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Gastkommentare : Steht die Abkehr vom Green Deal zur Debatte? Ein Pro und Contra

Muss Ursula von der Leyens "Green Deal" der EU nach der Europawahl neu verhandelt werden? Markus Fasse und Anja Wehler-Schöck im Pro und Contra.

14.06.2024
True 2024-06-14T11:01:00.7200Z
3 Min

Pro

Vieles an der Kritik der Industrie ist berechtigt

Foto: Max Brunnert
Markus Fasse
schreibt für das "Handelsblatt".
Foto: Max Brunnert

Das hochindustrialisierte Europa soll als erster Kontinent der Welt klimaneutral werden. Das ist der Kern des Green Deals, den Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen vor fünf Jahren initiiert hat. Es ist ein richtiges Ziel. Nur durch konsequente Dekarbonisierung der Wirtschaft kann der Klimawandel gemildert werden.

Doch nach der Europawahl fordert die Industrie ein Umsteuern in der Klimapolitik. Die Ziele seien zu ehrgeizig, die Vorgaben zu starr, kritisieren vor allem Logistik-, Luftfahrt-, Auto- und Chemieindustrie. Man könnte das als übliches Lamentieren der Industrie abtun, die sich lästiger Vorschriften entledigen will. Vieles an der Kritik ist jedoch berechtigt. Lufthansa-Chef Carsten Spohr ärgert sich über teure E-Fuels, während Golf-Airlines mit billigem Sprit fliegen. BMW-Chef Oliver Zipse warnt vor der Abhängigkeit von China bei Batterierohstoffen. Ex-BASF-Chef Martin Brudermüller kritisiert, dass die EU Chemikalien verbietet, die für die Energiewende nötig sind. Der EU-Rechnungshof betont in einem Bericht, Europa dürfe bei seinem Klimaschutz-Ehrgeiz nicht die industrielle Souveränität aufs Spiel setzen.

Der Green Deal darf kein Diktat sein, sondern muss ein Konsens zwischen Politik, Industrie und Verbrauchern werden. Die Politik soll einen Rahmen schaffen, in dem die Industrie profitabel arbeitet und Verbraucher klimaschonende Produkte nutzen können. Das funktioniert nur, wenn die Industrie weiter in Europa investiert. Die Einigkeit aller demokratischen Kräfte über die Populisten hinweg ist die wichtigste Ressource für wirksamen Klimaschutz und darf nicht verspielt werden. Deshalb ist es richtig, den Green Deal nach der Europawahl auf eine neue Grundlage zu stellen.

Contra

Es gibt keine Mehrheit für eine Rücknahme des Green Deals

Foto: Tagesspiegel/Nassim Rad
Anja Wehler-Schöck
arbeitet beim "Tagesspiegel".
Foto: Tagesspiegel/Nassim Rad

Das Geunke um die Zukunft des Green Deals ist so alt wie das Klimapaket selbst. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sei damit zu weit gegangen, habe viele Menschen überfordert, ihre Sorge vor einem Wohlstandsverlust nicht ernst genommen, lauteten manche Vorwürfe. Nicht nur aus dem rechten Spektrum, sondern auch aus ihrer eigenen Fraktion, der Europäischen Volkspartei.

Nun ist der befürchtete Rechtsruck bei den Europawahlen eingetreten. Viele der erstarkten Rechtsparteien sind gegenüber klimapolitischen Vorhaben wie dem Green Deal skeptisch bis feindselig eingestellt. Sie werden nicht nur im Europäischen Parlament ein größeres Gewicht haben, sondern auch im Rat. Denn in etlichen EU-Mitgliedstaaten sind rechtspopulistische oder rechtsextreme Parteien derzeit zumindest an der Regierung beteiligt.

Und dennoch: Für eine Rücknahme des Green Deal gibt es auch unter den neuen Bedingungen keine Mehrheit. Zwar wird Ursula von der Leyen Zugeständnisse machen müssen. Nicht nur auf ihrem Weg zu einer zweiten Amtszeit an der Spitze der EU-Kommission. Auch um für ihre Vorhaben immer wieder aufs Neue Mehrheiten zu finden. Doch an ihr liegt es nun, dafür zu sorgen, dass der Green Deal dabei nicht verwässert wird.

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Als "Mondlandung" bezeichnete sie 2019 den Green Deal. Das ist ihr Klimapaket keineswegs. Eher ein erster Schritt, um die Zukunft unseres Planeten für kommende Generationen sichern. Dahinter darf die EU nicht zurückfallen. Die sich häufenden Extremwetterereignisse bieten einen Vorgeschmack auf das, was uns in den kommenden Jahrzehnten erwarten wird, wenn konsequenter Klimaschutz nicht bald politischer Konsens wird.