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Foto: picture alliance/dpa
Von keinem anderen Land in Europa gehe derzeit so viel Unsicherheit und Unklarheit aus wie von Deutschland, so die Kritik von Oppositionsführer Merz (rechts im Bild) am Kurs von Kanzler Scholz.

Regierungserklärung nach der Europawahl : Scholz verordnet Zuversicht

Ukrainekrieg, Energiepreise, schwächelnde Wirtschaft: Der Kanzler räumt eine Vertrauenskrise ein. Die Opposition macht die Ampel für die Unsicherheit verantwortlich.

28.06.2024
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4 Min

Eigentlich soll es eine Ausblick sein auf die Gipfeltreffen von Europäischer Union und Nato. Dazu sprach Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) am Mittwoch in einer Regierungserklärung zwar auch im Bundestag, doch warf er wie die Abgeordneten in der Debatte zunächst einmal den Blick zurück auf die Europawahl, deren Ergebnisse in Deutschland - Stimmenverluste für die Ampel-Parteien und Zuwächse an den politischen Rändern - fraktionsübergreifend als Zäsur bewertet wurden.

Scholz: Stärkung der Sicherheit - auch im Sozialen

Scholz selbst bezeichnete das Ergebnis der Wahl als "Einschnitt" für Europa. Es habe eine klare Auswirkung, dass so viele Krisen gleichzeitig Vertrauen und Sicherheitsgefühl infrage gestellt hätten. "Wir müssen dafür sorgen, dass Zuversicht wieder wächst in Deutschland und Europa." Dazu gehöre die Stärkung der Sicherheit im Inneren, im Äußeren und im Sozialen, sagte Scholz.


„Putin setzt weiter voll auf Krieg und Aufrüstung. Darüber darf niemand hinwegsehen.“
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD)

Damit war er beim Haushalt 2025 gelandet, über den die Bundesregierung derzeit verhandelt. Es dürfe "keine Einschnitte geben bei der sozialen Gerechtigkeit, bei Gesundheit, Pflege oder Rente", sagte Scholz. Ziel müsse aber auch sein, dass die Wirtschaft wieder schneller wachse. Die Koalition werde mit dem Haushalt einen "Wachstumsturbo" auf den Weg bringen.

Scholz ging zudem auf die Skepsis gegenüber der militärischen Unterstützung der Ukraine ein, die im Ergebnis der Europawahl zum Ausdruck gekommen sei. Er wies aber ausdrücklich die vom russischen Präsidenten Putin gestellten Bedingungen für einen Waffenstillstand zurück, zu denen der Verzicht der Ukraine auf die Halbinsel Krim und auf weite Teile der Ostukraine zählt. Wer glaube, dass die Ukraine dies überleben würde und dass daraus ein dauerhafter Frieden in Europa werde, "der muss schon sehr viel Russia Today schauen", sagte Scholz. "Putin setzt weiter voll auf Krieg und Aufrüstung. Darüber darf niemand hinwegsehen."

Merz: Ampel hat keine Idee, keinen Plan, kein Konzept mehr für Deutschland

In diesem Punkt hatte Scholz die Zustimmung von Unionsfraktionschef Friedrich Merz (CDU). In der Ukraine gehe es um die Frage, ob Demokratien im 21. Jahrhundert gegen die Aggression von Autokratien bestehen können. Merz kritisierte aber, dass Scholz grundsätzlich "immer noch unfähig und nicht willens zur Selbstkritik und zur Korrektur" seiner Politik sei. Scholz mache Krisen verantwortlich für das Erstarken von Links- und Rechtsradikalismus. Das sei aber die falsche Schlussfolgerung: "Sie sind dafür verantwortlich, dass die Probleme in unserem Lande nicht gelöst werden."

Von keinem anderen Land in Europa gehe derzeit so viel Unsicherheit und so viel Unklarheit aus wie von Deutschland - dem Land, das eigentlich der europäische Stabilitätsanker sein und von dem Führungsverantwortung ausgehen müsste, sagte Merz. Deutschland habe an Wettbewerbsfähigkeit verloren. Die Koalition werde nur noch von der Not zusammengehalten, habe keine Idee, keinen Plan, kein Konzept mehr für Deutschland, werden nur noch vom Machterhalt zusammengehalten.


Sahra Wagenknecht im Portrait
Foto: Bundestagsfraktion DIE LINKE
„Die Wähler erteilen Ihnen und der Ampel eine Abfuhr sondergleichen, und Sie machen einfach weiter, als wäre nichts passiert.“
Sahra Wagenknecht (BSW)

Grünen-Fraktionschefin Britta Haßelmann warf Merz vor, das Land schlechtzureden und zu spalten. Sie wies insbesondere Merz' Kritik am neuen Staatsbürgerschaftsrecht zurück. Es gebe 20 Millionen Menschen mit einer Einwanderungsgeschichte, die sich zu diesem Land bekennen würden. "Für sie schaffen wir ein besseres und auch liberaleres Staatsbürgerschaftsrecht, wie es das in vielen anderen europäischen Ländern gibt."

AfD wirft Ampel vor, Interessen der Bürger zu ignorieren

Der AfD-Fraktionsvorsitzende Tino Chrupalla warf der Ampel vor, die Interessen der Bürgerinnen und Bürger nicht zu vertreten. "Nur wenn die Bürger abgeholt werden und sich auch wahrgenommen fühlen, werden sie auch die Institutionen und die Akteure dahinter akzeptieren." Dies geschehe aber nicht. "Das ist der Grund für die Klatsche, Herr Scholz, die sie bei der Europawahl bekommen haben."

In diese Kerbe schlug für das BSW auch Sahra Wagenknecht: "Herr Bundeskanzler, Ihr Verständnis von Demokratie ist wirklich bemerkenswert. Die Wähler erteilen Ihnen und der Ampel eine Abfuhr sondergleichen, und Sie machen einfach weiter, als wäre nichts passiert."

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Auch Sören Pellmann (Die Linke) hielt Olaf Scholz vor, weiter einen alten und falschen Kurs fortzusetzen, insbesondere in puncto Sicherheit: "Aufrüstung führt nur zur Drohkulisse und zur falschen Prioritätensetzung im Inneren, aber nicht zu mehr Frieden und Sicherheit."

Christian Dürr (FDP) äußerte klare Erwartungen an die bisherige und designierte zukünftige EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU): Für die Bestätigung einer zweiten Amtszeit gebe es im Europaparlament nach "fünf mehr oder weniger verlorenen Jahren voller Planwirtschaft und Bürokratie" von den liberalen Parteien keinen Freifahrtschein. Statt Bürokratie wie beim alten "Green Deal" brauche es einen Deal für Bürokratieabbau und Wettbewerbsfähigkeit und einen Deal zur Migration. Von der Leyens erste Amtshandlung sollte die Abschaffung des "unnützen Verbrennerverbots auf europäischer Ebene" sein, forderte Dürr.