Nationalratswahl in Österreich : FPÖ liegt in Umfragen knapp vorn
Erstmalig könnte die FPÖ die Nationalratswahl gewinnen. Doch für eine Regierung braucht die Rechtsaußen-Partei zumindest einen Partner. Macht es die ÖVP?
Im letzten "Wahlduell" im ORF hat Herbert Kickl auf eine überraschende Weise versucht, den Spieß umzudrehen. Dem früheren Innenminister Österreichs und Parteivorsitzenden der rechten FPÖ wird von den anderen Parteien gewöhnlich seine Radikalität vorgeworfen. Einen "gefährlichen Mann" hat ihn die Kanzlerpartei ÖVP im Wahlkampf genannt. Aber als Kickl nun vor den Kameras dem ÖVP-Chef und Bundeskanzler Karl Nehammer gegenüberstand, unterstellte er ihm nun seinerseits, der Radikale im Raum zu sein. Denn Nehammer habe während der Corona-Pandemie radikale Maßnahmen durchgesetzt, die sich gegen die eigene Bevölkerung gerichtet hätten.
Wie die FPÖ die Corona-Zeit genutzt hat
Damals hat die österreichische Regierung aus ÖVP und Grünen als erste und einzige in Europa eine Corona-Impfpflicht beschlossen. Die Impfung wurde als "Game-Changer" bezeichnet, also als das Mittel, das die Lage grundlegend verändern werde. Es stellte sich dann heraus, dass die Impfungen zwar viele Menschen vor schwerwiegenden Krankheitsverläufen schützten, aber nicht vor einer Ansteckung an sich. Die Impfpflicht wurde denn auch in Österreich letztlich nie mit Zwangsmaßnahmen durchgesetzt.
Ein "Game-Changer" war sie dennoch, nämlich im politischen Spektrum. Kickl polte die FPÖ in Sachen Corona-Maßnahmen auf Fundamentalopposition. Wissenschaftlich waren seine Vorschläge keineswegs unangreifbar. Aber politisch wurde die rechte Partei in seinen Händen in dieser Zeit zur Nummer eins. In allen Umfragen führt sie seit Anfang des vergangenen Jahres. Und nicht nur in Umfragen. Auch bei der ersten landesweiten Wahl, der Europawahl im Frühjahr, erhielt die FPÖ mehr Stimmen als jede andere Partei in Österreich. Das war ein Novum. Nicht einmal die notorischen Jörg Haider oder Heinz-Christian Strache haben das geschafft.
Die ÖVP würde mit der FPÖ wieder koalieren, allerdings nicht mit Herbert Kickl (rechts). Dem hat ÖVP-Chef und Bundeskanzler Karl Nehammer (links) bereits eine Absage erteilt.
So hofft die FPÖ auch auf einen Wahlsieg bei der Nationalratswahl am Sonntag. Schon seit geraumer Zeit beansprucht Kickl, mit der Regierungsbildung beauftragt zu werden. Als künftigen "Volkskanzler" sieht er sich. Das signalisiert einen fundamentalen Politikwechsel. In welche Richtung es gehen soll, hat er klar gesagt: Er stellt sich eine Politik vor wie im Ungarn von Viktor Orbán, mit dessen nationalkonservativer Partei Fidesz die FPÖ inzwischen auch in einer gemeinsamen Fraktion im Europaparlament sitzt.
Wahlkampfthema Migration: Kickl will "Festung Österreich" bauen
Bei seinem wichtigsten Wahlkampfthema, der Migration, verkündet Kickl einen kompletten Aufnahmestopp. Eine "Festung Österreich" will er bauen, da die von ihm an sich bevorzugte "Festung Europa" derzeit nicht zu machen sei, wie er im ORF-Fernsehduell ergänzte.
Zöge Herbert Kickl in das Bundeskanzleramt am Wiener Ballhausplatz ein, würde das zweifellos sowohl innenpolitisch als auch in den europäischen Partnerländern hohe Wellen schlagen. Schon als die FPÖ als Juniorpartner der christdemokratischen ÖVP 2000 und 2017 an die Regierung kam, gab es wöchentlich Proteste am Ballhausplatz. Im ersten Fall verweigerten einige Länder, darunter Deutschland, sogar eine Zeit lang bilaterale Kontakte und verhängten sogenannte Sanktionen.
