Bundestagspräsidium : Das Machtzentrum des Parlaments
Das Präsidium des Bundestags ist mehr als ein Verwaltungsgremium. Es hält die Fäden in der Hand, lenkt, kontrolliert und sorgt für Ordnung im Parlament.
Langer Eugen, so heißt im Volksmund das ehemalige Abgeordnetenhochhaus in Bonn. Denn Eugen Gerstenmaier, Bundestagspräsident von 1954 bis 1969, hat diesen Neubau durchgesetzt - nicht ohne Widerstände, weil sich der Bundestag damit erkennbar für längere Zeit im ursprünglichen Provisorium Bonn eingerichtet hatte. Dass Gerstenmaier sich durchsetzen konnte, war durch seine Amtsbefugnisse bedingt.
Ein Bundestagspräsident ist Herr über die Liegenschaften des Parlaments. Die Bundesregierung hat hier nichts zu melden; das Parlament hat im Präsidium, bestehend aus dem Präsidenten und den Vizepräsidenten, seine eigene Regierung. Der Bundestagspräsident gebietet sogar über eine eigene Polizei. Bundes- und Landespolizeien haben keinen Zutritt, es sei denn zur Amtshilfe.
Die öffentlich sichtbarste Aufgabe des Präsidiums um die Bundestagspräsidentin ist die Leitung der Sitzungen. Die Präsidentin ist aber auch Dienstherrin von mehr als 3.000 Mitarbeitenden der Bundestagsverwaltung.
Die Bundestagspolizei und das Gebäudemanagement sind Teil der Bundestagsverwaltung mit rund 3.200 Beamten und Angestellten, deren Dienstherrin die Bundestagspräsidentin ist. Dazu gehören unter anderem das öffentlich zugängliche Parlamentsarchiv, die Wissenschaftlichen Dienste, die Stenographen und, ganz wichtig für die laufende Parlamentsarbeit, die Ausschuss-Sekretariate. Auch die Redaktion dieser Zeitung gehört dazu. Nicht zur Bundestagsverwaltung gehören die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Abgeordneten, die von diesen unmittelbar angestellt sind, sowie die Angestellten der Fraktionen und Gruppen.
Eingreifen, wenn es im Plenum hitzig wird
Öffentlich in Erscheinung tritt die Bundestagspräsidentin vor allem, wenn sie, abwechselnd mit ihren Vizes, die Plenarsitzungen leitet. Sie erteilt das Wort, achtet auf die Einhaltung der Redezeit und greift ein, wenn es allzu hitzig wird. Dann kann sie Ordnungsrufe erteilen, ein Ordnungsgeld verhängen und sogar "wegen gröblicher Verletzung der Ordnung oder der Würde des Bundestages" Abgeordnete aus dem Saal verweisen und für bis zu dreißig Sitzungstage ausschließen. In den 75 Jahren des Deutschen Bundestages erteilte das Präsidium 783 Mal einen Ordnungsruf, in der ersten Wahlperiode gleich 156 Mal. Dafür war es in der 17. Wahlperiode (2009 bis 2013) besonders friedlich - es gab nur einen Ordnungsruf.
In den vergangenen Jahren ist das Debattenklima im Bundestag rauer geworden: Deshalb sollen diese Bestimmungen in der Geschäftsordnung des Bundestages verschärft werden. Die Fraktionen von SPD, Grünen und FDP sowie der Union haben Anträge für eine Geschäftsordnungsreform eingebracht, die nach der Sommerpause im Geschäftsordnungsausschuss beraten und dann beschlossen werden soll. Die Koalitionsfraktionen schlagen vor, dass nach dem dritten Ordnungsruf innerhalb von drei Sitzungswochen automatisch ein Ordnungsgeld verhängt wird, sofern der Abgeordnete nicht bereits des Plenarsaals verwiesen wurde. Auch soll das Ordnungsgeld von 1.000 auf 2.000 Euro erhöht werden und im Wiederholungsfall von 2.000 auf 4.000 Euro. Auch die Union ist für schärfere Sanktionen.
