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Proteste in der Türkei : Erdoğan stellt seinen stärksten Rivalen kalt

Mit der Verhaftung des populären Istanbuler Bürgermeisters Ekrem Imamoğlu hat Präsident Erdoğan nur ein Hindernis auf dem Weg zur Wiederwahl abgeräumt.

28.03.2025
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3 Min

"Jetzt kommt das Volk" steht auf dem selbst gemalten Schild einer jungen Frau in der Menge vor dem Istanbuler Rathaus. Hunderttausende versammelten sich dort seit einer Woche jeden Abend, um gegen die Inhaftierung und Absetzung von Bürgermeister Ekrem Imamoğlu zu protestieren. Wut und Empörung sind groß - doch ändern konnte der Protest bislang nichts: Imamoğlu bleibt in Haft. Präsident Recep Tayyip Erdoğan will seinen Rivalen rechtzeitig aus dem Verkehr ziehen. Imamoğlu stand dem 71-jährigen Staatschef bisher bei seinen Plänen für eine neue Amtszeit im Weg. Nun wird sich Erdoğan bemühen, weitere Hindernisse abzuräumen.

Foto: picture alliance / abaca

Seit der Verhaftung des Istanbuler Bürgermeisters und Erdogan-Rivalen Imamoğlu vergangene Woche gehen in der Türkei Hunderttausende auf die Straße, um für seine Freilassung zu demonstrieren.

Der 53-jährige Imamoğlu würde Erdoğan nach derzeitigen Umfragen bei der Präsidentenwahl klar schlagen. Für viele Türken ist der abgesetzte Bürgermeister mit seiner Verbindung aus muslimischer Frömmigkeit, Pragmatismus und Redetalent die erste ernstzunehmende Alternative zu dem seit mehr als 20 Jahren regierenden Erdoğan. 

Imamoğlu wird Korruption und Terrorunterstützung vorgeworfen

Der Präsident musste zu absurden Vorwürfen greifen, um Imamoğlu von regierungstreuen Richtern und Staatsanwälten wegsperren zu lassen. Diese behaupten, Beweise zu haben, dass der Bürgermeister korrupt ist - obwohl staatliche Inspektoren jahrelang Imamoğlus Stadtverwaltung durchstöberten, ohne Belastbares zu finden. Außerdem soll Imamoğlu mit kurdischen Terroristen kooperiert haben. Um ganz sicher zu gehen, ließ Erdoğan seinem Konkurrenten auch noch den Hochschulabschluss aberkennen, der Voraussetzung für die Präsidentschaftskandidatur ist - mehr als 30 Jahre nach dem Examen.


„Erdoğan entscheidet sich erneut für den Weg der Konfrontation und der Polarisierung.“
Menschenrechtspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion Frank Schwabe

"Obwohl Erdoğan die Demokratie in den letzten Jahren der Willkür unterworfen hat, gab es immer noch den Eindruck, dass Regierungen auch abgewählt werden können. Diese Hoffnung macht Erdoğan gerade zur Illusion", sagt Frank Schwabe, menschenrechtspolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion und Chef der sozialdemokratischen Fraktion in der Parlamentarischen Versammlung des Europarates, im Gespräch mit “Das Parlament”. Er entscheide sich “nach Monaten mit zumindest auch hoffnungsvollen Entwicklungen jetzt erneut für den Weg der Konfrontation und der Polarisierung”. 

Auch gegen den Bürgermeister von Ankara wird ermittelt

Erdoğan entschloss sich zum Handeln, obwohl die nächsten Wahlen erst in drei Jahren anstehen. Zum einen wollte der Präsident verhindern, dass Imamoğlu nach einer landesweiten Urabstimmung seiner Partei CHP am 23. März als Kandidat mit breiter Rückendeckung über die Marktplätze ziehen kann. Zum anderen will Erdoğan die CHP zwingen, einen Ersatzkandidaten zu suchen, der ebenfalls noch vor der Wahl abgesägt werden könnte. Nach Imamoğlus Verhaftung begannen staatsanwaltliche Ermittlungen gegen die Verwaltung des Ankaraner Bürgermeisters Mansur Yavas, des nach Imamoğlu aussichtsreichsten Politikers der Opposition.

Der Präsident braucht zudem Zeit, um die Wirtschaft aus der Krise zu holen, ohne dass ein populärer Konkurrent die zum Teil hausgemachten Missstände anprangert. Das Wachstum war im letzten Quartal 2024 auf den für die Türkei mageren Wert von 2,1 Prozent gefallen. Auch die Inflation von offiziell knapp 40 Prozent und eine Mietenexplosion machen es Normalbürgern schwer, über die Runden zu kommen. Viele junge Türken wandern ins Ausland ab.

Verfassung verbietet Erdoğan derzeit eine weitere Amtszeit

Erdoğan muss auch noch ein anderes Problem lösen: Die derzeitige Verfassung verbietet ihm eine weitere Amtszeit. Um noch einmal antreten zu können, braucht er im Parlament mindestens 360 Stimmen für eine Verfassungsänderung oder für eine vorgezogene Neuwahl. Noch fehlen Erdoğans Partei AKP und ihren rechtsnationalen und islamistischen Partnern im Parlament dafür mehr als 30 Stimmen. Eine Vereinbarung mit der legalen Kurdenpartei DEM, die 57 Abgeordnete hat, könnte Erdoğan über die Ziellinie bringen. Derzeit verhandelt Erdoğan mit der DEM und dem inhaftierten Anführer der Terrorgruppe PKK über ein friedliches Ende des Kurdenkonfliktes; eine Einigung könnte das Ja der DEM zu Erdoğans Plänen bringen. Auch dabei kann der Präsident keinen starken Rivalen gebrauchen.

Mit der Kurden-Initiative wolle Erdoğan außerdem die Opposition spalten, sagt Howard Eissenstat, Türkei-Experte an der St-Lawrence-Universität in den USA, dem “Parlament”. Riskant sei die Strategie aus Sicht der Regierung dennoch. Sollten die Proteste gegen Imamoğlu weitergehen, könnten die Unruhen außer Kontrolle geraten, meint Eissenstat. Die Opposition sucht nach Wegen, um den Druck auf die Regierung aufrecht zu erhalten. Noch ist nicht klar, ob Erdoğan mit seiner Taktik durchkommen wird.

Die Autorin ist freie Korrespondentin in der Türkei.

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