NATO : "Europas Kraft wird größer"
Bundestag stimmt mit breiter Mehrheit für einen Beitritt Finnlands und Schwedens zum westlichen Militärbündnis.
Wenn der russische Präsident eine "Finnlandisierung Europas" anstrebe, bekomme er als Antwort nun eine "Natoisierung Europas", so hat es US-Präsident Joe Biden auf dem Nato-Gipfel in Madrid Ende Juni formuliert - und damit auf die Beitrittswunsch Finnlands und Schwedens angespielt, die sich über lange Zeit eigentlich als neutral verortet hatten. Am vergangenen Freitag hat der Bundestag - in Anwesenheit der Botschafterinnen beider Länder - mit großer Mehrheit grünes Licht für einen Beitritt Finnlands und Schwedens zum westlichen Militärbündnis gegeben. Das Parlament stimmte einem gemeinsamen Gesetzentwurf der Fraktionen von SPD, CDU/CSU, Bündnis 90/Die Grünen und FDP zu, in dem die verfassungsmäßigen Voraussetzungen für eine Zustimmung von deutscher Seite geregelt sind. Für den Entwurf stimmte neben Union und Koalitionsfraktionen auch die AfD-Fraktion bei zwei Enthaltungen und zwei Nein-Stimmen aus ihren Reihen. Die Linksfraktion votierte dagegen. Mit der Zustimmung des Bundesrates, die am Freitag kurz darauf erfolgte, steht einer Ratifizierung nichts mehr im Wege. Die Entscheidung gilt auch als Signal an weitere Nato-Bündnispartner, die jeweils noch ihr Placet geben müssen, bevor Finnland und Schweden Mitglied werden können. Am vergangenen Dienstag hatten die Botschafter der 30 Bündnisstaaten im Nato-Hauptquartier in Brüssel in Anwesenheit der Außenminister der beiden nordischen Länder bereits die sogenannten Beitrittsprotokolle unterzeichnet. Eine formelle Beitrittseinladung Schwedens und Finnlands wurde Ende Juni beim Nato-Gipfel in Madrid beschlossen. Beide Länder hatten im Mai einen Antrag auf Mitgliedschaft gestellt.
Herausragende Bedeutung des Beitritts hervorgehoben
In der Debatte betonten die Vertreter von Bundesregierung, den Ampelfraktionen und der Union den Zugewinn an Sicherheit für das Verteidigungsbündnis durch die Aufnahme der beiden skandinavischen Länder sowie für diese selbst. "Die geplanten Beitritte Finnlands und Schwedens zum Nordatlantischen Verteidigungsbündnis sind von herausragender Bedeutung für uns und unsere Partner angesichts der Erschütterungen, die wir aufgrund des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine in Europa und in der ganzen Welt erfahren", sagte Tobias Lindner (Grüne), Staatsminister im Auswärtigen Amt. Dass beide Länder ihre Neutralität hinter sich lassen würden, sei auch ein "Vertrauensbeweis" für das Bündnis. "Wir stärken heute die demokratische Mitte der Nato."
Johann Wadephul (CDU) bezeichnete den Beitritt beider Länder als Zeichen dafür, dass "Putins neoimperiale Politik" krachend gescheitert sei. Der Entschluss Finnlands und Schwedens zeige, wie attraktiv die Nato sei: "Quicklebendig nach über 70 Jahren - nicht hirntot. Existenziell für die Sicherheit des Westens - nicht obsolet." Der Beitritt sei ein Zugewinn für das Bündnis, insbesondere für den Ostseeraum, und damit insbesondere auch für Deutschland.
Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) sprach von einer Stärkung jener Friedensordnung und Sicherheitsarchitektur in Europa, die Russlands Präsident Putin mit seinem brutalen Angriffskrieg zerstören wolle. "Er erreicht nur das Gegenteil von dem, was er sich erhofft hatte: Die Demokratien werden wehrhafter, sie rücken zusammen. Der Westen, den er so verachtet, wird stärker, nicht schwächer." Lambrecht hob zudem hervor, dass der "europäische Fußabdruck" in der Nato größer werde. "Europas Kraft wird größer, und die USA werden entlastet."
AfD sieht keinen Grund zum Jubeln
Alexander Gauland (AfD) betonte, dass der Wunsch beider Länder nach größerer Sicherheit zu akzeptieren sei. "Zum Jubel besteht kein Anlass. Zu einem realpolitischen Willkommen schon." Die Einschätzung, dass die Ausdehnung der Nato von Russland nie akzeptiert worden und eine der Ursachen für die "krisenhafte Zuspitzung" in Europa sei, bleibe indes richtig. Es sei wichtig, dass keine Nato-Truppen oder Atomwaffen auf dem Territorium Finnlands und Schwedens stationiert würden.
Alexander Graf Lambsdorff (FDP) wandte sich gegen solche "Legendenbildung". Das "Narrativ des bedrängten Russlands" solle nur der Bemäntelung der Unterstützung einer russischen Außenpolitik dienen, die "expansionistisch, revisionistisch und gewalttätig ist". Den Abschied von der traditionellen Neutralität bezeichnete Lambsdorff als "dramatischen Wendepunkt" in der Geschichte Finnlands und Schwedens. Ihr Beitritt zum Bündnis bedeute insbesondere für das Baltikum und den Ostseeraum einen enormen Sicherheitsgewinn.
Gregor Gysi (Die Linke) verwies auf die Zugeständnisse, die Schweden und Finnland gegenüber der Türkei gemacht hätten in Bezug auf die Unterstützung bestimmter kurdischer Gruppen. Der Preis, den die Nato an die Türkei zahlen müsse, sei "zu hoch", sagte Gysi. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan werde "noch dreister werden nach seinem Erfolg", er führe jetzt bereits "völkerrechtswidrige Kriege" gegen die Kurden in Syrien und im Irak.
Agnieszka Brugger (Bündnis 90/Die Grünen) sprach von einem "großen Gewinn für die euroatlantische Sicherheit". Finnland und Schweden seien nicht nur militärisch sehr fähige Staaten, sondern auch eine starke Stimme in der Welt für handlungsfähige Diplomatie, für Rüstungskontrolle, für zivile Konfliktbearbeitung und eine feministische Außenpolitik.
Michael Roth (SPD) wandte sich gegen die russische "Lügenpropaganda", eine immer aggressivere Nato greife nach Osten aus, ignoriere russische Sicherheitsinteressen und stelle eine Gefahr für die Friedensordnung in Europa dar. Allerspätestens seit dem Angriff auf die Ukraine sei klar: "Es gibt in Europa nur einen Aggressor, nur ein Land, das die Friedens- und Freiheitsordnung bedroht, und das ist Russland, und das ist Putin."