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Foto: Elisabeth Rapp
Die Sámi sind ein indigenes Volk, das im Norden Europas und Russlands verwurzelt ist. Heute leben nur noch wenige von ihnen von der traditionellen Rentierzucht.

Indigene Identität in Norwegen : Jung, weiblich, samisch

Elisabeth Rapp studiert Jura in Oslo, doch ihre Wurzeln liegen weit im Norden – bei den Sámi, dem einzig anerkannten indigenen Volk Europas.

10.04.2025
True 2025-04-10T16:45:55.7200Z
4 Min

Auf den ersten Blick zeigt das Instagram-Profil von Elisabeth Rapp Fotos einer typischen jungen Norwegerin: Eine Jura-Studentin, die in Oslo lebt und in ihrer Freizeit mit Freundinnen durch die Berge wandert oder an einem Wasserfall picknickt. Doch wer weiter scrollt, entdeckt noch eine andere Seite: Auf einem Bild trägt sie einen Mantel aus Rentierfell, der von einem breiten Ledergürtel mit Knöpfen aus Rentiergeweih zusammengehalten wird. Ein wollener Schal in Blau, Rot, Gelb und Grün - den Farben der samischen Flagge - liegt über ihren Schultern. Denn Rapp ist eine Sámi. Aufgewachsen in der Nähe von Tromsø, etwa 350 Kilometer nördlich des Polarkreises, gehört sie dem einzigen offiziell anerkannten indigenen Volk Europas an.

Über Jahrtausende lebten die Sámi im hohen Norden Skandinaviens und Russlands. Einige waren als Fischer oder Kleinbauern in Küstengemeinden sesshaft, andere zogen als Rentierzüchter über weite Strecken. Mit der Einführung fester Staatsgrenzen im 18. Jahrhundert änderte sich diese Lebensweise: Wanderrouten, die bislang länderübergreifend verliefen, wurden unterbrochen, Herden mussten sich nationalen Territorien unterordnen.

Tradition für Touristen: Rentierzucht als gelebtes Erbe

"Wie viele Sámi es heute gibt, lässt sich kaum sagen", berichtet Rapp. Schätzungen gehen von etwa 80.000 Menschen weltweit aus, wobei rund die Hälfte in Norwegen lebt. Nur noch wenige von ihnen sind in der Rentierzucht aktiv.

Foto: Elisabeth Rapp

Elisabeth Rapp führt regelmäßig Touristen mit dem Rentierschlitten durch tief verschneite Landschaften.

Das Foto auf Rapps Instagram-Profil wurde auf einer dieser wenigen Rentierfarmen aufgenommen. Schon als Jugendliche half sie dort aus und kehrt immer wieder zurück, wenn es ihr Studium erlaubt. Wie viele Rentiere die Betreiber der Farm besitzen, bleibt ein gut gehütetes Geheimnis, sagt Rapp schmunzelnd. Denn: "Das wäre so, als würde man sein Bankkonto öffentlich machen."

Wenn die junge Frau auf der Farm ist, wird sie zur Vermittlerin zwischen zwei Welten. Sie führt Touristen mit Rentierschlitten durch tief verschneite Landschaften oder erzählt im traditionellen Lávvu - einem Zelt der Sámi - von der Kultur und Geschichte ihres Volkes. Und räumt mit Vorurteilen auf: "Manche Besucher glauben, wir leben noch immer in Zelten und seien nicht in die Gesellschaft integriert", sagt sie. Tatsächlich aber leben Sámi heute in allen Teilen Norwegens und arbeiten in verschiedensten Berufen: "Wir sind ganz normale Menschen." Die Sámi haben sich an das moderne Leben angepasst: "Einige nutzen zum Beispiel Schneemobile und Helikopter, um ihre Rentierherden zu beobachten", berichtet Rapp.

Sámi-Erzählungen berichten von Polarlichtern und Wassermonstern

Manchmal spricht sie mit Touristen auch über ihre Kindheit im hohen Norden, die vor allem eines bedeutete: Freiheit. "Wir Kinder durften allein in der Natur unterwegs sein und lernten früh, uns dort zurechtzufinden", sagt sie. Ihr Vater nutzte alte Sámi-Erzählungen, um sie zu lehren, sich richtig zu verhalten. So erzählte er von Wassermonstern, um die Kinder von gefährlichen Ufern fernzuhalten, oder von den Polarlichtern. "Man sagte uns, wenn wir ihnen zuwinken, kommen sie und holen uns", erinnert sich Rapp. Vielleicht nur eine schaurige Geschichte, um Kinder davon abzuhalten, nachts allein unterwegs zu sein, überlegt sie. Es gibt aber auch eine weniger gruselige Erzählung: “Viele Sámi glauben, dass die Nordlichter die Geister ihrer Vorfahren sind, die über sie wachen.”


„Meine Generation ist wieder stolzer, Sámi zu sein. Wir holen uns unsere Kultur zurück.“
Sámi Elisabeth Rapp

Mit ihren Eltern hat Rapp immer Norwegisch gesprochen. Samisch lernte sie erst später in der Schule - eine Möglichkeit, die früher nicht selbstverständlich war: Bis in die 1980er Jahre verfolgte Norwegen eine Assimilationspolitik, die darauf abzielte, indigene Identitäten zu unterdrücken. Sámi sollten ihre Sprache nicht sprechen und ihre Bräuche nicht weitergeben. Dies änderte sich erst 1997, als sich der norwegische König offiziell bei den Indigenen entschuldigte. Im Dezember des vergangenen Jahres folgte das norwegische Parlament mit einer formellen Entschuldigung und kündigte weitere Reformen an, die den Schutz der samischen Sprache und Traditionen stärken sollen.

Grüner Strom bedroht die samischen Rentierherden

Doch auch heute sei die samische Lebensweise bedroht - etwa durch den Ausbau erneuerbarer Energien, befindet Rapp. Die Jura-Studentin verweist auf den Fosen-Fall: Auf der Halbinsel Fosen, einem seit Jahrhunderten genutzten Weidegebiet der Sámi, wurden 2020 trotz massiven Protests der Indigenen 151 Windräder errichtet. Rapp kritisiert: “Ich verstehe, dass die Regierung in erneuerbare Energien investieren will, aber dies sollte auf eine Weise geschehen, die nicht auf Kosten der samischen Kultur und der Lebensgrundlagen geht.”

2021 erklärte das oberste norwegische Gericht den Bau schließlich für rechtswidrig, weil er die kulturellen Rechte der Sámi verletzt. Doch die Anlagen stehen weiterhin. Aus Protest besetzten Aktivisten, darunter viele von Rapps Freundinnen, das norwegische Energieministerium. Am Ende einigte sich die Regierung mit den Sámi: Die Betreiber des Windparks müssen den Züchtern jährlich sieben Millionen norwegische Kronen (etwa 600.000 Euro) zahlen und Ersatzweideflächen bereitstellen.

Trotz des Konflikts habe der Fall auch positive Seiten, sagt Rapp: Er hat die Aufmerksamkeit auf die Sámi und ihre Rechte gelenkt - eine Entwicklung, die besonders junge Menschen dazu ermutigt, sich intensiv mit ihrer Geschichte und Identität auseinanderzusetzen. Wie sich die samische Identität über die Jahre verändert hat? Rapp überlegt einen Moment und sagt dann: “Meine Generation ist wieder stolzer, Sámi zu sein. Wir holen uns unsere Kultur zurück.”

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