Sturm auf das Kapitol : Trump erringt Teilerfolg vor Supreme Court
Der Oberste Gerichtshof spricht Donald Trump eine teilweise Immunität gegen strafrechtliche Verfolgung zu. Das hat Folgen - nicht nur für anstehende Verfahren.
Der Oberste Gerichtshof in Washington hat die zügige strafrechtliche Aufklärung der Rolle Donald Trumps beim blutigen Sturm aufs Kapitol im Januar 2021, der auf die Aberkennung des rechtmäßigen Wahlsieges von Joe Biden hinauslaufen sollte, massiv erschwert.
Mit 6:3-Stimmen entschied der Supreme Court nach monatelanger Verzögerung am Montag, dass der republikanische Ex-Präsident uneingeschränkte Immunität vor Strafverfolgung genießt, wenn es um offizielle Handlungen in seiner Amtszeit geht, die seine „verfassungsmäßige Autorität" betreffen. Nicht offizielle Handlungen könnten dagegen strafrechtlich verfolgt werden, stellten die Richter fest und verwiesen den Fall damit de facto zurück an untere Instanzen. Es liegt nun an dem zuständigen unteren Gericht, herauszufinden, für welche Handlungen Trumps Immunität gilt.
Trump muss vor der Wahl wahrscheinlich nicht mehr vor Gericht
Damit ist nach Ansicht von juristischen Experten „so gut wie klar", dass sich der 78-Jährige vor der Präsidentschaftswahl am 5. November nicht mehr einem Strafverfahren stellen muss. 60 Tage vor der Wahl, so ist es gängige Praxis des Justizministeriums, werden gegen Präsidentschaftskandidaten keine juristischen Schritte mehr unternommen.
Bundesrichterin Tanya Chutkan, die das Verfahren gegen Trump leitet, wäre bereits im März bereit gewesen. Nach der Intervention des Supreme Courts, den Trump so oft um Hilfe bat wie kein zweiter Staatsmann, legte sie das Verfahren im vergangenen Jahr notgedrungen auf Eis. Falls, wie nun geschehen, an sie zurückverwiesen würde, hatte Chutkan Trumps Anwälten 90 Tage Vorbereitungszeit versprochen. „Das dürfte vor der Wahl viel zu eng werden", sagten Analysten im US-Fernsehen.
Vorwurf gegen den Ex-Präsidenten: Verschwörung und Wahlbetrug
Der vom Justizministerium eingesetzte Sonderermittler Jack Smith hatte Trump bei der von einer Geschworenenjury bestätigten Anklage vor fast einem Jahr detailliert Verschwörung und versuchten Wahlbetrug vorgeworfen: Trump habe fälschlicherweise behauptet, es habe 2020 Wahlbetrug der Demokraten zu seinen Ungunsten gegeben. Zudem habe Trump das Justizministerium massiv bedrängt, Ermittlungen einzuleiten, und Vizepräsident Mike Pence mehrfach unter Druck gesetzt, die Zertifizierung von Joe Bidens Wahlsieg zu hintertreiben.
Trump-Anhänger stürmen am 6. Januar 2021 das Kapitol, den Sitz des US-amerikanischen Parlaments in Washington.
Schließlich habe Trump seine Anhänger am 6. Januar 2021 mit einer Hetzrede aufgestachelt, das Parlament in Washington zu stürmen, wo die Beglaubigung stattfand. Bei der beispiellosen Attacke auf die Herzkammer der US-Demokratie gab es Tote, Dutzende Verletzte, hohe Sachschäden. Kongressabgeordnete fürchteten um ihr Leben. Der Mob brachte einen Galgen für Vizepräsident Pence mit.
Anwälte beanspruchen vollständige Immunität für Trump
Trump und seine Anwälte bestreiten bis heute sämtliche Vorwürfe. In der mündlichen Verhandlung im Frühjahr beanspruchte Trumps Anwalt John Sauer generell vollständige Immunität für seinen Mandanten. Andernfalls könne ein US-Präsident sein Amt nicht ausüben und „mutige Entscheidungen" treffen. Außerdem müsse ein Präsident oder Ex-Präsident vor einer strafrechtlichen Anklage erst parlamentarisch des Amts enthoben werden („Impeachment").
