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Konflikt im Westbalkan : Pulverfass Nordkosovo

Ein unter EU-Vermittlung ausgehandeltes Abkommen soll den Serbien-Kosovo-Konflikt endlich entschärfen. Doch die Beteiligten sträuben sich.

15.05.2023
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Wir haben einen Deal." Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell wirkte sichtlich erleichtert, als er Mitte März im nordmazedonischen Ohrid vor die Journalisten trat. Nach zwölfstündiger Marathonsitzung hätten Serbien und Kosovo einer Einigung über die Umsetzung eines Abkommens zur Normalisierung ihrer Beziehungen zugestimmt, erklärte er.

Schon im Februar hatten Serbiens Präsident Aleksandar Vucic und der kosovarische Ministerpräsident Albin Kurti unter EU-Vermittlung um ein neues Abkommen gerungen, das die Beziehungen zwischen den beiden verfeindeten Balkanstaaten grundlegend regeln soll. Im Kern sieht es vor, dass Serbien de facto die Unabhängigkeit des Kosovos anerkennt und ihm die Mitgliedschaft in internationalen Organisationen wie etwa in den Vereinten Nationen (VN) erlaubt. Als Gegenleistung erhält die serbische Minderheit im Kosovo Autonomierechte und Selbstverwaltung.

Foto: picture-alliance/AA/Milos Miskov

Protest in Belgrad: Serbische Nationalisten demonstrieren im März dieses Jahres gegen ein von der EU vermitteltes Abkommen, das die Beziehungen zwischen Serbien und Kosovo normalisieren soll.

Nato zwang serbische Truppen zum Rückzug aus dem Kosovo

Näher seien die beiden verfeindeten Nachbarstaaten einer Lösung noch nie gekommen, urteilen Experten. Doch die Euphorie ist inzwischen verflogen: Das Abkommen wurde von den Streitparteien nicht unterzeichnet. Zwar beeilte sich Borrell zu versichern, die Einigung sei völkerrechtlich auch ohne Unterschriften gültig. Aber vor allem die Umsetzung der Vereinbarungen ist offen.

Wie schwer es ist, den Konflikt zu befrieden, zeigt ein Blick in die Geschichte. Die historischen Wurzeln der heutigen Auseinandersetzungen reichen weit zurück: Über Jahrhunderte war Kosovo ein Teil des Osmanischen Reiches. Nach dessen Zusammenbruch kam es 1912 zu Serbien, obwohl die große Mehrheit der Bevölkerung Albaner war.

Seit Anfang der 1980er Jahre versuchte diese Mehrheit, sich abzuspalten. Auf Angriffe von albanischen Freischärlern antwortete Serbien Ende der 1990er Jahre mit der Vertreibung von bis zu 800.000 Kosovo-Albanern. Nato-Bomben zwangen 1999 serbische Truppen zum Rückzug aus dem Kosovo.

Einige EU-Länder verweigern die Anerkennung Kosovos

Im Jahr 2008 verkündete das offiziell seine völkerrechtliche Unabhängigkeit. Mehr als 110 Staaten haben diese anerkannt - nicht aber Russland und China, die als VN-Vetomächte Serbien unterstützen. Auch die EU-Mitglieder Spanien, Griechenland, Zypern, die Slowakei und Rumänien verweigern wegen offener Minderheitenfragen im eigenen Land die Anerkennung Kosovos. Schon gar nicht akzeptiert Serbien die Unabhängigkeit des Kosovo und gibt nicht auf, die frühere Provinz wieder in sein Staatsgebiet einzugliedern.


„Es gibt weder Verhandlungen über eine gegenseitige Anerkennung noch über eine UN-Mitgliedschaft Kosovos.“
Aleksandar Vučić, Präsident der Republik Serbien

Und so führte die von der EU vermittelte Einigung zwischen Serbiens Präsident Aleksandar Vucic und dem kosovarischen Ministerpräsidenten Albin Kurti im März prompt zu Protesten in der serbischen Hauptstadt Belgrad. Zuvor hatten im Januar zahlreiche nationalistische Gruppen und Parteien einen Appell "zur Rettung des Kosovos" unterzeichnet. "Mehr als 80 Prozent der Bürger" seien gegen die Abspaltung.

