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Foto: picture alliance/dpa | Christian Charisius
Die pharmazeutische Forschung ist wichtig, manche neuen Medikamente sind aber auch sehr teuer und belasten die Krankenkassen. In diesem Zwiespalt operiert die Gesundheitspolitik.

Stärkung der Pharmaforschung : Abgeordnete kritisieren vertrauliche Erstattungsbeträge

Deutschland soll als Pharmastandort wieder attraktiver werden. Die geplante Reform findet aber nicht in allen Punkten Zustimmung.

07.06.2024
True 2024-06-13T11:21:29.7200Z
4 Min

Die Pharmaforschung hat bekanntermaßen eine Sonnen- und eine Schattenseite. Die Forschung ist unzweifelhaft wichtig, aber auch kostenintensiv. Unternehmen investieren Milliarden auf der Suche nach neuen Wirkstoffen, die womöglich "Gamechanger" sind bei der Therapie bestimmter Krankheiten - oder Flops.

An der Börse werden "Blockbuster" mit hohen Kursaufschlägen belohnt, weil für die Firmen hohe Umsätze und Gewinne winken. Von Patienten werden die Pharma-Innovationen herbeigesehnt, aber die Preise für solche Therapien erreichen bisweilen astronomische Höhen und müssen von der Versichertengemeinschaft getragen werden. Aus diesem Grund werden Gesundheitspolitiker schnell hellhörig, wenn es um Gesetze zur Stärkung der Pharmaforschung geht, wie eben gerade jetzt.

Rahmenbedingungen für die Forschung sollen besser werden

Die Bundesregierung will mit einem Medizinforschungsgesetz, das am Donnerstag erstmals beraten wurde, die Rahmenbedingungen für die Entwicklung, Zulassung und Herstellung von Arzneimitteln und Medizinprodukten verbessern. Das Ziel sei, die Attraktivität des Standortes Deutschland in der medizinischen Forschung zu stärken und den Zugang zu neuen Therapieoptionen zu beschleunigen.

Klinische Prüfungen und das Zulassungsverfahren von Arzneimitteln und Medizinprodukten sollen vereinfacht, entbürokratisiert und beschleunigt werden. Geplant ist dazu auch eine spezialisierte Ethik-Kommission für besondere Verfahren auf Bundesebene.

Präparate mit neuen Wirkstoffen müssen Zusatznutzen haben

Ein Punkt in der Novelle sorgt in Fachkreisen für Aufregung und Unverständnis. Dem Entwurf zufolge sollen der Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) und die pharmazeutischen Unternehmer "die Möglichkeit erhalten, vertrauliche Erstattungsbeträge bei Arzneimitteln mit neuen Wirkstoffen zu vereinbaren". Zur Begründung heißt es in der Vorlage, "aufgrund der internationalen Referenzwirkung des deutschen Erstattungsbetrages" könne die erforderliche Flexibilität der Verhandlungspartner eingeschränkt sein.

Bei patentgeschützten Präparaten mit neuen Wirkstoffen müssen Hersteller einen Zusatznutzen nachweisen. Pharmafirmen können für neu zugelassene, patentierte Produkte im ersten Jahr nach der Markteinführung die Abgabepreise zunächst selbst festlegen. Auf Grundlage des Zusatznutzens vereinbaren die Hersteller mit der GKV dann einen Erstattungsbetrag, der rückwirkend ab dem 7. Monat nach Markteinführung gilt.

Kassen warnen vor erheblichen Mehrausgaben 

Bisher sind die zwischen dem GKV-Spitzenverband und den Pharmaunternehmen ausgehandelten Erstattungsbeträge für patentgeschützte Arzneimittel öffentlich zugänglich. Bei Krankenversicherern stößt die geplante Neuregelung auf heftige Gegenwehr, denn sie befürchten hohe Mehrausgaben. Die AOK Rheinland-Pfalz/Saarland rügte, der funktionierende Mechanismus der Preisregulierung werde durch die "Geheimpreise" zerstört. Zu erwarten seien Mehrausgaben in Milliardenhöhe.

Was soll das Medizinforschungsgesetz bewirken?


📝 Die Genehmigung klinischer Prüfungen und das Zulassungsverfahren für Arzneimittel und Medizinprodukte sollen vereinfacht, entbürokratisiert und beschleunigt werden.

👬 Geplant ist eine spezialisierte Ethik-Kommission für besondere Verfahren auf Bundesebene.