Mehrere Richter und Richterinnen verwarfen diese Argumentation. Damit erhielten Präsidenten einen Freibrief für Straftaten, sagten sie. Weil die US-Verfassung über die strafrechtliche Immunität eines Präsidenten nichts aussagt; und vor Trump noch nie ein Commander-in-Chief vor einem Strafgericht stand, stellt die aktuelle Entscheidung einen historischen Präzedenzfall dar.
Dies betonte auch Präsident Joe Biden, der die Entscheidung der Richter scharf kritisierte: Aus praktischer Sicht bedeute sie mit ziemlicher Sicherheit, „dass es keine Grenzen für das gibt, was ein Präsident tun kann", sagte Biden in einer Rede im Weißen Haus. "Das ist ein grundlegend neues Prinzip und es ist ein gefährlicher Präzedenzfall."
Trump selbst bewertete das Urteil des Obersten Gerichtshofs in seinem Online-Netzwerk Truth Social als „großen Sieg für die Verfassung und Demokratie“.
Auf Bundesrichterin Chutkan in Washington kommt jetzt die Aufgabe zu, die Anklage von Jack Smith neu zu durchforsten und offizielle von privaten Handlungen Trumps rund um die Präsidentschaftswahl 2020 zu trennen. Letztere, wozu die wissentliche Verbreitung falscher Behauptungen über vermeintlichen Wahlbetrug oder Beratungen mit persönlichen Anwälten, um falsche Wahlleute zu installieren, gehören, könnten strafrechtlich verfolgt werden. Bis diese Frage geklärt ist, um einen Prozess zu beginnen, könnten jedoch, so Experten, „viele Monate vergehen - und am Ende wieder vor dem Obersten Gerichtshof landen."
Kritiker: Oberster Gerichtshof hat Urteil hinausgeschoben
Viele, auch konservative Rechtsgelehrte, werfen dem Supreme Court vor, die Entscheidung über Trump bewusst über viele Monate massiv verzögert zu haben, um das Zeitfenster für einen Prozessbeginn vor der Wahl im November zu schließen. Das höchste Streitschlichtergremium der Nation hatte durch Nominierungen konservativer Richter während Trumps Amtszeit 2017 bis 2021 eine stabile konservative 6:3-Stimmen-Mehrheit bekommen.
Nach der Immunitäts-Entscheidung kommt es am noch am Montag vor dem Obersten Gerichtshof in Washington zu Protesten.
Durch die Entscheidung der Obersten Gerichts – die bei den Demokraten auf Kritik, bei den Republikanern auf Zustimmung traf – bleibt den Amerikanerinnen und Amerikanern nun verwehrt, vor dem Wahlgang im November zu erfahren, ob eine Jury des Volkes den republikanischen Präsidentschaftskandidaten schuldig gesprochen hätte, sich laut Anklage in ungeheurem Maße an den Prinzipien der amerikanischen Demokratie versündigt zu haben.
Trump könnte nach Wahlsieg Prozess einstellen lassen
Der 45. Präsident der Vereinigten Staaten versuchte danach zwischen November 2020 und Januar 2021 mittels einer Verschwörung, die Präsidentschaftswahl 2020 zu kippen. Biden hatte damals knapp aber klar gewonnen.
Etwa 60 Gerichtsurteile ergaben, anders als Trump bis heute fälschlicherweise behauptetet, dass es keine irregulären Zwischenfälle bei der Stimmenauszählung gab. Dennoch hämmerte Trump mithilfe willfähriger Medien den Amerikanern ein, ihm sei der Sieg „gestohlen" worden. Er ließ falsche Wahlleute rekrutieren, die ihm anstatt Joe Biden im „Electoral College" ihre Stimme geben sollten. Als auch das nicht funktionierte, hetzte er seine Anhänger zu einem gewaltsamen Aufstand an.
Während des Sturms auf das Kapitol am 6. Januar 2021 sah Trump stundenlang untätig am Fernseher zu, wie der Sitz des Parlaments geschändet wurde. Mehrere hundert Marodeure wurden inzwischen verurteilt. Trump nennt sie Patrioten und verspricht ihnen im Falle eines Wahlsieges die Begnadigung. Er selbst könnte bei Rückkehr ins Weiße Haus den Prozess gegen sich ein für alle Mal einstellen lassen.
Der Autor ist USA-Korrespondent der Funke-Mediengruppe in Washington.