Die ÖVP ist der FPÖ zuletzt wieder näher gerückt
Bei aller vorauseilenden Aufregung, die bereits zu spüren ist, muss man aber zurechtrücken: Dass Kickl tatsächlich Bundeskanzler wird, ist sehr unwahrscheinlich. Erstens ist es keineswegs ausgemacht, dass die FPÖ tatsächlich stärkste Kraft wird. Wahlen in der jüngeren Vergangenheit haben gezeigt, dass die FPÖ manchmal in Umfragen und sogar noch Prognosen am Wahlabend überschätzt wird. Zuletzt ist ihr die ÖVP wieder näher gerückt. Nehammer versucht, potenzielle Wähler anderer Parteien zu gewinnen, indem er das als einzige Möglichkeit darstellt, einen Wahlsieg Kickls noch zu verhindern.
Zweitens bräuchte die FPÖ auch im für sie günstigsten Fall mindestens einen Koalitionspartner. Mit den Freiheitlichen zu koalieren, haben SPÖ, Grüne und die liberalen Neos grundsätzlich ausgeschlossen. ÖVP-Chef Nehammer hat zumindest der Person Kickl eine Absage erteilt. Das ließe ein Hintertürchen, falls der FPÖ-Vorsitzende darauf verzichten würde, in eine Regierung mit der ÖVP einzutreten, wie einst Jörg Haider. Nur: Genau das hat Kickl kategorisch ausgeschlossen. Das wäre "Wählerbetrug", bekräftigte er zuletzt.
Kanzler wird nicht vom Parlament gewählt, sondern vom Bundespräsidenten ernannt
Kickl habe Zeit, hört man in den Reihen der "Blauen". Wenn es diesmal noch nicht reiche, weil sich eine "Allparteienkoalition" gegen ihn zusammenschließe, dann schlage seine Stunde halt nächstes Mal. 2029 wird er erst 60.
Wissenswertes zur Wahl in Österreich
👩💼 👨💼 Bei der Wahl am 29. September werden die 183 Abgeordneten des österreichischen Nationalrats gewählt.
🗳️ In Österreich darf man seit 2007 ab 16 Jahren wählen. Rund 6,3 Millionen Menschen, die in Österreich leben, sind bei der Nationalratswahl 2024 wahlberechtigt.
📅 Die Wahllokale öffnen in einigen Teilen des Landes bereits um 6 Uhr am Morgen. In einigen Regionen, wie etwa Vorarlberg, müssen die Stimmen bis 13 Uhr abgegeben sein. Die meisten Wahllokale schließen um 16 Uhr, in Wien sind die Wahllokale bis 17 Uhr geöffnet.
Das dritte Hindernis dürfte diesmal also noch keine Rolle spielen. Es ist das Staatsoberhaupt. Anders als in Deutschland wird in Österreich der Kanzler nicht vom Parlament gewählt, sondern vom Bundespräsidenten ernannt. Amtsinhaber Alexander Van der Bellen hat zwar nicht ausdrücklich ausgeschlossen, dass er Kickl ernennen würde, aber doch unter Verweis auf sein Gewissen angedeutet, dass er das nicht vorhabe. Schließlich hat er selbst Kickl 2019 nach der Ibiza-Affäre als Innenminister entlassen - ein bis dahin beispielloser Vorgang. Auch hier gilt allerdings: Kickl kann warten. Van der Bellens Amtszeit endet 2029. Dann könnte die FPÖ gleich beide maßgeblichen Staatsämter ins Visier nehmen. 2016 scheiterte der "blaue" Kandidat Norbert Hofer nur äußerst knapp an Van der Bellen.
Welche Rolle spielt die Flut für den Wahlausgang?
Zwei Wochen vor der Abstimmung hatte der Wahlkampf eine Zwangspause. Weite Teile des Landes wurden durch sintflutartige Regenfälle überschwemmt. Das ganze Bundesland Niederösterreich war Katastrophengebiet. Kann das die Wahl noch beeinflussen? Kanzler Nehammer könnte hoffen, dass er als tüchtiger, aber unaufdringlicher Krisenmanager wahrgenommen wurde; zumindest hat er keine Fehler gemacht.
Und die grünen Wahlkämpfer vermelden, dass sie wieder öfter auf ihr Thema Klimaschutz angesprochen werden. Die FPÖ hat - mehr noch als die ÖVP - kritisch gegen Maßnahmen zum Klimaschutz Position bezogen, besonders gegen den europäischen sogenannten "Green Deal". Aber das dürfte ihre Anhänger tatsächlich nur wenig beeindrucken. Dass die Flut nunmehr ein "Game Changer" gegen die FPÖ wird, wie die Pandemie einer für sie war, ist nicht zu erwarten.