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Foto: DBT/Henning Schacht
Unionspolitiker Volker Kauder lernte Wolfgang Schäuble Anfang der 1970er Jahre in der Jungen Union Südbaden kennen.

Volker Kauder im Interview : "Es wurde mucksmäuschenstill, wenn er sich zu Wort meldete"

Volker Kauder war über Jahrzehnte ein politischer Wegbegleiter von Wolfgang Schäuble. Im Interview gibt er Einblicke in eine manchmal sehr besondere Zusammenarbeit.

20.01.2024
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5 Min

Herr Kauder, gibt es Freundschaft in der Politik?

Volker Kauder: Es gibt in der Politik Freundschaft, wenn die Freundschaft schon vor der Politik bestanden hat, aber ich habe auch während meiner politischen Arbeit im Parlament gute Freunde gefunden.

War Wolfgang Schäuble ein Freund für Sie?

Volker Kauder: Wolfgang Schäuble war ein Freund, und wir hatten ja viele gemeinsame Jahrzehnte in der Politik.

Was beschreibt ihn in seinem Wirken am besten? Unabhängig, unparteiisch oder unbequem?

Volker Kauder: Alles drei. Er war unabhängig und konnte auch unbequem werden - vor allem im Gespräch mit Menschen, von denen er meinte, dass sie intellektuell nicht auf Augenhöhe mit ihm sind. Das hat er dann auch gezeigt. Er konnte aber auch unbequem sein, wenn es um bestimmte politische Projekte ging. Das habe ich in meiner Zeit als Fraktionsvorsitzender immer wieder erlebt, vor allem als er Finanzminister war. Sein "Nein" zu bestimmten Ausgabenwünschen war meistens nicht zu knacken.

Foto: DBT/Thomas Köhler/photothek

Im Gespräch: Volker Kauder (l.) und Wolfgang Schäuble während einer Bundestagssitzung im Plenarsaal im Jahr 2013.

Schäuble war die 1990er Jahre hindurch Vorsitzender der Unionsfraktion, Sie fast in der gesamten Ära Merkel. Hat diese Gemeinsamkeit Ihre Beziehung verändert?

Volker Kauder: Nein. Sicher war es für mich gut, dass Wolfgang Schäuble die Erfahrung als Fraktionsvorsitzender auch hatte und wir beide wussten, dass es nicht immer einfach war, Chef der Bundestagsfraktion zu sein: die Truppe zusammenzuhalten, zur gleichen Zeit aber auch die Regierungsarbeit zu unterstützen. Deswegen konnten wir uns bei großen Herausforderungen schon aufeinander verlassen.

Sie sagten, dass Schäuble nicht zuletzt als Finanzminister unbequem sein konnte. Derweil hatten Sie der Kanzlerin die Mehrheit zu sichern. Wie schwer war das, wenn Schäuble mal anderer Meinung als Merkel war - etwa als er in der Euro-Krise für ein zeitweiliges Ausscheiden Griechenlands aus dem Euro warb?

Volker Kauder: Da habe ich mit ihm mehrfach gesprochen, und da kam dann der typische Wolfgang Schäuble: "Ich habe meine Meinung, aber als Minister der Kanzlerin Angela Merkel bin ich loyal". Da wusste man, dass er anderer Meinung ist als sie, dies aber nur sehr verhalten zeigt. Dass er seine Meinung zeigt, war selbstverständlich für ihn. Aber er hat sich loyal verhalten, was ihm in dieser Frage sicher nicht leicht fiel.

Auf dem Trauerstaatsakt für Schäuble spricht auch der französische Staatspräsident. Was war für Schäuble die deutsch-französische Freundschaft - und umgekehrt?

Volker Kauder: Dass der französische Staatspräsident kommt, ist schon eine außergewöhnliche Würdigung des politischen Lebens von Wolfgang Schäuble. Ich halte es aber auch für angemessen. Schon in frühester politischer Tätigkeit hat er sich für die deutsch-französische Zusammenarbeit eingesetzt; das war ihm ein Herzensanliegen. Er hat immer gesagt, der Rhein dürfe uns nicht trennen, und sah in der deutsch-französischen Freundschaft den wahren Motor der europäischen Einigung. Das hat er seine ganze politische Arbeit hindurch verfolgt.

Bei einem Empfang zu Schäubles 70. Geburtstag, zu dem Sie als Fraktionschef eingeladen hatten, sagte Christine Lagarde, die heutige EZB-Präsidentin: "Europa hat eine Seele, aber Europa hat auch ein Herz - und das schlägt in Wolfgang Schäuble." Machen Sie sich Sorgen um Europa, nachdem dieses Herz nun aufgehört hat zu schlagen?

Volker Kauder: Die Europäische Union ist zur Zeit in keinem wirklich guten Zustand. So haben wir etwa zu lange Entscheidungswege in der EU. Diese Schwierigkeiten dürfen uns aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass Wolfgang Schäubles Satz "Europa ist unsere Zukunft" stimmt. Ohne dieses Europa sähe alles viel schlimmer aus. Wir durften als erste Nachkriegsgeneration erfahren, dass Europa die wirkliche Friedensversicherung für uns war - schon allein das rechtfertigt es, sich für dieses Europa bedingungslos einzusetzen.

