Eine Wahl, die keine ist : Nächste Amtszeit für Putin
Es gilt als sicher, dass Amtsinhaber Putin zum fünften Mal zum Präsidenten gewählt wird. Doch der Missmut über die "Spezialoperation" trübt die Stimmung in Russland.
Die Wahlversprechungen Nikolaj Charitanows würden 20 Billionen Rubel (umgerechnet 200 Milliarden Euro) kosten, bei einem Staatshaushalt von 35 Billionen Rubel (350 Milliarden Euro), verkündet Michail Dawankow, Bewerber der Duma-Partei "Neue Leute". Und er faltet das Wahlprogramm seines Konkurrenten von der kommunistischen KPRF auseinander: "Das hier ist ein Plan, unser Land noch einmal zu ruinieren." Junge Leute würden sich in finanziellen Fragen nur schwach auskennen, kontert Charitonow. "Man muss den Haushalt beschließen und den Mund halten", mischte sich Leonid Sluzkij, Chef der populistischen Liberaldemokraten, ein.
Andere Kandidaten ohne Chance
Bei den TV-Debatten zwischen den drei Präsidentschaftskandidaten gab es immer wieder Szenen, die an Diskussionen in einem demokratischen Wahlkampf erinnerten. Aber keiner der drei ließ dabei Zweifel aufkommen, dass vom 15. bis zum 17. März in Russland nicht Präsidentschaftswahlen, sondern Präsidentschaftswiederwahlen stattfinden. Auch kein anderer Russe zweifelt, dass Wladimir Putin zum fünften Mal siegen wird.
Die drei formalen Wahlkampfgegner dienern vor dem Amtsinhaber: "Es ist sehr wichtig, wie unser Präsident auf diesen Ausfall reagierte, sehr diplomatisch und fein", freut sich Dawankow über Putins Reaktion auf Kritik aus den USA. "In letzter Zeit hat auch unser Präsident mehrfach erklärt, dass wir bereit sind, uns an den Verhandlungstisch zu setzen, aber zu den Bedingungen Russlands", erklärt Charitonow sein Ukrainekonzept. Und Sluzkij schwärmt, Putins Jahresbotschaft sei ein "Programm für 30, 40 Jahre" gewesen, "eine Nationalidee."
"Putin ist unser Präsident", lautet der Refrain seiner Pseudokonkurrenten und der Staatspropaganda. Nach den jüngsten Meinungsumfragen wird der Staatschef zwischen 75 Prozent (laut der staatlichen Meinungsforschungsinstitut WZIOM) und 81,8 Prozent (laut der unabhängigen Soziologengruppe Russian Field) erhalten. Dawankow (sechs bis 7,4 Prozent), Charitanow (vier bis 6,5 Prozent) und Sluzkij (drei bis 3,8 Prozent) spielen eine Liga niedriger.
Die Opposition ist ausgeschaltet
Politisch herrscht in Russland sowieso Friedshofsruhe. Nach Boris Nemzow, der 2015 erschossen wurde, ist jetzt auch Alexei Nawalny, der letzte charismatische Oppositionsführer, tot. Fast alle liberalen Politiker und Medien sind ins Exil geflohen. Die Staatspropaganda, auch Putin selbst, feiern seit Beginn seiner "Kriegsspezialoperation" gegen die Ukraine die Einigkeit und den Patriotismus des Volkes als Unterpfand des unvermeidlichen Sieges.
Aber der nationalen Geschlossenheit ist die Begeisterung abhandengekommen. Der bröckelnde Lebensstandard und die immer fraglicheren Zukunftsperspektiven drücken auf die Stimmung. Seit Februar 2022 stieg der Verkauf von Antidepressiva in Russland um mehr als 70 Prozent. Laut Russian Field können 58,1 Prozent der Russen Russlands militärische Ziele in der Ukraine entweder nicht benennen oder halten sie für unerreicht. Der Missmut über den Konflikt ist schweigend und passiv. Aber die Ukraine ist zu einem Thema geworden, an dem sich Putins Popularität zu brechen droht.
Nervosität bei Behörden und der Wahlkommission
Und in der Moskauer Luft schwebt eine feine Nervosität, die man bei den bisherigen vier Präsidentschaftswahlkämpfen Putins nicht kannte. Es gäbe schon jetzt nie da gewesene Versuche, die Wahlen mit Hackerangriffen zu manipulieren, beschwerte sich Ella Pamfilowa, die Leiterin der kremlhörigen Zentralen Wahlkommission kürzlich. "Ziel ist es, die Abstimmung zu sprengen." Putin selbst behauptet, die Ukraine setze alles daran, mit Drohnenangriffen und Stoßtruppunternehmen den Urnengang zu stören.
Diese Ängste wirken geheuchelt. Aber Anfang März wagten sich mindestens 23.000 Menschen trotz der befürchteten Massenverhaftungen zur Beerdigung Alexei Nawalnys in Moskau.
