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Vorbild für eine nachhaltige Altersvorsorge : Schweden setzt bei der Rente auf eine eigene Mischung

Das Konzept aus Umlage- und Kapitalfinanzierung hat sich bewährt. Entsprechend groß ist das ausländische Interesse am Rentensystem. Ein Blick auf die Details.

26.09.2024
True 2024-09-27T16:52:05.7200Z
4 Min

Erik, ein 48-jähriger Schwede, zögert ein wenig. "Ich weiß nicht, ich drücke mich bei Rentenfragen um Entscheidungen", sagt der Gründer und Mitbesitzer einer Produktionsfirma, die Podcasts und Rundfunkbeiträge produziert. In Schweden können sich alle Arbeitnehmer entscheiden, wie ein Teil ihrer Rentenbeiträge investiert werden soll, also ob in einen Staatsfonds oder in einem der rund 450 privaten Fonds.

Das schwedische Rentensystem stützt sich auf drei Pfeiler: Neben der staatlichen Altersrente gibt es die Betriebsrente für rund 90 Prozent aller Arbeitnehmer sowie eine freiwillige private Rentenversicherung. Das Besondere an dem System ist die Mischung aus umlagefinanzierter und kapitalgedeckter Rente.

Foto: picture alliance / Fotograf Rolf Adlercreutz AB

Die durchschnittliche Rente in Schweden liegt bei etwa 21.600 Kronen - das entspricht 1.853 Euro, die aber noch versteuert werden müssen.

Den Schweden stehen 454 verschiedene Fonds zur Verfügung

16 Prozent des Bruttogehalts werden in die umlagefinanzierte Rente eingezahlt. Weitere 2,5 Prozent fließen in eine kapitalgedeckte Altersvorsorge, die sogenannte Prämienrente. Die Rentenbeiträge von 18,5 Prozent teilen sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer.

Derzeit stehen 454 verschiedene Fonds zur Verfügung. Diese Zahl soll künftig etwas reduziert werden. Maximal fünf Fonds kann der Arbeitnehmer wählen. Obwohl Schweden eine lange Aktien- und Fondstradition hat, haben viele Beschäftigte aus Desinteresse oder Unkenntnis keine aktive Fondsauswahl getroffen. Für diesen Fall hat der Gesetzgeber den AP7-Fonds eingerichtet. AP7 steht für "Sjunde Allmänna Fonden", siebter allgemeiner Pensionsfonds. In diesen Staatsfonds fließen die 2,5 Prozent des Bruttogehalts, wenn man keinen der privaten Fonds gewählt hat. Die Beiträge von knapp der Hälfte aller schwedischen Arbeitnehmer landen in den AP7-Fonds. Erik gehört zu ihnen. "Ich bin etwas skeptisch, ob es richtig ist, mit der Rente an der Börse zu spielen", meint er. Allerdings ist ihm bewusst, dass auch der AP7-Fonds natürlich an der Börse investiert. "Mir scheint das aber sicherer".

Knapp über die Hälfte der Beitragspflichtigen hat sich gegen den Staatsfonds entschieden

Die Stockholmer Autorin Liselotte teilt diese Auffassung, hat sich aber dennoch vor Jahren für einen Tech-Fonds entschieden, der hauptsächlich in die Halbleiter-Branche investiert. "Das war einfach nur Glück", sagt sie. "Damals wusste ich ja noch nicht, dass Unternehmen wie Nvidia dermaßen erfolgreich werden", lacht sie. Knapp über die Hälfte aller beitragspflichtigen Schweden hat sich wie Liselotte gegen den Staatsfonds entschieden und investiert die 2,5 Prozent lieber in bis zu fünf andere Fonds.

Das ausländische Interesse am schwedischen Rentensystem ist seit Jahren hoch. Delegationen aus aller Welt haben sich in Stockholm bereits darüber informiert.


