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Zweiter Wahlgang in Frankreich : Macron hofft auf die Linken

Die rechte Partei Rassemblement National liegt nach dem ersten Wahlgang der Parlamentswahlen vorn. Aber die Entscheidung ist noch nicht gefallen.

05.07.2024
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5 Min

Jordan Bardella, Chef des rechtspopulistischen Rassemblement National (RN), glaubt, dass die Franzosen ihn als Premierminister wollen. Aber das ist ganz offensichtlich nicht der Fall. Beim ersten Wahlgang erreichte der RN 33 Prozent, das Linksbündnis Nouveau Front Populaire (Neue Volksfront) 28 Prozent und das Mehrheitsbündnis von Präsident Emmanuel Macron 20 Prozent. Bardella erklärte, er wolle "Premierminister für alle Franzosen" werden. Doch eine Ifop-Umfrage ergab, dass über 63 Prozent keine absolute Mehrheit für den RN wünscht.

Foto: picture alliance/Anadolu

In Frankreich protestieren vor allem junge Menschen gegen eine mögliche Regierung aus Rechtsnationalisten.

Entsprechend explosiv ist die Stimmung im Land. Viele Medien schreiben bereits über "Das Ende des Macronismus" und spekulieren über die mögliche Sitzverteilung in der Nationalversammlung, dem französischen Parlament. Zurzeit gibt es kaum ein anderes Thema.

Die Wahlbeteiligung im ersten Wahlgang lag bei 67 Prozent - und war damit viel höher als bei anderen Wahlen. Die Gewerkschaften rufen dazu auf, gegen den RN zu stimmen, ebenso zahlreiche Politiker, und auf der Straße wird protestiert. Der Präsident und das Nouveau Front Populaire (NFP) kämpfen vor dem zweiten Wahlgang am 7. Juli gemeinsam gegen den Mann von ganz rechts.

Die Programme der Rechten sind unbezahlbar, sagen ihre Gegner

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Medien, Politiker und Arbeitgeberverbände wie Medef stellen die Programme von RN und NFP allerdings beide als unbezahlbar dar. Sie seien mit einer hohen Neuverschuldung verbunden, weil die Schuldengrenzen der Europäischen Union abgelehnt werden. Beide Programme haben eine nationalistische Sicht auf die Wirtschaft, sehen Freihandelsabkommen skeptisch und wurden als hohes Risiko für die Herabstufung Frankreichs durch Ratingagenturen gewertet.

Aber 300 namhafte Ökonomen unterstützen in einem Brief das Linksbündnis. Das Programm beruhe im Wesentlichen "auf Steuermaßnahmen, die auf sehr hohe Einkommen und Vermögen konzentriert sind, was dazu führt, Ungleichheiten zu reduzieren". Die Politik Präsident Macrons für Unternehmen und Reiche sei fehlgeschlagen. Das öffentliche Defizit in Frankreich sei eines der höchsten in Europa.

Frankreich ist gespaltener als je zuvor

Das Land ist seit Amtsantritt von Macron im Jahr 2017 noch stärker gespalten als jemals zuvor. Zwar lobten Arbeitgeberverbände seine Wirtschaftspolitik mit Reformen des Arbeitsmarktes und der Rente. Doch bei vielen Franzosen kamen die Streichungen im Sozialbereich schlecht an. Der Präsident sei elitär, hieß es oft. Seine Wählerschaft ist deshalb eher älter und wohlsituiert. Viele junge Leute wählten links, vor allem in den großen Städten. Die RN konnte überall aufholen und ist nicht mehr nur auf den Süden Frankreichs und ärmere Regionen beschränkt. Der 28-jährige Bardella hat die oberen Gesellschaftsschichten und mehr junge Leute gewonnen, Marine Le Pen fuhr eher einen sozialen Kurs für Menschen mit geringer Bildung und kleinem Gehalt. Bardella wirkt liberal-bürgerlich und beherrscht den Umgang mit den sozialen Medien. Doch nun könnten Macron und die Linke seine ehrgeizigen Pläne vereiteln.