Präsidentin ist Wächterin der Parteienfinanzierung
Ein weiterer zentraler Aufgabenbereich der Bundestagspräsidentin ist die Überwachung der Parteienfinanzierung. Unterstützt von der Verwaltung des Hauses prüft die Präsidentin die Vollständigkeit und Korrektheit der Rechenschaftsberichte der Parteien. Bei Verstößen können Sanktionen, wie etwa die Rückforderung von staatlichen Mitteln, verhängt werden.
Die Bundestagspräsidentin vertritt das Parlament auch nach außen. So hat sie kürzlich in einem Schreiben an das Kanzleramt nachdrücklich an die Auskunftspflicht der Bundesregierung gegenüber den Abgeordneten erinnert.
Elf der bisher vierzehn Bundestagspräsidenten kamen aus den Reihen der Union
Protokollarisch ist die Bundestagspräsidentin die Nummer Zwei im Staat, nach dem Bundespräsidenten und vor dem Bundeskanzler. Gemäß altem parlamentarischem Brauch stellt stets die stärkste Fraktion den Präsidenten oder die Präsidentin. Das ist so selbstverständlich, dass es in der Geschäftsordnung gar nicht direkt vorgeschrieben ist und es nur heißt: "Ist der Präsident verhindert, vertritt ihn einer seiner Stellvertreter aus der zweitstärksten Fraktion." Für ihre Wahl ist zunächst die absolute Mehrheit der Bundestagsmitglieder erforderlich, gegebenenfalls in einem dritten Wahlgang dann die Mehrheit der abgegebenen Stimmen.
Da die meiste Zeit des Bestehens der Bundesrepublik Deutschland die Union die stärkste Fraktion stellte, kamen aus ihren Reihen elf der bisher vierzehn Bundestagspräsidenten, davon ein einziges Mal mit Richard Stücklen (1976 bis 1983) von der CSU. In einer Hinsicht führt allerdings die SPD: Zwei der drei Parlamentsoberhäupter aus ihren Reihen waren oder sind weiblich, nämlich Annemarie Renger (1972 bis 1976) und seit 2021 Bärbel Bas. Dagegen entsandte die Union nur eine Frau, nämlich Rita Süßmuth (1987 bis 1998), in diese Funktion.
Oft stellt das Amt des Bundestagspräsidenten den krönenden Abschluss einer politischen Laufbahn dar, so war es bei den ehemaligen Partei- und Fraktionsvorsitzenden Rainer Barzel (1983 bis 1984) und Wolfgang Schäuble (2017 bis 2021) von der CDU. Es muss aber nicht das Ende einer Karriere sein: Karl Carstens (CDU, 1976 bis 1979) wurde aus dem Amt heraus zum Bundespräsidenten gewählt.
Vier Rücktritte in 75 Jahren - Fake News spielten dabei auch eine Rolle
Vier Bundestagspräsidenten sind bisher vorzeitig zurückgetreten. Gleich der erste, Erich Köhler (CDU, 1949 bis 1950), hatte aufgrund seiner umstrittenen Amtsführung den Rückhalt in der eigenen Fraktion eingebüßt. Rainer Barzel trat aufgrund von Anschuldigungen im Zusammenhang mit der Flick-Parteispendenaffäre von seinem Amt zurück.
Eugen Gerstenmaier sah sich unter anderem mit dem Vorwurf konfrontiert, er habe nicht wie behauptet dem Widerstand gegen Adolf Hitler angehört, sondern sei im Gegenteil Agent des SS-Geheimdienstes gewesen. Heute weiß man, dass die DDR-Staatssicherheit westdeutsche Medien mit Fake News gefüttert hatte. Philipp Jenninger (CDU, 1984 bis 1988) hatte mit einer Rede im Bundestag zum fünfzigsten Jahrestag der Reichspogromnacht einen Tumult bei der Opposition geerntet; kurz nach seinem Rücktritt wurde er voll rehabilitiert.
