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Foto: picture alliance/dpa/Kay Nietfeld
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD, r) und Li Qiang, Ministerpräsident von China, im Juni bei den deutsch-chinesischen Regierungskonsultationen in Berlin.

Deutsch-Chinesische Beziehungen : Peking reagiert gelassen auf China-Strategie

Die kritische China-Strategie der Bundesregierung ruft dort verhaltene Reaktionen hervor. Will Peking den wichtigen Handelspartner Deutschland nicht verschrecken?

30.09.2023
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5 Min

Chinas Diplomaten mögen zwar im Austeilen nicht gerade zimperlich sein, doch bei Kritik kann bereits ein falsches Wort zu einem handfesten Eklat führen: Als Außenministerin Annalena Baerbock im US-Fernsehen den chinesischen Staatschef Xi Jinping - möglicherweise im Affekt - als "Diktator" bezeichnete, zeigte sich Peking mehr als empört. Die Äußerung sei eine "offene Provokation", "absurd" und "verletze ernsthaft die Würde Chinas", entgegnete Außenamtssprecherin Mao Ning. Prompt bestellte Peking auch die deutsche Botschafterin ein.

Die deutsch-chinesischen Beziehungen stehen dieser Tage auf dem Prüfstand, wieder einmal. Denn am Donnerstag hat der Bundestag erstmals die bereits im Juli veröffentlichte China-Strategie der Bundesregierung beraten (siehe Seiten 1 und 2), ein Dokument, das nicht weniger als eine Zäsur in den bilateralen Beziehungen darstellt: Zum einen erkennt Berlin darin die zentrale Bedeutung der aufstrebenden Weltmacht China an. Gleichzeitig lotet die Bundesregierung ihr Verhältnis zum sich verändernden Reich der Mitte aus: zwischen Partner, Wettbewerber und systemischer Herausforderung. Insbesondere letzter Aspekt gewinnt immer mehr an Bedeutung.

Zurückhaltende Reaktion aus Peking

Dass die Parteikader in Peking alles andere als erfreut auf die China-Strategie reagieren würden, war zu erwarten. So bezeichnete Wang Wenbin, Sprecher des Pekinger Außenministeriums, das Dokument nur wenige Stunden nach der Veröffentlichung als kontraproduktiv: "China hofft, dass Deutschland die Entwicklung in China umfassend und objektiv betrachtet." Doch nach dem Rüffel folgten umgehend versöhnliche Worte: "Tatsächlich gibt es zwischen China und Deutschland weit mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede und unsere Zusammenarbeit überwiegt bei weitem den Wettbewerb."


„Tatsächlich gibt es zwischen China und Deutschland weit mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede und unsere Zusammenarbeit überwiegt bei weitem den Wettbewerb.“
Wang Wenbin, Sprecher des Pekinger Außenministeriums

Das Außergewöhnliche an der Replik war vor allem, dass sie überaus zurückhaltend ausfiel. Peking ließ keinen Zweifel daran, dass Deutschland - als wichtigster europäischer Handelspartner - weiterhin eine Schonfrist genießt. Andere westliche Staaten hingegen verfügen nicht über diesen Bonus: Bei Streitigkeiten mit den USA, Kanada, Japan oder Australien artet die Rhetorik Pekings regelmäßig in obszöne Hasstiraden und offene Drohungen aus.

Berlin profitiert derzeit von einem günstigen geopolitischen Momentum. Denn das Reich der Mitte leidet, kaum zehn Monate nach Ende der rigiden "Null Covid"-Politik, unter einer anhaltenden Wirtschaftsflaute: Die Immobilienkrise lähmt das Wachstum, die Schulden der Lokalregierungen sind riesig und die Jugendarbeitslosigkeit auf Rekordniveau. Gleichzeitig sind Pekings Beziehungen zu den USA derart zerrüttet, dass die Parteiführung den Grundkonflikt zwischen den zwei Weltmächten bestenfalls für kurzfristig zähmbar, auf lange Sicht aber für unlösbar hält. Umso wichtiger ist es aus Sicht Chinas, dass man sich nicht auch noch Deutschland überwirft - beide Staaten handelten im Vorjahr Waren im Wert von knapp 300 Milliarden Euro.

Karl Haeusgen hat die neue Charme-Offensive der Chinesen ganz unmittelbar zu spüren bekommen. Als der VDMA-Präsident (Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau) im Juli nach China reiste, war die Rhetorik bei den Regierungsgesprächen freundlich wie selten zuvor und die Termine hochrangiger denn je. Selbst Handelsminister Wang Wentao empfing zum gemeinsamen Gespräch.

Deutsche Unternehmen in China blicken mit Sorge in Zukunft

Trotzdem ist der deutsche Blick auf den chinesischen Markt deutlich getrübt. Haeusgen spricht von einem "Klumpenrisiko", das durch die gewachsene Abhängigkeit entstanden sei. Gleichzeitig verfolge die Regierung unter Xi Jinping eine zunehmend "nationalisierende Industriepolitik", die heimische Staatsbetriebe bevorzuge und ausländische Firmen nicht selten aus dem Markt zu drängen drohe. Für einen Wirtschaftsvertreter, dessen Branche als praktisch eine der wenigen noch ein Handelsüberschuss gegenüber China erzielt, sind das ungewöhnlich deutliche Worte.

