotprojekte an den Außengrenzen Rumäniens und Bulgariens, um illegale Migration einzudämmen - auf diesen verschärften Kurs in der Asyl- und Migrationspolitik haben sich die 27-EU-Staaten Ende vergangener Woche auf ihrem Sondergipfel geeinigt. Die "Asylbremse" werde nun europaweit angezogen, freute sich Österreichs Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP), der zuvor mit einer Blockade der Abschlusserklärung gedroht hatte, sollten die Staaten nicht endlich eine härtere Gangart einschlagen. Zusammen mit Ländern wie Schweden, Italien, Bulgarien und die Niederlande, hatte er auch gefordert, Migranten mit neuen, von der EU-finanzierten Mauern und Zäunen am Grenzübertritt zu hindern.

Foto: picture-alliance/dpa/Felix Kästle

Geflüchtete in einer zur Notunterkunft umfunktionierten Sporthalle in Friedrichshafen am Bodensee. 2022 haben mehr als 923.000 Menschen Asyl in der EU beantragt, fast doppelt so viele wie im Vorjahr.

Von ihnen steht nun allerdings nichts in der Abschlusserklärung. Dafür das Vorhaben, EU-Mittel für "Infrastruktur" an den Grenzen zu mobilisieren - was viele Auslegungen möglich macht. Wahrscheinlich ist, dass etwa Bulgarien EU-Geld erhält, um seine Grenze zur Türkei aufzurüsten. Aber auch, dass die Diskussion um neue Zäune bald in die nächste Runde geht.

Die offene Formulierung im Abschlussdokument dürfte ein Zugeständnis an Länder wie Deutschland und Luxemburg sein, die sich gegen mehr Abschottung stemmen. Luxemburgs Premierminister Xavier Bettel nannte es vor dem Gipfel eine "Schande, wenn eine Mauer in Europa gebaut würde, mit den europäischen Sternen drauf". Und auch die deutsche Europa-Staatssekretärin Anna Lührmann (Grüne) stellte klar: "Von den Vorschlägen halten wird nichts."

Scholz für mehr Kontrollen an den Außengrenzen

Im Bundestag ging Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) nicht direkt auf das umstrittene Thema ein. In seiner Regierungserklärung kurz vor dem Gipfel sprach er sich aber für mehr Kontrollen an den Außengrenzen aus und betonte, vor allem auf eine bessere Zusammenarbeit mit Herkunfts- und Transitländern setzen zu wollen, damit diese Staatsangehörige ohne Bleiberecht zurücknehmen. Dieser ihm wichtige Punkt hat es auch in die Gipfel-Schlussfolgerungen geschafft. Der Kanzler hob zugleich die Vorzüge von Migration hervor: Immer mehr Länder in Europa seien auf Arbeitskräftezuwanderung angewiesen, auch Deutschland.

Hilfe und Unterstützung für Geflüchtete, aber auch die Bekämpfung von Fluchtursachen in den Herkunftsländern stellte Grünen-Fraktionschefin Katharina Dröge in den Vordergrund. "Kein Mensch flieht ohne Grund", sagte sie. Entwicklungszusammenarbeit und Krisenprävention seien daher "kein Nice-to-have". Statt um die Finanzierung von Zäunen an den EU-Außengrenzen sollte es "um unsere gemeinsame Verantwortung gehen", mahnte Dröge.

Linke: Europa befindet sich in Krise der Solidarität

Cornelia Ernst, flüchtlingspolitische Sprecherin von Die Linke im Europaparlament, sieht die EU ohnehin nicht in einer Migrationskrise. Dem Berliner "Tagesspiegel" sagte sie, Europa befinde "in einer Krise der Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten". Damit spielt sie auf den seit 2015/16 währenden Streit um die faire Verteilung von Migranten und Asylbewerbern an, der bis heute ungelöst ist.

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Tatsache ist aber auch, dass die Zahl der Flüchtlinge in Europa zuletzt massiv gestiegen ist. Allein 4,8 Millionen Ukrainer haben die EU-Staaten seit Beginn des russischen Angriffskriegs aufgenommen; sie müssen hier kein Asyl beantragen. Dazu kamen 2022 rund 924.000 Asylanträge von Bewerbern aus anderen Ländern - ein Anstieg um fast 50 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Die illegalen Grenzübertritte an den EU-Außengrenzen sind auf mehr als 330.000 angewachsen, den höchsten Stand seit 2016.

"In vielen Landkreisen, Städten und Gemeinden unseres Landes sind die Aufnahmekapazitäten mittlerweile erschöpft", mahnte Unionsfraktionschef Friedrich Merz (CDU) daher im Bundestag. Er warf dem Kanzler vor, "noch einmal mehrere Hunderttausend zusätzlich in das Land einladen, um hier zu arbeiten und zu leben". Darauf sei das Land in der gesamten Infrastruktur aber nicht vorbereitet. Für AfD-Fraktionschefin Alice Weidel hat Scholz seine "eigentliche Aufgabe", die Sicherheit der Bürger zu gewährleisten, vernachlässigt. Die "letzten Migrationsschleusen" habe er im Zuge des "unsäglichen Einbürgerungsgesetzes" geöffnet.

Umsetzung der Beschlüsse ist offen

Kommissionschefin Ursula von der Leyen lobte nach dem Gipfeltreffen, es sei gelungen, konkrete Schritte im Kampf gegen die irreguläre Migration zu vereinbaren. Doch Absichtserklärungen sind das eine, ihre Umsetzung etwas anderes. Dass es daran hapern könnte, machte Alexander Graf Lambsdorff (FDP) deutlich. "Alle diese Maßnahmen sollen streng national erfolgen. Es gibt in der Asyl-, in der Migrationspolitik und im Grenzschutz keine europäische Zuständigkeit." Um voranzukommen brauche es daher einen "großen Sprung nach vorne, eine echte europäische Gemeinsamkeit", so sein Appell.

Auch Fabian Funke (SPD) stellte klar, er erwarte in der Migrationspolitik keine "großen Ad-hoc-Lösungen" angesichts der divergierenden Ansichten im Rat. Dabei, urteilte er, sei "die Blockade einer kohärenten und humanen europäischen Migrationspolitik langfristig schädlicher für den Wohlstand in Deutschland und in Europa, als es jede Energiekrise oder Pandemie je sein könnte".

Zum Dossier "Migration - Reizthema mit unversöhnlichen Lagern?"