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Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft : Befristungspraxis auf dem Prüfstand

Plenum debattiert über prekäre Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft. Die Union erinnert die Ampel an ihre Reformversprechen.

26.06.2023
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3 Min

Acht Arbeitsverträge in fünf Jahren. Bevor die Philosophin Amrei Bahr ihre Juniorprofessorinnenstelle an der Universität Stuttgart antreten konnte, musste sie sich nach ihrer abgeschlossenen Promotion zunächst von Vertrag zu Vertrag hangeln. Keine Seltenheit in der deutschen Wissenschaftslandschaft. 92 Prozent des wissenschaftlichen Nachwuchses (unter 45 Jahre, ohne Professuren) haben befristete Arbeitsverträge. Bei den unter 35-Jährigen sind es sogar 98 Prozent. Zu diesen Zahlen kommt der Bundesbericht Wissenschaftlicher Nachwuchs 2021.

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Möglich ist dies durch ein Sonderbefristungsrecht, das im Wissenschaftszeitvertragsgesetz (WissZeitVG) von 2007 verankert ist. Statt der üblichen zwei Jahre, können wissenschaftliche Betriebe ihre Mitarbeitenden aktuell bis zu zwölf Jahre lang befristet beschäftigen: Sechs Jahre vor und sechs Jahre nach der Promotion, in der sogenannten Postdoc-Phase.

In einem mittlerweile gelöschten Video erklärte das Bildungsministerium (BMBF) anhand der fiktiven Forscherin Hanna die vermeintlichen Vorteile dieses Systems. Durch die Befristungspraxis würden Stellen nicht dauerhaft von einer Generation Forschender besetzt und stetig neue Innovationskraft in die Institute gebracht werden.

Unsicherheit und Kettenverträge

In der Realität ist der Arbeitsalltag vieler angehender Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler von Unsicherheit und Kettenverträgen geprägt. Durch die Protest-Initiative #IchBinHanna, die Bahr mit gegründet hat, haben es die Forschenden geschafft, diese Bedingungen sichtbar zu machen. Mittlerweile ist die Problematik auch in der Politik angekommen. Im Koalitionsvertrag hat die Ampelkoalition angekündigt, dass WissZeitVG zu überarbeiten. Ein erster Versuch ging allerdings gehörig schief. Im März stellte das BMBF ein Eckpunktepapier vor - und kassierte dieses nach rund 50 Stunden wieder. Zu groß war der Protest aus der Wissenschaftsgemeinschaft, die in der Reform keine Verbesserung der Lage sah.

Anfang Juni startete das Ministerium einen zweiten Versuch. Neben Mindestvertragslaufzeiten enthält dieser unter anderem neue Regelungen für die Postdoc-Phase. So dürfen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nach erfolgreich abgeschlossener Promotion ohne Anschlusszusage für eine unbefristete Stelle nur noch vier statt bisher sechs Jahre lang befristet angestellt werden.

Union fragt Ampel nach ihren Reformplänen

Am vergangenen Donnerstag beschäftigte sich der Bundestag mit der Reform der WissZeitVG. Anlass war eine Große Anfrage der CDU/CSU-Fraktion von Ende 2022. Darin hatten die Abgeordneten sich über den aktuellen Stand bei der Ausarbeitung des WissZeitVG erkundigt.

Gleich zu Beginn der Debatte stellte Lars Rohwer (CDU) fest, dass viele aus der Wissenschaftslandschaft erwartungsvoll auf diese Debatte blicken würden. "Mehr Verlässlichkeit und Planbarkeit" forderte er von der Ampelkoalition für die Forschenden.


„Das Gesetz kann keine Dauerstellen schaffen.“
Stephan Seiter (FDP)

Grundsätzlich sei das WissZeitVG eine gute Idee, sagte Michael Kaufmann (AfD). Das allgemeine Arbeitsrecht und seine Befristungspraxis seien für die Anforderungen in der Forschung mit ihrer projektbezogenen Anstellung ungeeignet, sagte er. Nachbesserungen müssten daher die realen Begebenheiten der Forschung berücksichtigen.

Für Nicole Gohlke (Die Linke) zeige der Entwurf klar, "am Ende setzen sich wieder die Interessen der Arbeitgeber durch." Die "Hire and Fire"-Personalpolitik der Hochschulen werde nicht eingeschränkt.

Kompetenzen beachten

Bessere Bedingungen in der Wissenschaft forderten auch die Ampelfraktionen. Gleichzeitig machten sie deutlich, dass das WissZeitVG keine Universallösung liefern könne. In der öffentlichen Diskussion sind laut Stephan Seiter (FDP) Erwartungen geschürt worden, die das Gesetz nicht erfüllen könne. "Das Gesetz kann keine Dauerstellen schaffen", sagte er.

Auch Grünen-Politikerin Laura Kraft betonte, das die Zuständigkeit für viele hochschulpolitischen Entscheidungen bei den Ländern liege.

Carolin Wagner (SPD) machte deutlich, dass von guten Arbeitsbedingungen nicht nur die Forschenden, sondern auch der Wissenschaftsstandort Deutschland profitiere. Wagner räumte ein, dass zwischen den Ampelfraktionen Uneinigkeit über einige Aspekte des Entwurfs bestehe. Dazu gehöre unter anderem die Frage, wie die Befristungspraxis in der Postdoc-Phase künftig aussehen solle.