🤫 Die mit Pharmafirmen ausgehandelten Erstattungsbeträge für Arzneimittel mit neuen Wirkstoffen sollen vertraulich bleiben können.



Ähnlich äußerte sich der Vorstandsvorsitzende des BKK Dachverbandes, Franz Knieps, der Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) vorwarf, Warnungen zu ignorieren. "Wir appellieren daher an die Bundestagsabgeordneten, diesen Irrsinn jetzt im parlamentarischen Verfahren zu stoppen." Die Preistransparenz garantiere eine faire Abrechnung von Arzneimitteln, sichere die Wirtschaftlichkeit und schütze die Bürger vor der Hochpreispolitik der Pharmaindustrie.

Lauterbach sieht Vorteil für Krebspatienten durch klinische Studien

Lauterbach ging im Bundestag auf diesen Punkt nicht ein, sondern betonte, es gehe neben dem Ausbau der Forschung und der Stärkung des Produktionsstandortes auch um eine bessere Versorgung. Als Beispiel nannte er Krebspatienten, die in Deutschland viel seltener als in anderen Ländern an Klinischen Studien teilnehmen könnten. "Das ist ein Riesennachteil, weil viele innovative Medikamente zunächst nur innerhalb von Studien zugänglich sind."

Lauterbach fügte hinzu, der "Konkurrenzkampf" zwischen Behörden werde beseitigt, künftig könne "die komplette Studie an einem Schreibtisch" beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) beantragt werden. Gute regulatorische Bedingungen für die Zulassung von Studien seien ein wichtiger Standortvorteil.

Kritik an der geplanten Ethik-Kommission auf Bundesebene

Hubert Hüppe (CDU) sieht in der Reform einige unterstützungswerte Punkte, etwa die verkürzten Prüffristen beim Strahlenschutz. Allerdings verstehe in der Fachwelt niemand, weshalb eine spezialisierte Ethik-Kommission für besondere Verfahren eingerichtet werden solle. Damit werde eine Parallelbürokratie aufgebaut, zudem sei eine solche Kommission, die bei einer Bundesbehörde angesiedelt werde, sicher nicht unabhängig.

Die Grünen-Abgeordnete Paula Piechotta warb dafür, das Gesetz aus der Perspektive kranker Menschen zu betrachten. Wie die Therapiemöglichkeiten in der Zukunft aussähen, entscheide sich auch mit den Rahmenbedingungen für klinische Studien.

Grüne fordern Streichung der Regelung für den Erstattungspreis

Den vertraulichen Erstattungspreis wertete Piechotta jedoch als "Fremdkörper" im Gesetzentwurf. Die Kritik ziehe sich durch das gesamte Gesundheitswesen, Krankenkassen rechneten jährlich mit bis zu 33 Milliarden Euro Kosten "on top", deren Finanzierung unklar sei. Ärzte wüssten künftig nicht, was ihre Verschreibungen kosten. Sie schlug vor, die Regelung zu streichen.

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Martin Sichert (AfD) mutmaßte, dass es der Regierung weniger um die Gesundheit der Menschen als um Absatzmärkte für die Pharmaindustrie gehe. Zu den Erstattungspreisen sagte er: "Alles vertraulich, alles geheim, ja keine Transparenz, damit sich kein Widerstand gegen überteuerte Medikamente regen kann." Niemand solle wissen, wie viel Profit die Pharmaindustrie mache.

Die FDP würdigte die Reform als großen Schritt nach vorne. Christine Aschenberg-Dugnus (FDP) sagte, in Deutschland habe es bisher teilweise ein Jahr gedauert, bevor eine Studie "ins Laufen" gekommen sei, künftig könne die Bearbeitungszeit auf 26 Tage verkürzt werden.

FDP würdigt Entwurf als starkes Zeichen für Innovationen

Mit der Reform werde das Fundament gelegt für einen "starken Innovationsstandort, für hochwertige Arbeitsplätze, für eine Produktion vor Ort, um Unabhängigkeit und Krisenresilienz zu schaffen".

Auch Kathrin Vogler (Linke) rügte den vertraulichen Erstattungspreis und wertete ihn als "Lex Lilly". Der US-Konzern Eli Lilly stelle zwei Medikamente mit dem selben Wirkstoff her, gegen Diabetes und zum Abnehmen für Selbstzahler. Wenn Selbstzahler nicht wüssten, was die Kassen für das Diabetesmittel zahlten, könne für das Abnehmmittel mehr berechnet werden. Das freue die Aktionäre.