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Anton Hofreiter im Interview : "Nötig ist ein neuer EU-Fonds"

Grünen-Politiker Hofreiter fordert einen schuldenfinanzierten EU-Fonds von bis zu 400 Milliarden Euro. Das Geld soll für die Ukraine und EU-Rüstungsprojekte fließen.

08.05.2024
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5 Min

Herr Hofreiter, angesichts des russischen Angriffskriegs, des Terrors in Nahost und der sich zuspitzenden Taiwan-Frage: Wie wichtig ist die anstehende Europawahl?

Anton Hofreiter: Sie ist sehr wichtig. Wahlen haben angesichts der rechtspopulistischen und rechtsradikalen Bedrohung für unsere Demokratie eine ganz neue Bedeutung bekommen.

Inwiefern?

Anton Hofreiter: Als ich Kind war, war die Frage, ob der Bundeskanzler Helmut Kohl oder Helmut Schmidt heißt. Bei allen großen politischen Unterschieden waren beide pro-europäisch und anständige Demokraten. So war es auch in Amerika im Wettstreit der großen Parteien. Heute fragen wir uns, ob es die US-Demokratie übersteht, wenn Donald Trump wieder Präsident wird. In Europa greifen die Verbündeten Russlands und auch Chinas, nämlich die Rechtsradikalen, die Demokratie von Innen an.

Foto: Anton Hofreiter / Paul Bohnert
Anton Hofreiter (Bündnis 90/Die Grünen)
ist seit 2005 im Bundestag und seit Dezember 2021 Vorsitzender des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union. Der 54-jährige Diplom-Biologe wurde 2003 in seinem Fachgebiet promoviert und ist neben seiner politischen Arbeit als unabhängiger Postdoc am Institut für Systematische Botanik tätig.
Foto: Anton Hofreiter / Paul Bohnert

Was hat das EU-Parlament in der vergangenen Wahlperiode bewirkt?

Anton Hofreiter: Das Parlament war in den vergangenen fünf Jahren entscheidender Antreiber, etwa bei der Unterstützung der Ukraine. Auch beim Schutz der Rechtsstaatlichkeit in den EU-Mitgliedsländern hat das Parlament die EU-Kommission und die nationalen Regierungen angetrieben. Denken Sie an Ungarn und dessen Präsidenten Viktor Orban. Hier wäre ohne das Europaparlament nahezu nichts passiert. Das Parlament war darüber hinaus Initiator für die Transformation der Industrie, dem Green Deal, mit dem Europa bis 2050 klimaneutral werden will. Auch gegenüber China zeigt vor allem das Parlament, dass die EU Dumping-Methoden etwa bei Solarmodulen im internationalen Wettbewerb nicht akzeptieren wird. Beim European Chips Act, der dafür sorgen soll, dass die europäische Industrie ihre große Abhängigkeit bei Halbleitern aus Asien zumindest etwas reduziert, war das EU-Parlament ebenfalls führend.

Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU) gilt als gesetzt für eine zweite Amtszeit. Gibt es bei dieser Wahl wirklich eine Wahl für die Bürger?

Anton Hofreiter: Frau von der Leyen macht weiter, wenn die Europäische Volkspartei (EVP) die stärkste Fraktion stellt. Wenn eine andere Fraktion stärker wird, dann macht von der Leyen als Kommissionspräsidentin nicht weiter. Nun gehen viele aufgrund der aktuellen Umfragen davon aus, dass die EVP stärkste Fraktion wird. Aber die Entscheidung liegt bei den Wählerinnen und Wählern.

Aber die nationalen Regierungen schlagen die Person vor, die Kommissionspräsident wird, nicht das Parlament.

Anton Hofreiter: Ja, aber das Parlament muss zustimmen.

Wie beurteilen Sie die Forderung nach einem EU-Verteidigungskommissar?

Anton Hofreiter: Es kann sinnvoll sein, dass sich jemand um die zentrale Fragen von Rüstung und Verteidigung kümmert. Notwendig sind aber vor allem finanzielle Mittel.

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Also ein EU-Fonds für Verteidigung?

Anton Hofreiter: Ja. Das hätte nicht nur den Vorteil, dass Europa stärker wird, sondern auch, dass die Rüstungsindustrie eine effizientere Beschaffung sicherstellen könnte, im Vergleich zur heute zersplitterten europäischen Verteidigungspolitik mit 27 nationalen Verteidigungshaushalten.

Muss Deutschland dann künftig noch mehr Geld nach Brüssel überweisen?

Anton Hofreiter: Das wird schwierig angesichts der aus der Zeit gefallenen deutschen Schuldenbremse. Nötig ist deshalb ein neuer EU-Fonds, den die EU über eigene Kredite finanziert.

Wie groß sollte so ein Fonds sein?

