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Foto: picture alliance/dpa
Ausgezählt: Nach der Wiederholungswahl in Berlin verlieren vier Bundestagsabgeordnete ihr Mandat.

Wiederholungswahl in der Hauptstadt : So reagieren die Abgeordneten auf ihr Ausscheiden aus dem Bundestag

Vier Parlamentarier verlieren nach der Wiederholungswahl in der Hauptstadt ihr Bundestagsmandat. Ihre Nachfolger schmeißen derweil ihre Lebensplanung um.

16.02.2024
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5 Min

Nach der Berliner Wiederholungswahl für den Bundestag gibt es für vier Abgeordnete aus der Hauptstadt einiges zu verdauen. Sie verlieren ihre Mandate. Viele Berlinerinnen und Berliner waren am vergangenen Sonntag nämlich nicht erneut zu Wahl gegangen - damit hat das Bundesland nun weniger Sitze im Parlament. Zwei Kandidatinnen und ein Kandidat aus anderen Bundesländern ziehen hingegen bald neu in den Bundestag ein.

„Der Wahlabend war am Ende traurig“, sagt Ana-Maria Trăsnea, sie klingt am Handy trotzig. „Ich habe alles gegeben, mehr konnten wir nicht tun.“ Damit muss die 29-jährige Sozialdemokratin, die erst vor neun Monaten als Nachrückerin in den Bundestag eingezogen war, schon wieder ihr Büro räumen – und mit ihr ihre Mitarbeiter.

Insgesamt konnten am Sonntag rund 550.000 Wähler in 455 der insgesamt 2.256 Berliner Wahlbezirken ihre Stimme erneut abgeben, nachdem es bei der Bundestagswahl 2021 in Berlin zu zahlreichen Pannen und Unregelmäßigkeiten gekommen war. Vor den Wahllokalen hatte es damals lange Schlangen und Wartezeiten gegeben, Stimmen waren teilweise erst nach 18 Uhr abgegeben worden, es hatte falsche oder fehlende Wahlzettel gegeben. Der Wahlprüfungsausschuss des Bundestags sprach sich für eine teilweise Wahlwiederholung aus, das Bundesverfassungsgericht entschied schließlich, den Umfang der Wiederholungswahl gegenüber dem Ausschussbeschluss noch zu vergrößern.

Geringes Interesse an Wiederholungswahl

Auf großes Interesse stieß die Wiederholungswahl nicht. Nur knapp über 50 Prozent der Wahlberechtigten gingen erneut zur Urne, deutlich weniger als noch 2021. Damit sank auch die Wahlbeteiligung in Berlin insgesamt, und zwar von 75,2 auf 69,5 Prozent. Und das sorgt dafür, dass Berlin insgesamt drei Bundestagssitze an andere Bundesländer abgeben muss, weil sich das Stimmenverhältnis der Bundesländer verschiebt. Statt zuvor 29 Mandate, sind es nun aus der Hauptstadt nur noch 25 Abgeordnete für den Bundestag. Ein Sitz im Bundestag entfällt komplett. 

„Die letzten Tage waren ziemlich zackig, ich habe ja noch alle Pflichten“, sagt Trăsnea, „da bleibt keine Zeit zum Trauern. Nun kümmere ich mich erstmal um mein Team.“ Sie erzählt, wie sich Kollegen aus der Fraktion bei ihr gemeldet hätten, auch Grüße von Lokalpolitikern von FDP, Grünen, Linke und CDU habe es gegeben, „das tat schon gut“. Für Trăsnea gelten keine Übergangsregelungen, sie wird sich einen Job suchen müssen. „Ich werde eine kurze Auszeit nehmen und mich dann umschauen. Nun ist erstmal Entschleunigung angesagt.“
 


„Die letzten Tage waren ziemlich zackig, da bleibt keine Zeit zum Trauern. Nun kümmere ich mich erstmal um mein Team.“
Ana-Maria Trăsnea (SPD)

Auch die Nachrücker, die nach der Wiederholungswahl nun in den Bundestag einziehen sollen, hat es kalt erwischt. „Es war ja sehr unwahrscheinlich“, sagt Franziska Krumwiede-Steiner, Grüne aus Mülheim an der Ruhr. „Selbst am Wahlabend bin ich mit der Gewissheit schlafen gegangen, dass Nina Stahr ihr Mandat verdient behalten wird.“ Stahr ist Landesvorsitzende der Grünen in Berlin. „Am nächsten Morgen wurde ich dann um 6:30 Uhr von Radio Essen mit der neuen Nachricht angerufen.“ Die Situation finde sie paradox. „Man tut der Demokratie mit diesen Nachwahlen keinen Gefallen. Die Berliner wurden nun mit einem Mandatsverlust bestraft.“ So sinnvoll, sagt sie noch, sei das nicht. „Man muss sich selbst und den Bürgern viel erklären.“ Für ihr Leben als Lehrerin bedeutet der Wahlgang einige Turbulenzen. „Ich bin Beamtin. Noch habe ich nicht mit dem Schulleiter gesprochen, es ist ja Karneval.“ Krumwiede-Steiner wird auch Stahrs Sitze in den Ausschüssen für Bildung und Familie übernehmen. Und sie gibt sich ein Ziel vor: „Die Kindergrundsicherung muss vorangebracht werden. Vielleicht tut ein frischer Wind ja gut.“ 