„Für die meisten Rentner hat die Einführung der Prämienpension zu einer höheren Rente geführt.“
Daniel Barr, ehemaliger Chef der Pensionsbehörde

Der ehemalige Ministerpräsident Per Albin Hansson hatte in den 1930er Jahren eine Reform des Sozialsystems umgesetzt und gilt bis heute als Architekt des schwedischen Wohlfahrtsstaates. Der Sozialdemokrat leitete damit das ein, was fast 100 Jahre später noch immer als Vorbild gilt: Ein Wohlfahrtsstaat mit einem engmaschigen sozialen Netz, durch das niemand fallen kann. Sein Nachfolger, Tage Erlander, perfektionierte das Konzept, das eine staatliche Grundversorgung von der Wiege bis zur Bahre vorsah, egal ob jung, krank, alt, arm oder reich.

Rentensystem wurde im Jahr 1999 grundlegend reformiert

In den vergangenen Jahrzehnten ist - Sparzwängen geschuldet - zwar an diversen Stellschrauben gedreht worden, doch im Prinzip gilt weiterhin, dass niemand durch das Schutznetz fallen kann. Ein zentraler Pfeiler der Grundversorgung aller Bürger ist das Rentensystem, das 1999 grundlegend reformiert wurde.

Der AP7-Fonds verwaltet derzeit umgerechnet knapp 85 Milliarden Euro. Die Beiträge werden von dem Fonds bis zum 55. Lebensjahr in Aktien angelegt. Danach verringert sich schrittweise der Aktienanteil und die Gelder werden nach und nach in einem Rentenfonds angelegt. Die Erklärung für die Umschichtung ist einfach: "Wir wollen das Risiko kurz vor dem Renteneintritt verringern", sagt ein Sprecher des Fonds.

Staatsfonds investiert in Aktien von rund 2.500 Unternehmen

Diese gemischte Anlagestrategie hat sich bewährt. Im vergangenen Jahr lag die Gesamtrendite des Fonds bei 18,4 Prozent und schlug damit auch private Fonds. Allerdings gibt es durch die Anlagen in Aktien große Schwankungen bei den Renditen. Die Gesamtrendite seit dem Start im Herbst 2000 liegt bei 378 Prozent.

Da der Fonds die Gelder von all jenen verwaltet, die keine aktive Wahl getroffen haben, wird er in Schweden scherzhaft "Couchlieger-Fonds" genannt. Den passiven Sparern kann das egal sein, denn rückblickend hat sich diese "Sparform für Faule" rentiert. Laut Pensionsbehörde lag die Rendite des AP7-Fonds in den vergangenen Jahren deutlich über der durchschnittlichen Rendite, die Arbeitnehmer mit aktiver Fonds-Wahl erzielt haben. Ein weiterer Vorteil des AP7-Fonds: Die Gebühren betragen nur 0,05 Prozent und liegen damit deutlich niedriger als die von privaten Fonds.

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Der Staatsfonds investiert in Aktien von rund 2.500 Unternehmen. Zu den größten Investments zählen Apple, Microsoft, Nvidia, Amazon und die Google-Muttergesellschaft Alphabet. Regional gesehen, liegt der Investitionsschwerpunkt auf Nordamerika, es folgen Westeuropa und Asien.

Als das neue Rentensystem eingeführt wurde, sprachen viele von einer "Jahrhundertreform". Kritik gibt es aber auch: Der Versicherungsmathematiker Jan Hagberg prangerte vor zwei Jahren die allgemein niedrigen Renten an. Auch die Prämienpension habe daran nichts geändert. Tatsächlich liegt die durchschnittliche Rente in Schweden bei etwa 21.600 Kronen, das sind 1.853 Euro, die aber versteuert werden müssen. Der ehemalige Chef der Pensionsbehörde, Daniel Barr, ist wenig überraschend ganz anderer Meinung. "Für die meisten Rentner hat die Einführung der Prämienpension zu einer höheren Rente geführt", antwortete er auf Hagbergs Kritik. Die meisten Schweden teilen nach Umfragen seine positive Bilanz.

Der Autor ist Nordeuropa-Korrespondent des Handelsblattes.