Anton Hofreiter: Das müsste nochmal im Detail durchgerechnet werden. Aus meiner Sicht wäre ein Volumen von 300 bis 400 Milliarden Euro in den kommenden fünf Jahren sinnvoll. Mit dem Geld sollte die Ukraine unterstützt und gemeinsame Rüstungsprojekte der EU-Mitgliedsstaaten finanziert werden.

Das EU-Parlament hat kürzlich schärfere Regeln für die Migration beschlossen. Steht nun die Festung Europa?

Anton Hofreiter: Für die EU war es wichtig, sich zu einigen. Ob diese Einigung die Situation materiell in irgendeine Richtung verbessert, ist zweifelhaft. Das Thema ist komplex. Und schon vorher haben sich eine Reihe von Ländern nicht an die Regeln gehalten.

Ist der Beschluss zufriedenstellend?

Anton Hofreiter: Zufrieden kann man nicht sein, nach wie vor ist die EU-Südgrenze die tödlichste Grenze der Welt. Tausende Menschen ertrinken jährlich im Mittelmeer. Auch beim Kampf gegen die Fluchtursachen kann man nicht zufrieden sein. Noch immer richtet die Fischerei- und Landwirtschaftspolitik der EU in anderen Regionen der Welt gewaltige Schäden an. Zwar agiert mittlerweile China noch gefährlicher, aber auch europäische Fangflotten fischen weiterhin die Küsten Afrikas leer. Dazu kommen die EU-Agrarexporte, die Kleinbauern in Westafrika ruinieren.


„Die Demokratie muss sich darin beweisen, dass sie mit ihren Gegnern fertig wird.“
Anton Hofreiter (Bündnis 90/Die Grünen)

Wie schlimm ist die EU-Agrarpolitik?

Anton Hofreiter: Wir können in vielerlei Hinsicht stolz auf die EU sein - unsere Landwirtschafts- und Fischereipolitik gehört mit Blick auf die Länder des globalen Südens nicht dazu.

Wie wichtig ist die Zusammenarbeit des Europa-Ausschusses des Bundestags mit dem EU-Parlament?

Anton Hofreiter: Sehr wichtig. Im Europa-Ausschuss des Bundestags arbeiten als kooptierte Mitglieder einige deutsche Abgeordnete des Europaparlaments mit. Teilweise sind diese bei Ausschusssitzungen vor Ort in Berlin dabei, teilweise digital. Andersherum sind die Mitglieder des Europaausschusses regelmäßig vor Ort in Brüssel. Wichtig sind auch die regelmäßigen Treffen der Europaausschüsse der nationalen Parlamente inklusive der assoziierten Staaten, das sogenannte COSAC-Format. Dazu kommt die Zusammenarbeit der Fraktionen des Bundestags mit denen des Europaparlaments.

Auf welchem politischen Feld sticht diese Arbeit besonders hervor?

Anton Hofreiter: Ein gutes Beispiel ist die frühzeitige Positionierung aller demokratischen Fraktionen zum Thema Georgien. Dort will die Regierung mit ihrem sogenannten Agentengesetz demokratische Grundprinzipien aushebeln. Wir haben im Europaausschuss viele Abgeordnete, die sich tiefgehend mit einzelnen Ländern befassen und große Expertisen einbringen.

Wenn Sie sagen, "demokratische Fraktionen", schließt das die AfD ein?

Anton Hofreiter: Nein, die AfD arbeitet im Ausschuss nicht konstruktiv mit.

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Vor einem Jahr erschütterte ein Korruptionsskandal das EU-Parlament, nun gibt es weitere Fälle in Berlin und Brüssel. Was heißt das für die Demokratie?

Anton Hofreiter: Diese Fälle muss man sehr genau unterscheiden. Im EU-Parlament wurde 2022 aufgedeckt, dass sich demokratische Abgeordnete von ausländischen Staaten haben kaufen lassen. Das ist schlimm genug. Dazu kommen jetzt aber die Fälle des AfD-Europaabgeordneten und Spitzenkandidaten Maximilian Krah und des AfD-Bundestagsabgeordneten Petr Bystron. Bei Krah und Bystron geht es nicht um klassische Korruption, sondern darum, dass beide Verbündete der Autokraten Putin und Jinping sind, und dafür offenbar Geld bekommen. Das ist eine Truppe von Landesverrätern im Dienste Moskaus und Pekings. Die Demokratie muss sich darin beweisen, dass sie mit ihren Gegnern fertig wird.

Wie zuversichtlich sind Sie, dass die Demokratie sich so beweisen kann?

Anton Hofreiter: Ich bin da sehr zuversichtlich. Es wird immer wieder davon geredet, dass die Brandmauer nach rechts wackelt. Die vergangenen sechseinhalb Jahre, seitdem die AfD im Bundestag sitzt, erlebe ich aber, dass die Trennlinie zwischen den demokratischen Fraktionen im Bundestag und der AfD deutlich klarer geworden ist, auch weil die AfD immer offener zeigt, wie radikal sie ist.


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