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Nukleare Teilhabe : Staatsgeheimnis Büchel

Im Ernstfall soll Deutschland US-Atomwaffen einsetzen können. Dabei spielt ein Ort eine besondere Rolle: Der 1.200-Seelen-Ort Büchel in Rheinland-Pfalz.

08.08.2022
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4 Min

Wenn es um Büchel geht, wird die Bundesregierung wortkarg. Der Ort mit rund 1.200 Einwohnern in Rheinland-Pfalz beheimatet einen Fliegerhorst der Luftwaffe - und dazu wohl bis zu 20 US-amerikanische Atombomben des Typs B61-3/4, die von US-Soldatinnen und -Soldaten bewacht werden. Tritt irgendwann der Ernstfall ein, sollen diese Bomben von deutschen Pilotinnen und Piloten - aktuell mit Tornados - zum Ziel befördert werden können. Das sieht das Konzept der nuklearen Teilhabe der Nato vor. Es soll Nicht-Atommächten des Bündnisses in die Planung von möglichen Atomschlägen einbeziehen. Weitere US-Waffen sollen in Belgien, den Niederlanden, Italien und der Türkei liegen.

Foto: picture-alliance/dpa/Thomas Frey

Gut gesichert: Auf der Militärbasis in Büchel sollen bis zu 20 US-Atomwaffen lagern. Über Details schweigt sich die Bundesregierung aus.

Wie genau für diesen Ernstfall trainiert wird, was eigentlich die Einsatzszenarien sind, welche Modernisierung der Kernwaffen geplant ist - dazu sagt die Bundesregierung auf parlamentarische Anfragen in der Regel nichts und verweist auf die vereinbarte Geheimhaltung im Bündnis. Auch die Schätzung der Zahl der in Deutschland gelagerten Atomwaffen bestätigt die Bundesregierung nicht; sie geht zurück auf Angaben der Internationalen Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen (ICAN). 2005 sollen nach Angaben des Natural Resources Defence Council noch 150 US-Atomsprengköpfe im Land gewesen seien.

Idee der nuklearen Teilhabe im parlamentarischen Raum umstritten

In den vergangenen Jahren war die Idee der nuklearen Teilhabe und die Lagerung der Waffen in Deutschland auch im parlamentarischen Raum umstritten. 2010 forderte der Bundestag auf Initiative von CDU/CSU, SPD, FDP und Grünen die Bundesregierung gar auf, auf einen Abzug der Waffen hinzuarbeiten. SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich hatte 2020 diese Forderung erneuert.

Die Bundesregierung übt sich ausweislich ihrer Antwort vom Juni dieses Jahres auf eine Kleine Anfrage der Fraktion Die Linke im Einerseits-Andererseits. Zwar halte man am Ziel einer atomwaffenfreien Welt fest. "Gleichzeitig bekennt sich die Bundesregierung zur nuklearen Teilhabe als wichtigem Bestandteil einer glaubhaften Abschreckung des Bündnisses", heißt es in der Regierungsvorlage.

Was bedeutet Nukleare Teilhabe?

Abschreckung als Zweck: Die nukleare Teilhabe ist Teil der Nato-Abschreckungspolitik. Nicht-Atommächte der Nato sollen im Ernstfall unter bestimmten Bedingungen Kernwaffen einsetzen können.

Lagerung in Deutschland: In Büchel sollen nach unbestätigten Angaben bis zu 20 Atomwaffen des Typs B61-3/4 lagern. 2005 sollen es noch 150 Atomwaffen an mehreren Standorten gewesen sein.

Trägersystem Kampfjet: Ein Einsatz wäre nur nach Freigabe durch die US-Führung möglich. Trägersystem ist noch der Tornado, künftig sollen Kampfjets vom Typ F-35A diese Aufgabe übernehmen.



Aus Sicht von Liviu Horovitz von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) hat sich diese Diskussion nach dem russischen Angriff auf die Ukraine erstmal erledigt. "Die Nato bereitet sich darauf vor, dass Russland mittelfristig kein Partner sein wird und Sicherheit in Europa nicht mit, sondern gegen Russland organisiert werden muss. In diesem Rahmen wird auch die nukleare Teilhabe eine Rolle spielen", sagt der Experte für atomare Abschreckung. Hinzu komme: "Die Russische Föderation hat in den vergangenen Monaten klar gezeigt, dass ihre Atomwaffen nicht nur ein Überbleibsel aus vergangener Zeit sind", so Horovitz. Vielmehr seien es Instrumente, deren Moskau sich - hauptsächlich politisch - bedienen wolle, um expansive Ziele zu erreichen. "Entsprechend reagieren nun die Staaten der transatlantischen Allianz darauf", sagt der Forscher.

Sondervermögen Bundeswehr: Nachfolger für die Tornados geplant

Im Ernstfall müsste der US-Präsident den Einsatz der Bomben nach Konsultation in der Nato freigeben und auch die Bundesregierung zustimmen. Dieses Verfahren ist laut SWP-Experten Horovitz einer der Gründe, warum die militärische Bedeutung der nuklearen Teilhabe kontrovers diskutiert wird. Skeptiker bezweifelten, dass die USA den Weg gehen würden, hätten sie doch genügend eigene Optionen zum Einsatz von Atomwaffen. Dem stünden Stimmen entgegen, dass es eben eine Zusatzoption sei. Zudem verkompliziert diese Option die Risikokalkulation und Nuklearplanung der Russen. "Viel wichtiger ist die politische Dimension der nuklearen Teilhabe", betont Horovitz. Beide Seiten, die USA und das jeweilige Land, zeigten damit, dass sie bereit sind, gewissen Risiken, Kosten und Pflichten auf sich zu nehmen. Deutschland sei somit "Teil des Abschreckungssystems" und stehe nicht nur nebenbei.

Im Koalitionsvertrag hatten sich SPD, Grüne und FDP darauf verständigt, einen Nachfolger für die in die Jahre gekommenen Tornados zu beschaffen. "Den Beschaffungs- und Zertifizierungsprozess mit Blick auf die nukleare Teilhabe Deutschlands" wolle man "sachlich und gewissenhaft begleiten", hieß es etwas distanziert. Wenige Monate später, kurz nach dem russischen Überfall auf die Ukraine, machte die Bundesregierung dann sehr schnell Nägel mit Köpfen.

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