Union und AfD feiern - Verluste für Ampel-Parteien : Christdemokraten gewinnen die Europawahl
Die Union hat die Europawahl in Deutschland mit großem Abstand gewonnen - vor der AfD, die zweitstärkste Kraft wurde. Die Grünen stürzen im Vergleich zu 2019 ab.
Bei den Europawahlen haben die christdemokratischen Parteien in Deutschland und in der EU einen klaren Sieg eingefahren. Zugleich konnten die Rechtsaußen-Parteien in wichtigen EU-Staaten deutlich zulegen und in Frankreich, Österreich, Italien und Ungarn stärkste Kraft werden – in Frankreich verkündete Präsident Emmanuel Macron als Reaktion noch am Abend die Auflösung des Parlaments und Neuwahlen. Trotz des Rechtsrucks im vereinten Europa hat die christdemokratische Europäische Volkspartei (EVP) zusammen mit Sozialdemokraten und Liberalen weiter eine – wenn auch geschrumpfte – Mehrheit im Parlament von über 400 der 720 Sitze. Ob sie zur Wiederwahl von Kommissionspräsidentin Ursula von Leyen reicht, ist aber ungewiss.
Rechtsaußen-Parteien deutlich von Blockademinderheit entfernt
Im Europaparlament konnte die EVP, der auch CDU und CSU angehören, ihre Position als stärkste Kraft noch ausbauen, sie wird demnach wohl 184 der 720 Sitze erreichen. Zweitstärkste Kraft bleiben die Sozialdemokraten, die mit leichten Verlusten auf 139 Mandate kommen. Größere Einbußen verzeichnen die Liberalen mit jetzt noch 80 Sitzen und die Grünen mit 52 Sitzen, die Linke kommt auf 36 Sitze.
Ursula von der Leyen (EVP) will Präsidentin der Europäischen Kommission bleiben.
Wie erwartet legten die Rechtsaußen-Parteien zu, allerdings nicht so drastisch wie im Vorfeld vorhergesagt: Das relativ gemäßigte Parteienbündnis der Europäischen Konservativen und Reformer (EKR) kommt der Hochrechnung zufolge auf 73 Sitze, das extremere Bündnis Identität und Demokratie (ID) auf 58 Mandate. Hinzu zu zählen sind aber noch Rechtsaußen-Mandate, die aktuell keiner Fraktion zugeordnet werden, das betrifft unter anderem die 15 Abgeordneten der AfD und die voraussichtlich elf Abgeordneten der ungarischen Fidesz-Partei. Dennoch sind die Rechtsaußen-Parteien deutlich von einer Blockademinderheit entfernt.
Ampel-Parteien brechen ein, BSW holt 6,2 Prozent
In Deutschland konnten CDU und CSU ihr Ergebnis von 2019 noch leicht steigern und kommen mit 30 Prozent mit weitem Abstand auf Platz eins (plus 1,1 Prozentpunkte). Zweitstärkste Partei ist die AfD mit 15,9 Prozent, deutlich mehr als die elf Prozent vor fünf Jahren.
Die regierenden Ampelparteien erlitten Verluste, die SPD fuhr mit 13,9 Prozent einen neuen historischen Minusrekord bei einer bundesweiten Wahl ein (minus 1,9 Prozentpunkte). Die Grünen büßten stark ein und erreichen nur noch 11,9 Prozent, vor fünf Jahren lagen sie noch bei 20,5 Prozent. Die FDP kommt auf 5,2 Prozent (minus 0,2 Prozentpunkte).
Das neu gegründete linke Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) schaffte aus dem Stand auf 6,2 Prozent - die Linke erreichte dagegen nur 2,7 Prozent, 2019 waren es mit 5,5 Prozent noch doppelt so viel. Die kleinen Parteien Freie Wähler, Volt, Die Partei, ÖDP, Tierschutzpartei und Familienpartei errangen ebenfalls Mandate; ihre Chancen waren größer als bei Bundestagswahlen, weil es bei dieser Wahl keine Sperrklausel gab.
Le Pen in Frankreich vorne: Neuwahl der Nationalversammlung Ende Juni
Europaweit bestimmten vor allem die zum Teil haushohen Siege von Rechtsparteien in wichtigen Mitgliedstaaten die Kommentare zum Wahlausgang: In Frankreich wurde die rechtsradikale Partei Rassemblement National von Marine Le Pen mit ihrem Spitzenkandidaten Jordan Bardella stärkste Partei, laut Hochrechnung liegt sie bei 32,4 Prozent der Stimmen – mehr als doppelt so viel wie Macrons pro-europäisches Mitte-Lager, das auf 15 Prozent kommt.
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat am Sonntagabend Neuwahlen verkündet.
Knapp dahinter kommen die Sozialisten mit 14,2 Prozent. Macron kündigte noch am Wahlabend als Konsequenz aus der Niederlage eine Neuwahl der Nationalversammlung an, die zwei Wahlgänge sind für den 30. Juni und 7. Juli geplant. „Ich kann am Ende dieses Tages nicht so tun, als ob nichts geschehen wäre“, sagte der Präsident.
Fidesz-Partei von Premier Orban verliert in Ungarn
In Ungarn konnte sich die Fidesz-Partei von Premier Viktor Orban zwar laut einem amtlichen Zwischenstand mit 44,3 Prozent auf Platz eins behaupten, im Vergleich zur Wahl 2019 ist das aber ein Verlust von acht Prozentpunkten; Orbans Herausforderer Peter Magyar erreichte mit seiner neuen Partei Respekt und Freiheit auf 30 Prozent.