Auch die Hupkonzerte, mit denen vorbeifahrende Autofahrer sie ermutigten, deuten auf die Sehnsucht nach Veränderung hin. Ebenso die oft mehrere hunderte Meter langen Warteschlangen der Russen, die im Januar ihre Unterschriften für die Präsidentschaftskandidatur des vorher kaum bekannten liberalen Politikers Boris Nadeschdins abgeben wollten. Er hatte die sofortige Einstellung der Kampfhandlungen und die Aufnahme von Verhandlungen nach seinem Wahlsieg angekündigt. Die Zentrale Wahlkommission nahm ihn wegen angeblich nicht korrekt ausgefüllter Unterschriftsformulare aus dem Rennen, so wie sie vorher die ebenfalls unbekannte Provinzjournalistin Jekaterina Dunzowa disqualifiziert hatte. Sie propagiert wie Nadeschdin Frieden mit der Ukraine.
Zweiter Wahlgang gilt als unwahrscheinlich
Solcherlei Säuberungen wirken angesichts von Putins 80 Prozent Umfragewerte als übertrieben. Aber die Meinungsforscher von Russian Field stellten ihren Respondenten kürzlich die Frage, ob sie auch für Putin stimmen würden, wenn ein respektabler und ihnen politisch nahestehender Kandidat teilnähme. Nur 47 Prozent bejahten sie, 41 Prozent aber würden für den Gegenkandidaten stimmen. Das bedeutete einen zweiten Wahlgang, für den Amtsinhaber ein Albtraumszenario.
Gerade vor dem Hintergrund der klemmenden "Kriegsspezialoperation" dürfte Putins Präsidialverwaltung die Lage ernst nehmen. Nur drei Mitbewerber, das ist für Putin Negativrekord. Und dass sie sämtlich treu ergebene Duma-Abgeordnete sind, zeigt, dass man jedes Risiko vermeiden will. Man hat inzwischen die elektronische Stimmabgabe in 29 von 89 Wahlregionen eingeführt. Oppositionelle IT-Experten sagen, es sei für Wahlbeobachter unmöglich, die digitale Auszählung zu kontrollieren.
Im Bundestag sind sich die Abgeordneten einig: Russlands Präsident Wladimir Putin ist für den Tod des Oppositionellen Alexej Nawalny verantwortlich. Frauen und der Ukraine-Krieg: Misogynie als Werkzeug der Macht
Die finnische Schriftstellerin Sofi Oksanen prangert in "Putins Krieg gegen die Frauen" sexuelle Gewalt als Teil des Völkermordes an den Ukrainern an.
Die SPD-Außenexpertin Derya Türk-Nachbaur über Versäumnisse der deutschen Russlandpolitik nach der Annexion der Krim in 2014 und die Unterstützung der Ukraine heute.
Außerdem soll es die Stimmabgabe auf den staatlichen Portalen den Behörden erlauben, zu kontrollieren, wer gewählt hat und wie. Schon die Angst davor erleichtert es enorm, öffentliche Angestellte und Mitarbeiter von Staatsbetrieben zu nötigen, für den Amtsinhaber zu stimmen. Aber auch traditionelle Manipulationen wie organisierte Mehrfachstimmabgaben oder der verstohlen-gehäufte Einwurf von Wahlzetteln mit dem gewünschten Ergebnis dürften wieder massiv eingesetzt werden. Unabhängige Wahlbeobachter aber werden jetzt in großer Zahl von den lokalen Wahlkommissionen abgelehnt.
Opposition ruft auf, mit Warteschlangen vor den Wahllokalen Widerstand zu demonstrieren
Das amtliche Endergebnis dürfte nur noch sehr bedingt etwas mit der Stimmung des Wahlvolkes zu tun haben. "Putin malt sich jedes Resultat, je nach Laune 80 Prozent oder 180 Prozent", sagt Nawalnys Witwe Julia. Die Exilopposition ruft ihre Anhänger auf, am Sonntag um Punkt 12 Uhr wählen zu gehen, um mit Warteschlangen vor den Wahllokalen Widerstand gegen Putin zu demonstrieren. Aber angesichts der drückenden Angst werden daraus kaum Massenkundgebungen werden. "Man muss der Obrigkeit nicht mit Stolz, sondern mit Demut begegnen. Gott in seiner Weisheit hat die Führer über uns gestellt, die uns lenken können", erklärte der Petersburger Metropolit Warsonifij kürzlich. Die Wahlen erwähnte der Kirchenfürst mit keinem Wort, ließ aber keinen Zweifel daran, was die russisch-orthodoxe Geistlichkeit auch bei dieser Veranstaltung von den Gläubigen erwartet: "Das Bessere ist immer das, was ist. Gut ist das, was Gott gewollt ist." Das was ist, formulierte Putin kurz darauf selbst: "Russland wird von Gott direkt regiert." Auch das klingt ziemlich siegessicher.