Neue Regeln im Bundestag : Größte Reform der Geschäftsordnung seit 1980 geplant
Koalition und CDU/CSU wollen die Geschäftsordnung des Bundestages grundlegend reformieren. Bei der AfD-Fraktion stoßen die Vorschläge auf strikte Ablehnung.
Vor 44 Jahren gewann die sozialliberale Koalition mit Helmut Schmidt (SPD) als Kanzler noch einmal die Bundestagswahl, und im Parlament saßen wie schon seit 1961 nur die drei Fraktionen von CDU/CSU, SPD und FDP. Auch wurde die bundesdeutsche Fußballnationalmannschaft der Männer 1980 Europameister und der Bundestag beschloss eine grundlegende Reform seiner Geschäftsordnung. An die beiden letztgenannten Ereignisse wurde gleich mehrfach erinnert, als der Bundestag am Mittwoch erstmals über Anträge der Koalitionsfraktionen von SPD, Grünen und FDP und der Union für eine neuerliche umfassende Geschäftsordnungsreform debattierte.
Die Koalition will das Ordnungsgeld deutlich erhöhen
Wie die drei Koalitionsfraktionen in ihrer Vorlage ausführen, beruht die Geschäftsordnung im Wesentlichen noch auf der Fassung von 1980. Deren Regelungen entsprächen in Teilen nicht mehr der parlamentarischen Praxis. Es sei an der Zeit, die Geschäftsordnung umfassend zu modernisieren. Ziel sei es, das Parlament als "Ort der Debatte und Gesetzgebung" zu stärken, Verfahrensregeln zu präzisieren und das parlamentarische Ordnungsrecht "maßvoll" zu erweitern.
So wollen die drei Fraktionen einen Automatismus einführen, wonach beim dritten Ordnungsruf innerhalb von drei Sitzungswochen ein Ordnungsgeld festgesetzt wird, sofern der Abgeordnete nicht bereits des Sitzungssaals verwiesen worden ist. Schon bestehende Möglichkeiten, bereits vorher ein Ordnungsgeld zu verhängen, sollen dadurch nicht geschmälert werden. Auch soll das Ordnungsgeld von 1.000 auf 2.000 Euro erhöht werden und im Wiederholungsfall von 2.000 auf 4.000 Euro. Zudem sollen Ausschussvorsitzende nach dem Willen der Koalition bei erheblichen Störungen durch Ausschussmitglieder diese künftig mit Zustimmung einer qualifizierten Mehrheit von der Beratung ausschließen können.
Des Weiteren schlägt die Koalition vor, zwischen der Wahl des Bundestagspräsidenten und der Wahl der Vizepräsidenten zu differenzieren. Für letztere wollen die drei Fraktionen normieren, dass das Amt von der freien und geheimen Wahl durch den Bundestag abhängt und dieser Grundsatz dem sogenannten Grundmandat, wonach jede Fraktion durch mindestens einen Vizepräsidenten im Präsidium vertreten sein soll, vorgeht. Daneben sieht der Antrag unter anderem vor, dass der Petitionsausschuss künftig empfehlen kann, die Beratung einer Petition auf die Tagesordnung des Plenums zu setzen, wenn diese mehr als 100.000 Unterzeichner hat und im Ausschuss bereits eine Anhörung stattfand.
Union dringt auf Stärkung der Oppositionsrechte
Die Union schlägt in ihrem Antrag vor, die Tagesordnung des Bundestagsplenums zu entlasten, weil die Behandlung zu vieler, "oftmals rein technischer Vorlagen" die Konzentration auf das Wesentliche verhindere. Die abschließende Beratung dieser "technischen Vorlagen" will die Fraktion den Ausschüssen vorbehalten. Wichtige Debatten müssten so platziert werden, dass sie von möglichst vielen Personen live verfolgt werden können.
Bei Abgeordneten, die wiederholt die Ordnung oder die Würde des Hauses verletzen, reichen die bestehenden Sanktionsmöglichkeiten auch aus Sicht der Unionsfraktion nicht aus. Dafür müsse ein Automatismus eingeführt werden. Ferner treten die Unionsabgeordneten unter anderem für eine bessere Kontrolle der Regierung durch Stärkung der Oppositionsrechte ein. So solle sich der Kanzler künftig in jedem Quartal der Regierungsbefragung im Parlament stellen statt bisher dreimal jährlich.
Koalition will sich mit Union auf gemeinsame Reform verständigen
In der Debatte betonten Vertreter der drei Koalitionsfraktionen ebenso wie Redner der Union ihren Willen, sich auf ein gemeinsam zu beschließendes Regelwerk zu verständigen. Johannes Fechner (SPD) nannte es sinnvoll, die Geschäftsordnung "mit der größten Oppositionsfraktion und gerne auch mit den Gruppen" gemeinsam zu verabschieden. Auch Patrick Schnieder (CDU) äußerte für die Union den Wunsch, "dass wir gemeinsam etwas auf den Weg bringen". Zugleich mahnte er, die Attraktivität der Debatten müsse gesteigert und die parlamentarische Kontrollfunktion gestärkt werden. Auch sei über Verbesserungen bei der Familienfreundlichkeit für junge Eltern im Parlament nachzudenken. Das vermisse die Union in der Koalitionsvorlage.
Von den darin vorgesehenen Neuregelungen kritisierte Schnieder unter anderem, dass danach Petitionen im Bundestag beraten werden könnten, wenn das Quorum von 100.000 Unterschriften erreicht wird. Das sei unnötig, weil eine Fraktion heute schon eine Petition auf die Tagesordnung setzen könne, und "gefährlich, weil 100.000 Unterschriften für Aktivisten überhaupt kein Problem darstellen".
Filiz Polat (Grüne) verwies im Gegenzug darauf, dass sich laut Grundgesetz alle Menschen in Deutschland mit Bitten und Beschwerden an den Bundestag wenden könnten. Diese Anliegen sollten noch mehr Aufmerksamkeit im Parlament erhalten.
Stephan Thomae (FDP) verteidigte die Koalitionsvorhaben beim Ordnungsrecht. Beleidigende Zwischenrufe hätten zu unterbleiben, und wer zu viele Ordnungsrufe kassiere, müsse auch mal ein Ordnungsgeld bezahlen. Das sei "kein Angriff auf die freie Rede" und ändere nichts am Ermessen des Präsidiums.
AfD nennt Koalitionsantrag ein "eigennütziges Stückwerk"
Auf entschiedene Ablehnung stieß die Koalitionsvorlage bei der AfD. Stephan Brandner (AfD) nannte sie "ein hilfloses, eigennütziges Stückwerk" und einen "Frontalangriff auf die Opposition in diesem Haus". So wolle die Koalition in die Geschäftsordnung schreiben, dass seine Fraktion keinen Anspruch mehr auf den Posten eines Vizepräsidenten des Parlaments haben solle, und das Ordnungsgeld verdoppele sie im Wissen, dass dies die freie Rede der AfD eingrenze.