35 Jahre nach der friedlichen Revolution : Vizepräsidentinnen berichten über ihre Wege in der Demokratie
Beim Bürgerfest des Bundestages sprachen Petra Pau und Yvonne Magwas über ihre Erfahrungen im vereinten Deutschland und Verantwortung in turbulenten Zeiten.
Das Wetter meinte es gut am 7. September, fast neun Sonnenstunden wurden in Berlin verzeichnet; perfektes Geburtstagswetter also für den Bundestag, der am vergangenen Wochenende sein 75-jähriges Jubiläum mit einem Bürgerfest zelebrierte. Kunstführungen durch das Parlamentsviertel, Live-Musik oder Speed-Dating mit Abgeordneten standen auf dem Programm. Unter dem Motto "75 Jahre Demokratie lebendig" wurde nicht nur der Bundestag, sondern die Demokratie an sich gefeiert.
Demokratie - keine selbstverständliche Erfahrung
Doch 75 Jahre Demokratie sind nicht für alle Bürgerinnen und Bürger in Deutschland eine selbstverständliche Erfahrung. Petra Pau (Die Linke) und Yvonne Magwas (CDU), zwei der fünf Vizepräsidentinnen des Bundestages, profitieren von den Freiheiten des Grundgesetzes erst seit der Wiedervereinigung Deutschlands. Die beiden Politikerinnen, geboren in der DDR, sprachen auf dem Bürgerfest über ihre "Erfahrungen, Herausforderungen und Perspektiven - 35 Jahre nach der friedlichen Revolution" - so auch der Titel der Veranstaltung.
35 Jahre nach der Friedlichen Revolution: Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) besucht die Ausstellung, die Einblicke in "180 Tage, 164 Gesetze, 93 Beschlüsse zur Wiedervereinigung, 35 Jahre freie Wahlen zur Volkskammer", zeigt.
"Die DDR war eine Diktatur", sagte Pau im Gespräch und berichtete, wie stark sie die Ereignisse der Jahre 1989 und 1990 geprägt haben. Als klar war, dass die Einigung Deutschlands kommen würde, habe sich die damals 26-Jährige gefragt: "Kannst du irgendetwas mitgestalten?" Daraufhin kandidierte Pau für die Bezirksverordnetenversammlung in Berlin-Hellersdorf - der Beginn einer beeindruckenden politischen Laufbahn. Damit, dass sie einmal Bundestagsabgeordnete und gar Vizepräsidentin des Bundestages sein würde, habe sie nicht gerechnet. Hätte ihr das jemand prophezeit, "ich hätte ihn damals, zu dieser Zeit, zum Arzt geschickt", so Pau.
Amt verlangt positive Einstellung zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung
Auch Yvonne Magwas, die 1989 gerade zehn Jahre alt war, beschrieb, wie tief die Umbruchszeit ihr Leben prägte. Ihre Eltern, zwei Textilingenieure, mussten sich nach der Wiedervereinigung beruflich umorientieren und überlegten, das heimische Auerbach im sächsischen Vogtland gen Westen zu verlassen, aufgrund besserer beruflicher Perspektiven. Ihre familiäre Bindung und die katholische Prägung hätten Magwas schließlich zur Jungen Union geführt, berichtete die Abgeordnete.
Seit 2021 ist Magwas nun Mitglied des sechsköpfigen Bundestagspräsidiums, während Pau dieses Amt bereits seit 2006 ausübt. Neben Pau und Magwas unterstützen Aydan Özoguz (SPD), Katrin Göring-Eckardt (Bündnis 90/Die Grünen) und Wolfgang Kubicki (FDP) die Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD). Ein Vizepräsident der AfD hingegen fehlt. Zwar steht der AfD nach der Geschäftsordnung des Bundestages ein Sitz im Präsidium zu, doch bisher ist es keinem ihrer Kandidaten gelungen, die notwendige Mehrheit der Stimmen zu gewinnen. Beide Politikerinnen finden das richtig. Denn die Mehrheit der Abgeordneten stehe nicht hinter einem AfD-Kandidaten. "Unsere Aufgabe ist es, die Würde des Hauses zu repräsentieren, die Würde des Hauses auch hochzuhalten", sagte Magwas. Das sei eine Aufgabe, die mit sehr viel Verantwortung und einer positiven Einstellung zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung verbunden sei - das sehe sie bei der AfD nicht.
Die beiden Frauen stimmten auch darin überein, dass der Ton im Plenum in den vergangenen Jahren rauer geworden sei. Längst seien die Debatten nicht mehr nur sachlich geprägt, sondern würden zunehmend von persönlichen Diffamierungen begleitet. Besonders oft seien Pau und Magwas, so wie viele andere Frauen auch, Zielscheibe für Angriffe, die besonders auf das Aussehen oder die Sprache abzielten.
Warum Demokratie aktiv gelebt und geschützt werden muss
Das sei für viele Bürger ein Grund, der parlamentarischen Arbeit fernzubleiben, glaubt Magwas. Die Frauenquote liegt derzeit im Bundestag bei knapp 35 Prozent - ein Umstand, der aber nicht nur mit der rauen Diskussionskultur zusammenhängt. Auch die Vereinbarkeit von Familie und Beruf sei in der parlamentarischen Arbeit noch immer schwierig.
Pau ergänzte, die Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen und auf Zeit für ein Mandat zu kandidieren, gehe zurück. Am Ende des Gesprächs wird deutlich: 75 Jahre Demokratie sind nichts, was sich von selbst versteht - sie muss aktiv gelebt und geschützt werden.
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