Der Konflikt dient Russland als Blaupause für den Ukraine-Krieg

Der Serbien-Kosovo-Konflikt galt lange als eingefroren, auch wenn regelmäßig Gewalt durch Provokationen aufflackerte. Doch der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine hat die Lage verändert: Aus Sorge, Präsident Wladimir Putin könne versuchen, den Konflikt für sich zu nutzen, starteten zunächst der französische Präsident Emmanuel Macron und Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) im vergangenen Jahr eine neue Vermittlungsinitiative.

Tatsächlich betrachtet Putin den Krisenherd als Blaupause für seinen Angriffskrieg gegen die Ukraine. So wie der Westen zugelassen habe, dass sich die Kosovo-Albaner von Serbien trennten, müsse dieser akzeptieren, dass Russland sich "seine" Gebiete wie die Halbinsel Krim oder die Ost-Ukraine zurückhole.

Wie die USA und die EU das Eingreifen der Nato gegen Serbien 1999 mit einem drohenden Völkermord an den Kosovo-Albanern begründet hätten, könne Moskau auch im Fall der Ukraine argumentieren. Für den von Russland behaupteten Genozid an Landsleuten in der Ostukraine konnten allerdings nie Beweise vorgelegt werden.

Keine Verhandlungen über eine gegenseitige Anerkennung

Die Verhandlungsinitiative tritt nun auf der Stelle. Die Kontrahenten spielen weiterhin nicht mit. "Es gibt weder Verhandlungen über eine gegenseitige Anerkennung noch über eine UN-Mitgliedschaft Kosovos", beschrieb Vucic seine roten Linien im Februar. Kurti verwarf den EU-Vorschlag für einen "Verband serbischer Kommunen", der die Selbstverwaltung der Minderheit vor allem im Norden Kosovos ermöglichen sollte.

"Ich bin mit dem Entwurf grundsätzlich nicht einverstanden", versicherte er immer wieder. Dieser führe zu einer Lage wie in Bosnien-Herzegowina, wo die Serben seit langem mit der Abspaltung ihres Landesteils drohen.

Sonderpolizei mitten im Wohngebiet der serbischen Minderheit

Durch die jüngsten Schachzüge beider Seiten hat sich die Lage noch mehr verkompliziert: Die Serben verließen alle Kosovo-Institutionen wie Parlament, Justiz, Kommunalverwaltung und Polizei. Damit wollten sie gegen die Gewalt kosovarischer Polizisten gegen Serben protestieren.

Als Antwort hat der Kosovo im April Kommunalwahlen organisiert, die von den Serben boykottiert wurden. Gleichzeitig hat die Regierung die Enteignung von privatem serbischen Grund und Boden angekündigt, um mitten im Wohngebiet der serbischen Minderheit weitere Stützpunkte der Sonderpolizei einzurichten.

Warnung vor einer neuerlichen Zuspitzung des Konflikts

Statt politischen Sprengstoff zu entschärfen, wird die Lage so noch stärker angeheizt. Anfang Mai warnte der EU-Außenbeauftragte Borrell vor einer erneuten Zuspitzung des Konflikts.

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Seit 1999 sind deutsche Soldaten Teil der Nato-geführten Mission, die seit Ende des Kosovo-Kriegs die Region stabilisieren soll. Der schon jetzt längste Einsatz der Bundeswehr könnte noch länger dauern: Nicht wenige Kritiker behaupten, Vucic und Kurti seien gar nicht an einer Lösung der Dauerkrise interessiert.

Mit der Befeuerung von Nationalismus und Populismus lasse sich trefflich von der wirtschaftlichen und sozialen Misere großer Teile ihrer Bevölkerung ablenken und die eigene Macht sichern.

Der Autor war langjähriger dpa-Korrespondent für Südosteuropa.