Streit um einen Vize-Posten für die AfD: Verfassungsgericht weist die Klage ab
Einen Konflikt anderer Art gibt es seit einiger Zeit um die Bundestags-Vizepräsidenten. Die Geschäftsordnung des Bundestages sieht einen Vizepräsidenten für jede Fraktion vor. Dennoch ist die seit 2017 im Bundestag vertretene AfD bisher leer ausgegangen; keiner ihrer mittlerweile 18 Bewerberinnen und Bewerber hat eine Mehrheit im Plenum gefunden. Ihr Versuch, rechtlich dagegen vorzugehen, ist 2022 vom Bundesverfassungsgericht abgewiesen worden. Nun wollen die Koalitionsfraktionen im Rahmen der Geschäftsordnungsreform die Regelung präzisieren. Danach soll das Amt des Vizepräsidenten von der freien und geheimen Wahl durch den Bundestag abhängen, und dieser Grundsatz soll dem sogenannten Grundmandat, wonach jede Fraktion durch mindestens einen Vizepräsidenten im Präsidium vertreten sein soll, vorgehen.
Die AfD-Fraktion ist nicht die erste, die leer ausgeht. Als 1983 die Grünen erstmals in den Bundestag einzogen, sah die Geschäftsordnung, ohne Fraktionen zu erwähnen, vier Vizepräsidenten vor. Die Grünen-Fraktion beantragte nun, die Zahl auf fünf zu erhöhen, was die anderen Fraktionen ablehnten. Bei der anschließenden Wahl des Präsidiums gingen die Grünen leer aus. Dies wiederholte sich nach der Bundestagswahl 1987, obwohl diesmal neben den Grünen auch die SPD einen fünften Vizeposten beantragte.
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Kaum ein Regelwerk ist so beständig und muss sich doch immer wieder bewähren wie die Geschäftsordnung des Bundestages. Über eine lange Geschichte.
Ähnlich erging es nach der ersten gesamtdeutschen Bundestagswahl 1990 der PDS. Nicht nur CDU/CSU und FDP lehnten zusätzliche Vizepräsidenten ab, sondern auch die SPD-Fraktion und sogar Teile der Grünen. Doch 1994 geschah etwas Unerwartetes. Obwohl es bei vier Stellvertretern geblieben war, setzte sich Antje Vollmer (Grüne) in einer Kampfabstimmung gegen Anke Fuchs (SPD) durch. Die SPD-Fraktion hatte nun mit dem zuvor gewählten Hans-Ulrich Klose erstmals nur noch einen Vertreter im Präsidium.
Dies führte zur heute noch geltenden Regelung in der Geschäftsordnung, die jeder Fraktion das Recht zusichert, mindestens einen Vizepräsidenten zu stellen. Nachdem die PDS 1998 erstmals in Fraktionsstärke in das Parlament eingezogen war, konnte sie nun mit Petra Bläss auch eine Vizepräsidentin stellen. 2002 scheiterte die PDS wieder an der Fünf-Prozent-Hürde. 2005 zog die Linke, in der die PDS aufgegangen war, in Fraktionsstärke in den Bundestag ein. Allerdings erhielt der von ihr als Vizepräsident nominierte Lothar Bisky in vier Wahlgängen nicht die nötige Mehrheit.
Eine Abwahl sieht die Bundestags-Geschäftsordnung nicht vor
Ein halbes Jahr später schickte die Linke Petra Pau ins Rennen. Sie wurde gewählt und seitdem jedes Mal wiedergewählt. Sie blieb sogar im Amt, als Anfang dieses Jahres, nach dem Auszug mehrerer Abgeordneter um Sahra Wagenknecht, die Linke den Fraktionsstatus verlor und zur Gruppe wurde. Abgesehen davon, dass Pau auch in anderen Fraktionen geschätzt wird: Eine Abwahl sieht die Geschäftsordnung des Bundestages nicht vor. Gewählt ist gewählt.