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Foto: picture alliance/dpa
"Angst ist ein ganz hinterhältiger Dämon der freien Gesellschaft!", warnte der FDP-Politiker Gerhart Baum in seiner Rede zur Feierstunde.

Feierstunde im Plenum : Appell zur Verteidigung der Demokratie

Der Bundestag und damit die parlamentarische Demokratie feiern ihren 75. Geburtstag. Nicht ohne Hinweise auf aktuelle Gefahren und Appelle an uns alle.

13.09.2024
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5 Min

Es war nicht nur eine Feierstunde, sondern auch ein anschaulicher Geschichtsunterricht: Denn nachdem sich Abgeordnete, Kabinettsmitglieder und Gäste am Dienstag dieser Woche unter der Reichstagskuppel versammelt hatten, lauschten sie zunächst nicht, wie meist üblich, den einleitenden Worten der Bundestagspräsidentin. Sie schauten stattdessen auf die zwei großen Bildschirme links und rechts an der Wand hinter dem Rednerpult. Originalaufnahmen der konstituierenden Sitzung des Bundestages vom 7. September 1949 und die Stimme von Paul Löbe (SPD), der den ersten Deutschen Bundestag als Alterspräsident eröffnete, leiteten die Feierstunde zum 75. Geburtstag des Bundestages ein und unterstrichen das historische Erbe, um das es an diesem Vormittag gehen sollte.

Bas: Bundestag wurde schnell zu einem erfolgreichen Arbeitsparlament

Bereits am Wochenende zuvor, am 7. September, feierte der Bundestag mit seinem Tag der Ein- und Ausblicke die Demokratie. Über 30.000 Gäste konnten sich nicht nur informieren, ihr Wissen testen, Eis bei der SPD-Fraktion essen oder sich am Stand der Unionsfraktion VR-Brillen aufsetzen. Sie konnten erstmals auch direkt den Plenarsaal besuchen und somit an dem Ort stehen, an dem Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) drei Tage später, nach Ende der Film- und Toneinspieler, ans Mikrofon trat, um den Redeteil der Feierstunde einzuleiten.


„Es lassen sich nie alle Erwartungen und Ansprüche erfüllen.“
Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD)

"Die deutsche Demokratie schien ein gewagtes Experiment, nach zwölf Jahren Diktatur, nach dem Zweiten Weltkrieg und dem Menschheitsverbrechen des Holocaust", sagte Bärbel Bas. Aber, der anfänglichen Präsenz von erklärten Verfassungsfeinden und des oft unversöhnlichen Tonfalls zum Trotz: “Es war die vielleicht größte Leistung dieser ersten Bundestagsabgeordneten: Sie haben die Handlungsfähigkeit der parlamentarischen Demokratie unter Beweis gestellt. Der Bundestag ist schnell zu einem erfolgreichen Arbeitsparlament geworden.”

Die entscheidende Frage: Will man gemeinsam zu einer Lösung kommen oder nicht?

Wie sehr Streit, Kritik und zum Teil hart geführte Debatten zur Demokratie und damit zur Geschichte des Bundestages gehörten, darauf verwiesen alle drei Redner in dieser Veranstaltung. Neben der Bundestagspräsidentin waren dies der frühere Bundesinnenminister Gerhart Baum (FDP) und die Historikern Christina Morina.

Die entscheidende Frage dieser Konflikte, so fassten es alle drei zusammen, sei jedoch, ob man gemeinsam zu einer Lösung kommen wolle oder nicht. "Alle Demokraten, wir alle haben diese Demokratie aufgebaut, auch wenn wir uns oft gestritten haben. Das Ziel war klar und das Ziel haben wir erreicht. Der Bundestag ist das erste Parlament in der deutschen Geschichte, das sich frei entfalten konnte", betonte der 91-jährige Baum. Er erinnerte an einige, auch zunächst unversöhnlich geführte Debatten, wie etwa die um die Ostpolitik des ersten SPD-Kanzlers Willy Brandt Anfang der 1970er Jahre. "Viele Probleme, über die wir heftig gestritten haben, wurden gelöst, und es kam zu einer gewissen Befriedung. Das ist ja auch ein Fortschritt, dass man sich wieder zusammenfand."