In Italien wurde die rechtspopulistische Regierungspartei Fratelli d'Italia von Ministerpräsidentin Giorgia Meloni stärkste Kraft. Sie kam auf 28,6 Prozent – das ist ein Plus von mehr als 20 Punkten im Vergleich zur Wahl 2019. Auf Platz zwei liegt ein linkes Bündnis um die sozialdemokratische PD mit 25,6 Prozent. Meloni war selbst als Spitzenkandidatin ihrer Partei für das Europaparlament angetreten, sie wird das Mandat aber nicht annehmen.
In Österreich gewann laut dem vorläufigen Endergebnis die rechtspopulistische FPÖ mit 25,7 Prozent vor der konservativen ÖVP (24,7 Prozent) und der sozialdemokratischen SPÖ (23,2 Prozent). In Spanien ging die konservative PP mit 34,2 Prozent als Sieger aus der Wahl hervor, die regierenden Sozialisten kamen auf 30,2 Prozent. In Polen erreichte die liberalkonservative Bürgerplattform Ministerpräsident Donald Tusk knapp Platz eins (37,4 Prozent) vor der nationalkonservativen PiS-Partei (35,7 Prozent).
Von der Leyen benötigt eine doppelte Mehrheit
Bereits am Wahlabend erklärte EVP-Spitzenkandidatin von der Leyen für das christdemokratische Parteienbündnis: „Wir haben die Europawahlen gewonnen. Wir sind die stärkste Partei.“ Die EVP sei der „Stabilitätsanker“ und werde die „Bastion“ sein gegen extreme politische Kräfte von rechts und links. Die 65-Jährige markierte den Anspruch, auch die nächsten fünf Jahre als Präsidentin die EU-Kommission zu führen. Ihre Ausgangslage nach diesem Wahlabend ist besser als erwartet, die proeuropäischen Parteien dominieren weiter im Parlament.
Allerdings benötigt von der Leyen eine doppelte Mehrheit: Sie muss erst vom Europäischen Rat der Staats- und Regierungschefs mit qualifizierter Mehrheit nominiert werden, danach muss das neue EU-Parlament sie mit absoluter Mehrheit wählen. Die Regierungschefs werden voraussichtlich bei einem Gipfeltreffen am 27. und 28. Juni einen Vorschlag machen und sich dann auch auf die Besetzung weiterer Spitzenposten verständigen. Die Abstimmung im Parlament würde danach in der ersten Sitzungswoche vom 16. bis 19. Juli folgen. Doch vor allem im Parlament gilt eine Mehrheit für von der Leyen noch nicht als sicher: 2019 war sie vor allem von einem losen Bündnis aus EVP, Sozialdemokraten und Liberalen gewählt worden, bekam dennoch nur neun Stimmen mehr als notwendig.
Unübersichtliche Lage im zersplitterten rechten Lager
Von der Leyen kündigte an, nun umgehend Gespräche mit Liberalen und Sozialdemokraten aufzunehmen, mit denen sie gut zusammengearbeitet habe. Da es im Parlament keinen Fraktionszwang gibt und von der Leyen auch im Mitte-Lager Gegner hat, dürfte es sehr knapp werden. Die Kommissionspräsidentin hatte deshalb schon vor der Wahl nach zusätzlicher Unterstützung gesucht – bei den Grünen, aber auch bei Parteien rechts von der EVP, vor allem bei den Abgeordneten der rechten Fratelli d´Italia von Giorgia Meloni.
Ein Dilemma: Sozialdemokraten, Liberale und Grüne drohen, von der Leyen nicht zu wählen, sollte sie mit Rechtsaußen-Parteien kooperieren. Die Lage ist unübersichtlich: Das zersplitterte rechte Lager muss sich erst sortieren und neu aufstellen – wohin Meloni steuert, ist offen. Sozialdemokraten, Liberale und Grüne wollen derweil verbindliche Absprachen mit von der Leyen zu Eckpunkten der Kommissionspolitik aushandeln.
Klimaschutz gefährdet? Grüne fordern Fortsetzung des Green Deal
Die SPD-Spitzenkandidatin Katarina Barley warnte am Sonntagabend, wer sich auf Meloni stütze, könne sich nicht gleichzeitig auf die demokratischen Fraktionen stützen. Doch der europaweite Spitzenmann der Sozialdemokraten, Nicolas Schmit, klang deutlich versöhnlicher und sagte, seine Parteienfamilie sei bereit zur Zusammenarbeit mit der EVP.
Die Grünen, die von der Leyen beim letzten Mal nicht gewählt hatten, forderten in Brüssel, der Green Deal zum Klimaschutz müsse fortgesetzt, die Demokratie gestärkt werden. Zugleich betonten sie aber auch, man wolle keine „verbrannte Erde hinterlassen“ und die Anforderungen an ihre Zustimmung für von der Leyen nicht zu hoch schrauben. Die Liberalen bekannten sich schon zu einer „Pro-Europa-Koalition“. Die Kommissionspräsidentin selbst erklärte kurz nach Mitternacht, sie sei „ziemlich zuversichtlich“, dass sie am Ende für eine zweite Amtszeit gewählt werde.
Die Regierungschefs geben der neuen EU-Kommission und der Person an ihrer Spitze einen groben Rahmen vor.
Einige Wähler haben nicht das Gefühl, dass ihre Stimme wirklich zählt. Am Schluss entscheiden andere über das Personal. Würde Direktwahl helfen? Ein Pro und Contra.
Politikwissenschaftler Nicolai von Ondarza erklärt, warum es keinen europaweiten Rechtsruck gibt und sich die Jugend konservativen und kleinen Parteien zuwendet.