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Gastkommentare : Soll die EU mehr Schulden machen dürfen? Ein Pro und Contra

Soll es der Europäischen Union ermöglicht werden, künftig mehr Schulden aufnehmen zu können? Hannes Koch sagt ja, Birgit Marschall hält das für den falschen Schritt.

06.06.2024
True 2024-06-06T18:36:46.7200Z
2 Min

Pro

Die zusätzliche Verschuldung wäre kein Tabubruch

Foto: privat
Hannes Koch
arbeitet als selbstständiger Wirtschaftskorrespondent.
Foto: privat

Die EU ist eine der drei größten Wirtschaftsmächte der Welt, neben den USA und China. Daran gemessen nehmen sich ihre finanziellen Möglichkeiten bescheiden aus. In der laufenden siebenjährigen Finanzperiode stehen der EU-Kommission aus ihrem Haushalt pro Jahr durchschnittlich rund 150 Milliarden Euro zur Verfügung - nur gut ein Drittel dessen, was die Bundesregierung alleine ausgeben kann. Damit ist Europa den weltpolitischen Herausforderungen nicht gewachsen.

Der demokratische Staatenbund muss einen Krieg vor seiner Haustür bestehen, den die autokratische Regierung Russlands in der Ukraine angezettelt hat. Die Transformation zur Klimaneutralität erfordert hohe Investitionen, ebenso wie der Standortwettbewerb mit den USA und China. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron plädieren deshalb für die Möglichkeit, mehr EU-Schulden aufnehmen zu können. Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) hat sich dagegen ausgesprochen.

Mangels eigener Steuereinnahmen eröffnete ein neuer, permanenter Kreditrahmen der EU-Kommission die Option, auf kurzfristige Anforderungen in Situationen zu reagieren, in denen die Mitgliedstaaten nicht einig sind. So hätte Europa etwa während der monatelangen Blockade von US- Waffenlieferungen an die Ukraine einspringen können. Die EU-Kreditaufnahme würde nationale Budgets ergänzen - und müsste beschränkt werden. Nationale Vorbehalte dürfen das jetzt nicht blockieren. Weil die Kommission im Rahmen des Programms Next Generation EU bereits in größerem Umfang eigene Staatsanleihen ausgibt, wäre die zusätzliche Verschuldung kein Tabubruch.

Contra

Die EU muss aufhören, den zweiten Schritt vor dem ersten zu gehen

Foto: Axel Schön
Birgit Marschall
arbeitet bei der "Rheinischen Post".
Foto: Axel Schön

Der Kampf um die Wirtschafts- und Finanzpolitik in Brüssel beginnt, wenn die Wahllokale am Sonntag geschlossen sind. Hochverschuldete EU-Länder, allen voran Frankreich und Italien, werden wieder versuchen, ihre Haushaltsprobleme auf Kosten anderer Länder zu lösen. Das ist vor allem Deutschland, dessen Schuldenquote nur etwa halb so hoch ist, das aber wirtschaftlich schwächelt, große Zukunftsprobleme lösen und viel mehr in seine Verteidigungsfähigkeit investieren muss.

Schon jetzt ist Italien der mit Abstand größte Empfänger der vor allem von Deutschland garantierten Mittel des Wiederaufbaufonds, den die EU in der Corona-Krise aufgelegt hatte. Finanziert wird der 800-Milliarden-Euro-Fonds erstmals durch eigene EU-Anleihen am Kapitalmarkt. Die Südländer hoffen, diesen Präzedenzfall zur Dauereinrichtung zu machen und der EU eine generelle eigene Verschuldungsmöglichkeit zu geben. Die Bundesregierung sollte das unbedingt verhindern, denn damit würde die Büchse der Pandora endgültig geöffnet: Die Nationalstaaten verlören die Kontrolle über die Finanzpolitik, der ohnehin ausgehöhlte Fiskalpakt wäre endgültig erledigt und Deutschland als Stabilitätsanker für die drohende deutliche Ausweitung der EU-Schulden überfordert.

Die EU muss aufhören, immer den zweiten Schritt vor dem wichtigeren ersten zu gehen: den Euro einführen, ohne vorher für Finanzstabilität und echte gemeinsame Finanzpolitik zu sorgen, die Binnengrenzen abschaffen, ohne vorher die Außengrenzen zu sichern, EU-Gemeinschaftsschulden auflegen, ohne vorher die Bankenunion und - die eigentliche Aufgabe - einen echten Staatenbund zu etablieren.

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