Menschenrechte : Völkermord an den Jesiden
Einzelne Staaten und internationale Organisationen haben die Taten des IS gegen die Jesiden bereits als Völkermord eingestuft, Deutschland bislang nicht.
Verschleppt, versklavt, ermordet: Tausende Jesidinnen und Jesiden fielen dem Terror des "Islamischen Staats" (IS) im Nordirak zum Opfer. Noch immer, fast acht Jahre nach dem Überfall der Miliz auf die Provinz Shingal im August 2014, werden Mitglieder der religiösen Minderheit vermisst. Die Aufarbeitung der Verbrechen kommt nur schleppend voran, auch wenn 2021 als erstes Gericht weltweit das Oberlandesgericht Frankfurt am Main einen IS-Anhänger wegen Völkermordes verurteilt hat. Menschenrechtler und Vertreter der Jesiden fordern mehr Unterstützung - und eine Anerkennung der IS-Verbrechen als Völkermord. Als solchen haben einzelne Staaten und internationale Organisationen die Taten des IS bereits eingestuft. Deutschland bislang nicht.
Sachverständige für Anerkennung als Völkermord
Doch nun scheint Bewegung in die Sache zu kommen: In einer Anhörung des Menschenrechtsausschusses sprachen sich vergangenen Montag die Sachverständigen einstimmig für eine Anerkennung durch den Bundestag aus. In der gleichen Woche begrüßte Bundestagpräsidentin Bärbel Bas (SPD) die Friedensnobelpreisträgerin und Überlebende der IS-Verbrechen an den Jesiden, Nadia Murat, die Sonderbotschafterin für die Würde der Überlebenden von Menschenhandel der Vereinten Nation ist, auf der Besuchertribüne im Plenum. Über die Frage der Anerkennung des Völkermords war im Parlament bereits im Februar diskutiert worden. Anlass dafür hatte eine Petition des Co-Vorsitzenden der Stelle für Jesidische Angelegenheiten in Berlin, Gohdar Alkaidy, gegeben.
Die Anerkennung der Verbrechen als Völkermord sei das "zentrale Anliegen" der Jesiden, betonte der Petent in der Anhörung. Seit Jahrhunderten würden sie diskriminiert, entrechtet und systematisch verfolgt. Alkaidy appellierte an die Abgeordneten, die "historische Chance" zu nutzen und den Völkermord anzuerkennen. Deutschland als das Land mit der größten jesidischen Diaspora trage eine besondere Verantwortung, bekräftigte auch der Vertreter des Zentralverbandes der Ezidischen Vereine in Deutschland, Yilmaz Kaba. Irfan Ortac vom Zentralrat der Jesiden in Deutschland mahnte zudem, dies dürfe kein "Lippenbekenntnis bleiben". Es brauche eine juristische Aufarbeitung der Taten.
Christian Ritscher, der das Untersuchungsteam der Vereinten Nationen zu den Verbrechen des IS im Irak (UNITAD) leitet, verwies auf den Abschlussbericht der Ermittlungsgruppe: Dessen Ergebnis falle eindeutig aus, der "gewohnheitsrechtliche Tatbestand des Völkermordes" sei erfüllt. Dies bestätigte Florian Jeßberger, Professor für internationales Strafrecht an der Berliner Humboldt-Universität: Die Verbrechen könnten juristisch als Völkermord-Taten eingeordnet werden, so der Experte. Allerdings sei die Zerstörungsabsicht jedes einzelnen Täters nachzuweisen. Über die Arbeit mit traumatisierten Opfern berichtete der Psychologe Jan Ilhan Kizilhan: Die Geschichten der vergewaltigten und versklavten Frauen, mit denen er gesprochen habe, belegten eine Verfolgung, die in ihrer Systematik an den Holocaust erinnere. Die Jesiden hätten ein "kollektives Trauma" erlitten. Das untermauerte Hakeema Taha, wie Nadia Murad eine Überlebende aus dem Dorf Kojo, mit der Schilderung ihrer Leidensgeschichte.
Düzen Tekkal vom Verein Hawar.help forderte schließlich, endlich politische Konsequenzen aus dem Frankfurter "Meilenstein"-Urteil zu ziehen. "Die Antwort kann nur sein, dass anerkannt wird, dass der Völkermord stattgefunden hat."