Nachrückerin Hohmann war nicht zum Feiern zumute

Für Trăsnea rückt Angela Hohmann aus Celle in den Bundestag nach. „Es tut mir so leid für Frau Trăsnea – das war sehr ungünstig und unglücklich“, sagt sie. „Aber es ist wie es ist: Die Wähler haben es durch Wahl oder Nicht-Wahl entschieden.“ Hohmann, 60, hatte eigentlich eine andere Lebensplanung. Nach 37 Jahren Arbeit bei einer Krankenkasse ist sie im Vorruhestand. „Ich habe derzeit viele Freiheiten durch mein Zeitmanagement, das wird nun schwinden.“ Die Wahlnacht jedenfalls war kurz. Eigentlich wollte Hohmann den Abend ruhig verfolgen, „aber dann riefen Genossen an und fragten, wo die Wahlparty sei. Ich sagte dann: ‚Na, dann kommt mal.‘ Aber während meine Gäste feierten, war mir nicht wirklich danach.“
 

Nun sind es auch die Ampelparteien, die bei der Berliner Nachwahl verloren haben, während etwa CDU und AfD zulegten. Diese Entwicklung bereitet den alten und neuen Abgeordneten Sorgen. „Das Stimmungsbild aus meinem persönlichen Umfeld in Stadt und Landkreis Celle verdeutlicht: Immer mehr Menschen wollen nicht wählen - oder nicht mehr für Ampelparteien stimmen“, sagt Hohmann. „Die Menschen sind allgemein frustriert. Jeder sieht seine persönlichen Nachteile, und manche machen dafür die Regierung verantwortlich. Wenn ich dann frage: 'Wer soll es denn machen?', kriege ich die Antwort: 'Weiß ich doch nicht.'" Und Trăsnea: „Ich bin seit neun Monaten im Wahlkreis unterwegs und spüre das steigende Misstrauen gegenüber Politik. Aber ich werde nicht aufhören, dort präsent zu sein - ich will bei der kommenden Bundestagswahl wieder kandidieren.“

Lindemann (FDP) fliegt zum zweiten Mal ungeplant aus dem Bundestag

So unterschiedlich sich die einzelnen Ampelparteien zuweilen geben, so gibt es doch auch eine gemeinsame Sicht auf die Nachwahl. „Ich bin Jurist. Das ist keine Dimension von Gerechtigkeit“, sagt Lars Lindemann. „Diese Nachwahl brachte nach meiner Bewertung rechtlich mehr neue Probleme auf, als sie gemachte Fehler tatsächlich behebt.“ Lindemann verliert sein Mandat, er ist darüber hinaus FDP-Generalsekretär des Berliner Landesverbands. Die Wahlprüfung dauere in Deutschland zu lange, die nächste Wahl stehe doch schon vor der Tür, sagt er. „Die Entscheidung der Verfassungsrichter finde ich in der Gesamtbewertung, wie der Jurist sagt, unverhältnismäßig. Das soll ausdrücklich keine Richterschelte sein. Verbittert bin ich darum auch nicht. Für mich gilt: Urteile aus Karlsruhe sind zu akzeptieren.“


„Diese Ampel ist für meine Fraktion schwierig, die Partei leidet ebenso darunter.“
Lars Lindemann (FDP)

Sein Mandat, sagt er, habe er mit Herzblut ausgefüllt. „Das ist für mich nun der zweite nicht geplante Mandatsverlust seit 2013, aber Mandate sind eben zeitlich begrenzt. Man sollte, so meine ich, stets den Vorsatz und im Blick haben, auch außerhalb des Politikbetriebes etwas zu leisten - vor und nach dem Mandat.“ Der baldige Ex-Abgeordnete gibt der Koalition etwas mit auf den Weg: „Diese Ampel ist für meine Fraktion schwierig, die Partei leidet ebenso darunter.“ Aber diese Regierungskonstellation sei bewusst gewählt worden und für die FDP an sich nicht schlecht. „Bestimmte Dinge sind nicht so gut gelaufen - das bringt mich zu Selbstkritik: Alle Beteiligten sollten mehr darauf achten, interne Debatten weniger nach außen zu tragen. Die Aufgabe von uns Parlamentariern ist, Lösungen zu suchen. Und die finden sich meist in einem Kompromiss.“

Neben Trasnea, Stahr und Lindemann ist auch Pascal Meiser (Die Linke) bald raus aus dem Bundestag. Für ihn soll Jörg Cézanne aus Hessen das Mandat erhalten. Formal erfolgt der Mandatsverlust durch einen Beschluss des Ältestenrates, der nach der Feststellung des endgültigen Wahlergebnisses durch den Bundeswahlausschuss erfolgt. Dieser wird am 1. März zusammenkommen, der Ältestenrat dann am 4. März entscheiden. Die neuen Abgeordnete, treten ihr Mandat mit der ersten Sitzung nach Bekanntgabe des Wahlergebnisses an, voraussichtlich am 13. März.