Kompromiss und Überzeugungskraft dürfen nicht verlernt werden

In einer Demokratie müsse es um den fairen Ausgleich von unterschiedlichen Interessen gehen, betonte Bärbel Bas. "Deshalb lassen sich nie alle Erwartungen und Ansprüche erfüllen. Wir alle sind deshalb dazu aufgerufen, uns die Notwendigkeit des Kompromisses wieder öfter bewusst zu machen. Dieser kann nie alle Beteiligten gleichermaßen zufriedenstellen. Das kann aber kein Grund sein, sich hierüber in die Unversöhnlichkeit treiben zu lassen", mahnte die Bundestagspräsidentin.

Christina Morina rief dazu auf, "von der parlamentarischen Demokratie nicht länger nur im Krisenmodus zu sprechen, sondern sie als Überzeugungswerk zu verstehen. Sie lebt von der Kunst der Überzeugung, vom Gewicht des besseren Arguments als Voraussetzung für eine wirksame Auseinandersetzung mit anstehenden Problemen". Wer überzeugt sei, dass die parlamentarische Demokratie noch immer die beste Regierungsform ist, "der muss in der Lage sein, diese Überzeugung immer wieder neu zu begründen", sagte sie.

Morina: Größere Reichweite des populistischen Antiparlamentarismus durch soziale Medien

Doch die Fähigkeit zur Kompromissfindung und Überzeugungskraft, die die bundesdeutsche Demokratie nach 1945 stark gemacht habe, stehe unter Druck, auch das sprachen die drei Redner an. Zum einen durch autoritäre Regime weltweit. "Ich habe eigentlich eine solche Situation noch nicht erlebt. Der Kalte Krieg war eine starke Bedrohung, aber mit dem, was wir heute an Brandherden weltweit erleben, hält er nicht stand", fasste Baum seine lange politische Erfahrung zusammen.


Gerhart Rudolf Baum während seiner Begrüßungsansprache
Foto: DBT / Henning Schacht
„Wenn Freiheit benutzt wird, um sie abzuschaffen, müssen wir reagieren!“
Ex-Bundesinnenminister Gerhart Baum (FDP)

Morina warnte ebenfalls vor antidemokratischen Strömungen. Die Logik des populistischen und extremistischen Antiparlamentarismus habe durch die sozialen Medien eine größere Reichweite erlangt, als ihr an Wählerstimmen gemessen zukäme. Dieser Logik verfalle, "wer die Migration zur 'Mutter aller Probleme' erklärt, wer 'Bürgernähe' zum Maß aller Politik stilisiert, wer Forderungen mit Verweis auf 'die Leute' zu begründen versucht, oder das Land den 'Sorgen und Ängsten' derer ausliefert, die am lautesten schreien", erläuterte die Wissenschaftlerin. 

Morina wurde in diesem Teil ihrer Rede mehrfach von Zwischenrufen aus den Reihen der AfD-Fraktion unterbrochen, ließ sich davon aber wenig beeindrucken und warnte: "Populisten und Nationalisten treten nicht an, um die liberale Demokratie und ihre Parlamente zu stärken, sondern um sie zu entmachten. Sie sprächen von 'Mitmachdemokratie' oder 'Politik für die Mehrheit', verunstalteten diese Begriffe aber, um die antiparlamentarische Stoßrichtung ihrer Politik zu verschleiern. Wenn dazu aufgerufen werde, dass "das Volk" verabschiedete Gesetze "kippen" können solle, untergrabe dies auch das Wahlrecht, betonte Morina.

Jetzt ist die Zeit für eine eindeutige Reaktion 

Und dennoch gebe es keinen Grund zu Verzagtheit, bekräftigten die Drei. "In 75 Jahren Bundestag haben wir immer wieder bewiesen, dass wir Krisen bewältigen können, trotz harter Kontroversen. Unsere Demokratie ist stark und wehrhaft gegenüber allen, die ihr schaden wollen", sagte Bärbel Bas. Gerhart Baum zitierte einen Satz von Carlo Schmid (SPD), einer der Väter des Grundgesetzes, der gesagt habe, "'wir haben Euch ein freies Grundgesetz gegeben, aber wenn diese Freiheit dazu benutzt wird, um sie abzuschaffen, dann müsst Ihr reagieren'. Und das müssen wir jetzt tun!", mahnte er. 

Die Parteien seien verpflichtet, noch mehr Überzeugungsarbeit für die parlamentarische Demokratie zu leisten, so Morina. Sie seien auch heute eine gute Option für Engagement: "Man kann sie nämlich verändern, man kann sie bewegen", sagte Baum unter großem Beifall.

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