Tatsächlich ist die bilaterale Bilanz seit der Pandemie rasend schnell aus den Fugen geraten. Betrug das Handelsdefizit zwischen Deutschland und China 2019 noch 14,1 Milliarden Euro, ist es im Vorjahr um das Sechsfache auf mehr als 84 Milliarden Euro angestiegen.

Der Negativtrend spiegelt sich auch in der jüngsten Umfrage der deutschen Handelskammer in Peking wieder. Demnach erwartet mehr als die Hälfte der heimischen Firmen im Reich der Mitte dieses Jahr eine "unveränderte oder schlechtere" Branchenentwicklung. "Die Stimmung ist nicht so optimistisch wie erhofft", sagt Jens Hildebrandt, geschäftsführendes Vorstandsmitglied der Kammer. Sowohl die langsame wirtschaftliche Entwicklung als auch die geopolitischen Spannungen hätten die Hoffnung auf eine Verbesserung des Geschäftsumfelds relativiert.

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Dass die Lage ernst ist, darüber herrscht in den Vorstandsetagen deutscher Unternehmen also längst kein Zweifel mehr. Die Frage, wie die Bundesregierung die Probleme im Umgang mit China handhaben sollte, spaltet die Gemüter aber weiterhin. Noch vor wenigen Jahren herrschte fast ausschließlich die Auffassung vor, Peking solle man durch offene Kritik nicht vergraulen, schließlich würden die Unternehmen dies stets zu spüren bekommen - etwa in Form von inoffiziellen Handelsboykotten oder anderen Vergeltungsmaßnahmen.

Suche nach Alternativen

Dementsprechend achten nach wie vor viele Wirtschaftsvertreter darauf, im Gespräch mit Journalisten nicht einmal den Hauch direkter Kritik an China zu äußern. Peter Adrian, Präsident der deutschen Industrie- und Handelskammer (IHK), sagt etwa: "China ist für die deutschen Unternehmen der wichtigste Handelspartner. Und es ist ein Handelspartner, bei dem wir vor allem das Wort Partner unterstreichen." Gleichzeitig schauen sich viele Unternehmen längst nach alternativen Standorten in Südostasien um, um ihre Abhängigkeit zu China zu verringern. In den Zahlen lässt sich die Zurückhaltung mehr als deutlich beobachten: Die ausländischen Direktinvestitionen in China sind dieses Jahr auf den niedrigsten Stand seit einem Vierteljahrhundert gesunken.

Die wirtschaftlichen Beziehungen haben sich jedoch nicht im luftleeren Raum entfremdet. Politisch gesehen stellte vor allem der 24. Februar 2022 eine Zeitenwende auch in den bilateralen Beziehungen zu China dar. Denn kurz nach Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine zeigten sich europäische Diplomaten in Peking geradezu geschockt darüber, wie loyal sich Staatschef Xi Jinping an der Seite von Wladimir Putin stellte: Chinas Staatsmedien übernahmen ausschließlich die russische Propaganda, hofierten den russischen Präsidenten, während die Ukraine vollkommen ignoriert wurde. Dabei, so argumentierten die Botschafter in Hintergrundgesprächen, hätte man als geeintes Europa wesentlich mehr zu bieten als das wirtschaftlich marode Russland. Ganz offensichtlich hatte man sich in der Volksrepublik China getäuscht.

Rasanter Wandel

Das Land hat sich unter Parteichef Xi Jinping rasant gewandelt. Der 70-Jährige beschuldigt nicht nur den Westen ganz offen, Chinas wirtschaftlichen Aufstieg eindämmen zu wollen. Er macht auch keinen Hehl aus seinem Ziel, die von den USA angeführte Weltordnung zu stürzen. Teil der Strategie ist es unter anderem, die Begriffe liberaler Demokratien zu kapern und für die eigenen Zwecke umzumünzen: So behaupten Chinas Propagandamedien längst, dass die Volksrepublik eine "ganzheitliche Demokratie" sei und die kommunistische Partei überlegen bei der Wahrung der Menschenrechte.

Noch unter Ex-Kanzlerin Angela Merkel (CDU) herrschte ein deutlich entspannterer Umgang gegenüber der Volksrepublik. Die Vorstellung "Handel durch Wandel" galt nach wie vor als Leitmaxime. Das Reich der Mitte wurde fast ausschließlich als attraktiver Absatzmarkt wahrgenommen. Heute sind die Differenzen angesichts der geopolitischen Polarisierung nicht mehr wegzureden.

Die chinesischen Staatsmedien greifen in ihrer Kommunikation nun auf altbewährte Mittel zurück: Zuckerbrot und Peitsche. Einerseits verweisen sie auf den riesigen chinesischen Markt von 1,4 Milliarden Konsumenten. Andererseits drohen sie mit ökonomischer Vergeltung. So warnte die nationalistische Parteizeitung Global Times kurz nach Veröffentlichung der China-Strategie der Bundesregierung: Deutschland solle besser darüber nachdenken, warum sein Anteil am chinesischen Außenhandel zurückgegangen ist. 

Der Autor ist freier China-Korrespondent und lebt in Peking.