„Es wird nie eine Allianz zwischen uns und La France Insoumise geben.“
Premierminister Gabriel Attal

Konservative Politiker und Zeitungen wie "Le Figaro" und "Le Point" warnen vor einem Bündnis Macron-Mélenchon. Zum NFP gehören neben den Sozialisten auch Grüne, die Kommunisten sowie die Linkspartei La France Insoumise von Jean-Luc Mélenchon - jenem Politiker, den Präsident Macron stets als "undemokratisch" kritisiert hatte. Premierminister Gabriel Attal stellte Anfang dieser Woche jedoch klar: "Es wird nie eine Allianz zwischen uns und La France Insoumise (LFI) geben." Was aber die gemeinsame Strategie für die Stichwahl gegen den RN nicht ausschließe.

Lagerübergreifendes Zweckbündnis hat sich formiert

Die Parteien des linken Nouveau Front Populaire und Macron haben entschieden, sich in Wahlkreisen zurückzuziehen, in denen drei Kandidaten für die Stichwahl qualifiziert sind und ihr Kandidat im ersten Wahlgang nur auf Platz drei gelangte. Das sind die sogenannten "triangulaires". In diesem Jahr waren es über 300 nach dem ersten Wahlgang, so viele wie noch nie. Auch Mélenchon schloss sich an: "Unsere Empfehlung ist einfach, direkt und klar." Es dürfe keine zusätzliche Stimme und keinen zusätzlichen Sitz für den RN geben.

Nun hat sich zwar ein lagerübergreifendes Zweckbündnis formiert, doch nicht alle waren einverstanden. Macron rief zu einem "breiten Zusammenschluss" gegen den RN auf, machte allerdings die Einschränkung, dieser müsse "klar demokratisch und republikanisch" sein. Einige Politiker aus seinen Reihen, darunter Wirtschaftsminister Bruno Le Maire und Ex-Premierminister Edouard Philippe, betonten, keinen Rückzug für einen LFI-Kandidaten zu empfehlen. 221 Kandidaten haben verzichtet, darunter 132 aus dem Linksbund, 81 aus dem Lager des Präsidenten - auch in Wahlkreisen von LFI. In Frankreich gibt es 577 Wahlkreise für die Nationalversammlung, die absolute Mehrheit liegt bei 289 Sitzen. Nur 76 Kandidaten wurden im ersten Wahlgang gewählt, davon 38 RN-Abgeordnete. Bisher stellt der RN 88 Sitze.

Macron geht einen Pakt mit den Linken ein

Damit verringert sich die Wahrscheinlichkeit, dass die Rechtspopulisten am Sonntag eine absolute Mehrheit der Sitze erlangen. In der Stichwahl gewinnt der Kandidat, der die meisten Stimmen erreicht, die relative Mehrheit genügt. Allerdings schließt Macrons Pakt mit den Linken eine rechtsextreme Regierung noch nicht vollständig aus: Wähler aus Macrons Reihen müssten nämlich links wählen, um den RN zu verhindern. Bardella erklärte zu Beginn der Woche, er wolle nur Premierminister werden, wenn er die absolute Mehrheit von 289 Sitzen erzielt. Die Partei scheint davon nun abzurücken und zieht es laut Marine Le Pen auch bei der relativen Mehrheit von 270 Sitzen in Erwägung.

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Für die EU und die deutsch-französischen Beziehungen wäre eine rechtspopulistische Regierung eine Belastung, der Präsident, der bis 2027 gewählt ist, hätte kaum noch Macht. Bei einer sogenannten Kohabitation müsste Präsident Macron in innen- und wirtschaftspolitischen Fragen die Macht an eine Regierung abgeben, die die Parlamentsmehrheit hat.

Der Präsident ernennt den Premierminister nach den Mehrheitsverhältnissen. Mit dem linken Lager könnte Macron sich arrangieren, außer mit dem LFI. Es ist unwahrscheinlich, dass eine Partei die absolute Mehrheit erreicht. Nur eins ist sicher: Selbst wenn der Rassemblement National nicht die Regierung stellt, wird es in der Nationalversammlung so viele RN-Abgeordnete geben wie noch nie. Aufgrund der drei starken Blöcke könnten Entscheidungen blockiert werden, mehr noch als bisher, als Macron mit seiner Partei die relative Mehrheit hatte.

Die Autorin ist Korrespondentin in Paris.