Auf dem Weg zum Nato-Mitglied? : Ukraine sitzt weiter im Wartesaal der Nato
Das von Russland überfallene Land will Mitglied der Nato werden - doch das dürfte schwierig werden.
Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenskij (l.) und Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg.
Es war ein eindringlicher Beitrittsappell, den der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj Ende Juni an den Nato-Gipfel in Madrid richtete. "Hat die Ukraine nicht genug gezahlt", fragte er die Staats- und Regierungschefs in seiner Video-Ansprache, "ist unser Beitrag zur Verteidigung Europas und der Zivilisation immer noch nicht ausreichend? Was ist noch nötig?".
Nato-Mitgliedschaft: Hoffnung auf Schutz vor neuen Angriffen
Das von Russland überfallene Land drängt das transatlantische Verteidigungsbündnis, seiner Aufnahme zuzustimmen, denn als Mitglied der Nato, so sind viele in der Ukraine überzeugt, wäre es geschützt vor neuen Angriffen des großen Nachbarn. 2017 hatte das ukrainische Parlament die Nato-Mitgliedschaft als außenpolitisches Ziel des Landes festgelegt, im Februar 2019 wurde das Ziel eines Nato- sowie eines EU-Beitritts in der Verfassung festgeschrieben. Selbstverständlich war das keineswegs. "Nach der Nato-Erweiterung von 2004 waren die Einstellungen in der Ukraine zur Nato durchaus gemischt", sagt dazu der Osteuropa-Historiker Philipp Ther von der Universität Wien: Doch Putin hat die Ukraine durch seine Einschüchterungsversuche in die Arme der Nato getrieben." Auf dem Nato-Gipfel in Bukarest 2008 waren der Ukraine und Georgien auf Betreiben von US-Präsident George W. Bush hin die Nato-Mitgliedschaft versprochen worden - gegen den Willen von Kanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsidenten Nicolas Sarkozy. Beiden gelang es aber, zu verhindern, den Nato-Beitritt konkret vorzubereiten.
Vor Beginn des russischen Angriffs im Februar hatten Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg sowie Staats- und Regierungschefs des Bündnisses unmissverständlich klargestellt, dass sie das Recht jedes Staates auf freie Bündniswahl nicht in Verhandlungen mit Russland um einen künftigen Status der Ukraine zur Disposition stellen würden. An dieser Haltung hat sich bis heute nichts geändert. Schon nach der Besetzung der Krim durch Russland 2014 war ein schneller Beitritt der Ukraine faktisch unmöglich geworden. "Das Bündnis kann wegen der Beistandsverpflichtung kaum ein Neumitglied aufnehmen, das sich in einer Art permanentem Kriegszustand mit einem Nachbarstaat befindet, auch wenn dieser klar als Aggressor zu erkennen ist", sagt Ther dazu. Und weiter: "Eine Aufnahme während des jetzigen Krieges wäre ebenfalls kaum vorstellbar und würde nur eine unnötige Provokation bedeuten, zumal die meisten Nato-Staaten die Ukraine ohnehin mit Waffen und Finanzhilfen unterstützen." Das Ergebnis ist, dass die Ukraine weiter im Wartesaal der Nato sitzt.
Ihr künftiges Verhältnis zum Bündnis wird davon abhängen, wie der Krieg ausgeht. Siegt Russland, dürfte das Thema vom Tisch sein. Für den Fall, dass sich der Aggressor hinter die Grenzen vom 24. Februar zurückzieht, "könnte es sein, dass das Thema auf die Agenda bei der Nato kommt", sagt Joachim Krause, Direktor des Instituts für Sicherheitspolitik an der Universität Kiel. Der Politikwissenschaftler weiter: "Ich sehe aber schon jetzt, welche Regierungen dies blockieren werden, vorneweg die deutsche Bundesregierung, Ungarn und die Türkei." Auch wenn es zu einem Waffenstillstand entlang der derzeitigen Linien komme, "wird das mit der Nato-Mitgliedschaft ebenfalls sehr schwierig werden". Zudem sei Russland von einer Fortführung des Krieges nur dann abzubringen, wenn es eine Sicherheitsgarantie der USA und anderer für die Rest-Ukraine gebe. "Die beste Form wäre der Nato-Beitritt, aber dazu wird es aufgrund der oben genannten Hindernisse nicht kommen", so Krause.
Keine Details zu Sicherheitsgarantien für die Ukraine
Als eine Alternative zur Nato-Vollmitgliedschaft sind Sicherheitsgarantien für die Ukraine im Gespräch. Allerdings tut sich hier das gleiche Dilemma auf, das schon einen weitergehenden Schutz des Landes durch die Nato nach dem russischen Angriff verhinderte: Die Nato-Staaten sind nicht bereit, die von Kiew geforderte Flugverbotszone durchzusetzen, da diese zu einer direkten Konfrontation mit Russland führt.
Die russische Regierung behauptet seit 2007, die Nato habe sich verpflichtet, keine neuen Mitglieder aus postkommunistischen Staaten aufzunehmen.
Mit dem Angriff auf die Ukraine hat sich Polen zum zentralen Akteur auf der Ostflanke entwickelt. Im Fokus der geopolitischen Unsicherheit steht die Suwalki-Lücke.
Eine ähnliche Frage stellt sich bei Sicherheitsgarantien: Was sind diese wert, wenn sich die Garanten für den Fall einer Konfrontation selbst strenge Grenzen auferlegen? Auch die G7 hatten sich bei ihrem Gipfel Ende Juni zu Sicherheitsgarantien für die Ukraine bekannt. Details dazu wurden jedoch nicht genannt.
Der Autor ist Korrespondent für Bundespolitik beim "Tagesspiegel".