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Amerikas Rolle : Das Fundament der Nato

Putins Ukraine-Krieg hat die Allianz wiederbelebt. Doch das aggressiver auftretende China bleibt die große Herausforderung.

08.08.2022
True 2023-11-14T15:12:33.3600Z
4 Min

Es ist noch nicht lange her, dass sich die Nato vor Nachrufen kaum retten konnte. "Obsolet" nannte sie der ehemalige US-Präsident Donald Trump. Heute ist das anders. Seit dem Amtsantritt von Joe Biden hat die Idee eines geeinten Westens in Washington wieder Konjunktur und Amerika sieht sich in der altbekannten Führungsrolle. Vor allem hat der russische Überfall auf die Ukraine den westlichen Alliierten klargemacht, dass es keine Bestandsgarantie für die so lange geltende Nachkriegsordnung gibt. Kremlchef Wladimir Putin hat mit seinem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg zumindest eines erreicht: Die Nato steht zusammen, eine Mitgliedschaft gilt auf einmal wieder als erstrebenswert.

Foto: picture-alliance/AP/Petr David Josek

US-Präsident Joe Biden will wieder führen - und den Einfluss Pekings und Moskaus begrenzen.

Biden: Nato-Beistand für die Ukraine ist "heilige Verpflichtung"

In einer Rede nach dem Einmarsch der russischen Armee in der Ukraine Ende Februar schwor Biden, "jeden Zentimeter" Nato-Gebiet zu verteidigen. Man werde die Ukraine unterstützen, aber keine Truppen in das Nicht-Nato-Land schicken. Einen Monat später erklärte er im ukrainischen Nachbarland Polen, der Nato-Beistand sei "eine heilige Verpflichtung". Die Grenzen sind damit klar gezogen: Einmal in der Nato können sich die Mitglieder darauf verlassen, von den Alliierten verteidigt zu werden - mit den USA an vorderster Stelle.

Die USA sind zweifelsohne das Fundament der Nato. Mit rund 658 Milliarden Euro gab Washington im vergangenen Jahr rund 2,4 Mal so viel Geld für Verteidigung aus wie alle anderen 29 Nato-Partner zusammen und hatte mit 3,7 Prozent auch den mit Abstand höchsten Anteil der Verteidigungsausgaben an der nationalen Wirtschaftsleistung. Die Forderung, die Lasten im Bündnis fairer zu verteidigen, ist auch nach Trumps Ausscheiden aus dem Weißen Haus geblieben. Denn die innenpolitischen Herausforderungen sind gewaltig - und die Lust der amerikanischen Bevölkerung auf außenpolitische Abenteuer gering. Daher ist die Zusage unter anderem von Deutschland, mehr in die eigene Verteidigungsfähigkeit zu investieren, in ihrer Wirkung nicht zu überschätzen.

Washington führt wieder

Beim Nato-Gipfel in Madrid Ende Juni unterstrich Biden, dass Putins Plan, die Nato zu schwächen, fehlgeschlagen sei. Fünf Monate nach Kriegsbeginn lautet die Zwischenbilanz: Bei der Verteidigung der Ukraine führt Washington erfolgreich und hält das Bündnis zusammen. Sichtbares Zeichen der gewachsenen Nato-Begeisterung sind die beschlossenen Beitritte der bisher neutralen Länder Finnland und Schweden. Die Zahl der in Russlands Nachbarländern stationierten US-Truppen ist wieder angestiegen - auch das ist das Gegenteil von dem, was Putin eigentlich erreichen will.

Das bedeutet aber nicht, dass die Konfrontation mit China, von der Biden-Regierung eigentlich als die Herausforderung der kommenden Jahre beschrieben, an Relevanz verloren hat. Der amerikanische "Pivot to Asia", der sich vor allem darum dreht, wie Chinas hegemonialer Machtanspruch eingedämmt werden kann, spielt weiter eine zentrale Rolle in der amerikanischen Außenpolitik - das zeigt schon die Tatsache, dass sich in der derzeitigen Regierung US-Medien zufolge rund dreimal so viele Experten mit dem Indo-Pazifik beschäftigen wie mit anderen Weltregionen.

Nato bezeichnet China als "strategische Herausforderung"

Bei ihrem Treffen in Madrid, bei dem erstmals auch asiatische Verbündete teilnahmen, bezeichnete die Nato China erstmals als "strategische Herausforderung". An dieser Formulierung wurde bereits seit November 2020 gefeilt. Dann brach der Ukraine-Krieg aus und verkomplizierte die Weltlage. In ihrem neuen Strategischen Konzept warnt die Allianz nun davor, dass "die sich vertiefende strategische Partnerschaft" zwischen der Volksrepublik und Russland die regelbasierte Weltordnung, westliche Werte und Interessen bedrohe.


„Wir betrachten Artikel fünf als eine heilige Verpflichtung, und darauf können Sie sich verlassen.“
Joe Biden bei seinem Besuch in Polen, März 2022

So gesehen lieferte die Ukraine-Krise Biden einen neuen Anlass, die Alliierten nicht nur in Europa stärker unter amerikanischer Führung zusammenzubringen. Inzwischen unterstützen auch Singapur, Südkorea, Australien und Japan die diplomatische Front gegen Russland und massive Wirtschaftssanktionen - gerade mit Blick auf Waffenlieferungen ist das von großer Bedeutung. Wohl unbestritten ist, dass derzeit nur die USA in der Lage sind, eine solche Koalition zu schmieden.

USA erwartet stärkere Einbindung Europas

2014, als Russland die Krim besetzte, weigerte sich Japan noch, die Sanktionen mitzutragen. Der jetzige Sinneswandel hat viel mit dem aggressiver auftretenden China zu tun - und mit der Hoffnung, dass die USA hier gegenhalten werden. Allerdings gibt es auch Sorgen, dass zwei sich gleichzeitig verschärfende Großkrisen selbst die Supermacht Amerika überfordern könnten. Das verunsichert vor allem Chinas unmittelbare Nachbarn wie etwa Taiwan.

Die Biden-Regierung folgt der Überzeugung, dass Europa stärker eingebunden werden muss, um den Herausforderungen im indopazifischen Raum zu begegnen. Ein Beispiel dafür ist AUKUS, das Sicherheitsabkommen zwischen den USA, Großbritannien und Australien, in dem im September 2021 eine stärkere Zusammenarbeit bei der Entwicklung und dem Einsatz von Atom-U-Booten beschlossen wurde. Wie groß Washingtons Erwartungen an Abkommen wie diese sind, hat Bidens Nationaler Sicherheitsberater Jake Sullivan verdeutlicht, als er die zunehmende Verzahnung der beiden Weltregionen als Bidens außenpolitisches Vermächtnis beschrieb.

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Die Frage bleibt indes, ob diese Integration eine dauerhafte Entwicklung oder nur eine vorübergehende Reaktion auf die russischen Aggressionen ist - und wo die Grenzen liegen. Bei Bidens Asien-Reise im Mai, bei der er die engen Verbündeten Südkorea und Japan besuchte und engere Wirtschaftsbeziehungen knüpfte, traf der US-Präsident in Tokio auch mit seinem indischen Kollegen zusammen. Biden warb für mehr Zusammenarbeit, indem er erklärte, man stehe gemeinsam im "Wettbewerb zwischen Demokratien und Autokratien". Dennoch pflegt Indien weiter enge Kontakte mit Russland, unter anderem bezieht die Atommacht dort rund 60 Prozent ihrer Rüstungsimporte.

Juliane Schäuble ist US-Korrespondentin des Tagesspiegels.