EU-Gipfel : Raus aus der Warteschleife
Die Ukraine und Moldau sind Beitrittskandidaten - Enttäuschung bei Westbalkanstaaten.
Die von Russland angegriffene Ukraine und ihr Nachbarland Moldau können sich als frischgebackene EU-Beitrittskandidaten Hoffnungen auf eine Zukunft im gemeinsamen Europa machen. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und die anderen 26 Staats- und Regierungschefs der EU gaben am Donnerstag beim Gipfel in Brüssel grünes Licht für den Kandidatenstatus. Ratspräsident Charles Michel und der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sprachen von einem "historischen Moment", EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen von einem "guten Tag für Europa".
Die EU-Spitzen und die Staats- und Regierungschefs der Mitgliedsländer haben den Weg für die Ukraine und Moldau als Beitrittskandidaten frei gemacht.
Enttäuschung gab es hingegen im Kreis der Westbalkanländer, die wie Montenegro, Nordmazedonien, Albanien und Serbien im Kandidatenstatus verharren oder diesen wie Bosnien und Herzegowina und Kosovo erst noch anstreben. Ein Grund für die Verzögerung ist Bulgariens Veto unter Verweis auf geschichts-, sprach- und minderheitenpolitische Befindlichkeiten bei den Verhandlungen mit Nordmazedonien und Albanien. Für Bosnien und Herzegowina will die Kommission nun immerhin zügig eine Beitrittsperspektive prüfen.
Beitrittskandidaten müssen zunächst Reformauflagen erfüllen
Eine Garantie auf eine Aufnahme in die EU ist der Kandidatenstatus nicht. Nach einer Empfehlung der EU-Kommission sollen EU-Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine und Moldau erst dann beginnen, wenn diese weitere Reformauflagen erfüllt haben. Dabei geht es in einem ersten Schritt etwa um Justizreformen und eine stärkere Korruptionsbekämpfung.
Seinen Fahrplan für den bevorstehenden Gipfel-Marathon von EU, G7 und Nato hatte der Kanzler am Vortag in einer Regierungserklärung im Bundestag vorgelegt. Signale der Entschlossenheit und des Zusammenhalts gegen den russischen Angriffskrieg sollten von diesen Treffen ausgehen und auch ein Zeichen andauernder Solidarität mit der Ukraine. Mit "allem Nachdruck" setze er sich dafür ein, das die EU geschlossen für eine EU-Perspektive für die Ukraine stimme, sagte Scholz. "27-mal Ja zum Kandidatenstatus". Dies sei eine Antwort Europas auf die Zeitenwende. Dieselbe Antwort verdienten auch die Länder des westlichen Balkans.
"Wir werden die Ukraine auch weiterhin massiv unterstützen - finanziell, wirtschaftlich, humanitär, politisch und nicht zuletzt mit der Lieferung von Waffen. Und zwar so lange, wie die Ukraine unsere Unterstützung braucht", sagte Scholz. Er warb für einen "Marshallplan" für den Wiederaufbau des kriegszerstörten Landes. Um langfristige Hilfe zu organisieren kündigte Scholz unter anderem an, im Rahmen der deutschen G7-Präsidentschaft eine internationale Expertenkonferenz einberufen.
Union unterstützt den Prozess
Unionsfraktionschef Friedrich Merz begrüßte, "dass nun auch endlich die Lieferung der Waffen in Gang kommt", die man gemeinsam im April für die Ukraine beschlossen und die der Kanzler seit Wochen angekündigt habe. "Wir hätten es uns früher vorstellen können." Positiv wertete Merz, dass Scholz gemeinsam mit Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, Italiens Ministerpräsident Mario Draghi und Rumäniens Präsident Klaus Iohannis Anfang Juni Kiew besucht hatte. "Das war ein wichtiges Zeichen der europäischen Solidarität mit diesem unverändert geschundenen Land und seinen Menschen." Dass Russland nun offenbar dabei sei, die Spannungen zu Litauen zu verschärfen, zeige, "dass wir in unserer Einschätzung richtig liegen, dass Putin in der Ukraine gestoppt werden muss. Wenn das nicht gelingt, macht er weiter."
Katharina Dröge (Grüne) sprach von einer Gleichzeitigkeit der Krisen, die es zu lösen gelte. "Unser Hunger nach fossilen Energien, der hat uns nicht nur in ein massives Sicherheitsrisiko" und Abhängigkeit von russischen Gas geführt, sagte die Grünen-Fraktionsvorsitzende. Dieser Hunger nach fossilen Energien sei auf der anderen Seite auch der "Brandbeschleuniger für die Klimakrise."
Tino Chrupalla (AfD) stellte sich gegen den Sanktionspolitik gegen Russland. Die Bundesregierung glaube, auf eine Kooperation mit einem der rohstoffreichsten Länder der Welt verzichten zu können. "Auch wir verurteilen den russischen Angriff auf die Ukraine", betonte der AfD-Partei- und Fraktionschef. Aber nur Dialog und Zusammenarbeit könnten den Frieden wiederherstellen.
Der FDP-Fraktionsvorsitzende Christian Dürr betonte, beim EU-Kandidatenstatus für die Ukraine gehe es um "die Perspektive auf Freiheit, auf Wohlstand und auf Rechtsstaatlichkeit", und damit um die Werte, die das russische Regime mit seinem Angriffskrieg fundamental bedrohe und zerstören wolle. "Putin hat Angst vor Demokratie und vor der Freiheit", und genau diese Werte verteidige die Ukraine.
Dietmar Bartsch (Die Linke) sprach sich gegen einen schnellen EU-Beitritt der Ukraine aus. "Wer einmal in der EU ist, der kann nicht mehr ausgeschlossen werden, und wir alle wissen, dass die EU schon heute sehr problematische Mitglieder hat", sagte der Vorsitzende der Linksfraktion. "Wie soll denn ein Land, auf das es Raketen regnet, über 35 Beitragskapitel und mehr als Hunderttausend Seiten des Rechtsbestandes der EU verhandeln?"
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Gabriela Heinrich (SPD) wandte sich gegen Vorwürfe, die Bundesregierung lasse es an Hilfe für die Ukraine vermissen. Deutschland unterstütze als einer der größten Geber nicht nur militärisch, sondern seit langer Zeit umfassend finanziell, wirtschaftlich und humanitär. " Der Union warf Heinrich vor, diese Unterstützung kleinzureden. Der ukrainische Außenminister habe davon gesprochen, dass Deutschland "die erste Geige" in Europa spiele. "Sie wollen uns glauben machen, wir bimmeln nur mit der Triangel."