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Volker Kauder
ist 74 Jahre alt und trat 1966 im Alter von 17 Jahren in Baden-Württemberg in die Junge Union ein, bei der er Wolfgang Schäuble kennenlernte. Von 1991 bis 2005 war der promovierte Jurist Generalsekretär der Südwest-CDU, 2005 bekleidete er den Posten in der Gesamtpartei. Dem Bundestag gehörte er von 1990 bis 2021 als stets direkt gewählter Abgeordnete des Wahlkreises Rottweil-Tuttlingen an. Von 2002 bis 2005 war er Erster Parlamentarischer Geschäftsführer der CDU/CSU-Fraktion, danach bis 2018 ihr Vorsitzender und damit der am längsten amtierende Unions-Fraktionschef in deren Geschichte.
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Was war Ihr erster Eindruck von Schäuble, als sie sich Anfang der 1970er Jahre kennenlernten?

Volker Kauder: Er war damals Bezirksvorsitzender der Jungen Union Südbaden, ich Kreisvorsitzender in Konstanz. Ich erinnere mich noch gut an die ersten Begegnungen, die beeindruckend waren durch seine brillanten Analysten, seine Reformvorschläge auch für die CDU und seinen Willen, Dinge, die er für richtig hielt, auch umzusetzen. Wir haben freundschaftlich, aber nicht immer spannungsfrei zusammengearbeitet.

Neun Tage nach der Deutschen Einheit wurde Wolfgang Schäuble Opfer des Attentats, das ihn für den Rest seines Lebens an den Rollstuhl fesselte. Welchen Eindruck machte er auf Sie, als Sie ihn danach erstmals wieder trafen?

Volker Kauder: Wir waren als die Kandidaten aus Baden-Württemberg für die Bundestagswahl 1990 nach Offenburg eingeladen, als er dort zum ersten Mal nach dem Attentat wieder in die Öffentlichkeit kam. Ich stand auf der Bühne, als Wolfgang Schäuble im Rollstuhl zu uns kam. Da sind mir die Tränen gekommen. Ich habe ihn bewundert - man sah, dass er nicht gesund war, das hat mich sehr mitgenommen. Aber später spürte man, dass er dies überwunden hat. Er wollte auch nie auf die Situation im Rollstuhl angesprochen werden und ich kann mir vorstellen, dass die Leistungen, die er danach erbracht hat, für viele Menschen mit Behinderungen ermutigend sein könnten.


„Wolfgang Schäuble war trotz seiner Ämter in der Exekutive leidenschaftlicher Parlamentarier.“

Im Februar 2000 trat er im Zuge der CDU-Spendenaffäre vom Partei- und Fraktionsvorsitz zurück. Wie haben Sie das erlebt, vor allem den Bruch zwischen dem Parteipatriarchen und Einheitskanzler Helmut Kohl und Schäuble?

Volker Kauder: Das war für mich und für viele alles sehr verstörend. Es machte mich auch sehr betroffen, weil ich gedacht hatte, dass Wolfgang Schäuble die organische Nachfolge von Helmut Kohl sein und uns in die neue Zeit führen könnte. Ich glaube, er hat unter dieser Situation mehr gelitten, als er es zeigte, und dass er - wie wir alle - das Gefühl hatte, dass es da nicht sehr gerecht zugegangen ist. Aber er hat gewusst, dass Politik so sein kann und man sie nicht planen kann wie eine Beamtenkarriere.

Sein Wort hatte auch danach ganz unabhängig von seinen Ämtern großes Gewicht - oder täuscht der Eindruck?

Volker Kauder: Der Eindruck täuscht nicht, das war so. Ich habe das ja in 13 Jahren als Fraktionsvorsitzender erlebt: Es wurde mucksmäuschenstill, wenn er sich in der Fraktion zu Wort meldete. Jeder wusste dann: Jetzt kommt etwas Besonderes.

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Als Schäuble 2017 dienstältester Abgeordneter in einem gesamtdeutschen Parlament wurde und diese Zeitung dies vermelden wollte, verwies er darauf, dass SPD-Übervater August Bebel eine längere Parlamentszugehörigkeit aufweise, wenn man dessen Abgeordnetenzeit im Norddeutschen Bund von 1867 bis 1871 berücksichtigt. Diese Jahre wollte er nicht übergangen wissen, auch wegen Bebels damaligen Warnungen vor der Annexion Elsass-Lothringens und den Folgen für das Verhältnis zu Frankreich. Was sagt das über den CDU-Politiker und was über den Menschen Wolfgang Schäuble?

Volker Kauder: Wolfgang Schäuble war trotz seiner Ämter in der Exekutive leidenschaftlicher Parlamentarier. Er hat mit dieser Aussage zu Bebel diese Leidenschaft für das Parlament besonders gezeigt, und er konnte auch Leistungen anerkennen, die aus anderen Fraktionen kamen. Zu einem leidenschaftlichen Parlamentarier gehört, sich zwar im Parlament diskutierend zu streiten, aber auch zu sehen, dass in Situationen, in denen das Land vor besonderen Herausforderungen steht, die Zusammenarbeit nötig ist. Es war ihm auch als Bundestagspräsident wichtig, dass die demokratischen Parteien in wesentlichen Fragen zusammenstehen, um sich so der Angriffe der rechten Seite erwehren zu können. Er wusste, dass das Parlament für die Zustimmung zur Demokratie eine entscheidende Aufgabe hat.