Stärkung des Pharmastandortes : Die Zulassung von Arzneimitteln soll vereinfacht werden
Mit einer Reform sollen die Rahmenbedingungen für die Entwicklung, Zulassung und Herstellung von Arzneimitteln und Medizinprodukten verbessert werden.
Interessierte Beobachter hatten gerätselt, wie Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) aus dieser Misere herauskommen würde. Hatte sich Lauterbach 2016, damals als Abgeordneter, noch vehement dagegen gewehrt, die zwischen der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) und Pharmafirmen ausgehandelten Erstattungsbeträge für neue, patentgeschützte Arzneimittel vertraulich zu halten, ist genau diese Möglichkeit in seinem Entwurf für das Medizinforschungsgesetz vorgesehen. Das Vorhaben wurde von vielen Seiten heftig attackiert, sogar von der Pharmabranche selbst.
Dem deutschen Erstattungsbetrag, der bislang öffentlich zugänglich ist, wird eine "internationale Referenzwirkung" attestiert mit Auswirkungen auf Preise in anderen Ländern. Die Vertraulichkeit soll den Pharmafirmen künftig mehr Verhandlungsspielraum bringen.
Krankenversicherer rechnen mit zusätzlichen Kosten in Milliardenhöhe
Die Krankenversicherungen befürchten jedoch Preise zum Vorteil der Pharmakonzerne und zu Ungunsten der Versicherten. Ärzte wären nicht mehr im Bilde, was ihre Verordnungen kosten. Krankenversicherer rechneten vor, die Neuregelung mit "Geheimpreisen" werde zu Mehrausgaben in Milliardenhöhe führen, und das bei der ohnehin bedenklichen Kostenentwicklung im Gesundheitswesen.
Skepsis wurde sogar in der Ampel-Koalition deutlich, als die Grünen-Abgeordnete Paula Piechotta von einem "Fremdkörper" sprach und vorschlug, die Regelung im parlamentarischen Verfahren aus dem Entwurf wieder zu streichen. Quasi auf den letzten Drücker verständigten sich die Koalitionäre auf einen Kompromiss, der in dieser Woche zunächst im Gesundheitsausschuss per Änderungsantrag eingeführt und am Donnerstag zusammen mit den übrigen Regelungen im Plenum beschlossen wurde, freilich gegen das Votum der gesamten Opposition.
Zahlen zur Pharmabranche 📊🩺
💶 Die pharmazeutische Industrie in Deutschland hat 2022 rund 59 Milliarden Euro Umsatz erwirtschaftet, etwa 60 Prozent davon im Ausland.
👩🔬 Die Pharmafirmen beschäftigten 2022 in heimischen Betrieben rund 123.500 Mitarbeiter.
💊 Die Gesetzliche Krankenversicherung (GKV) hat 2023 rund 50,17 Milliarden Euro für Arzneimittel ausgegeben.
Demnach soll die Regelung bis Ende Juni 2028 befristet werden. Bis Ende 2026 ist eine Evaluation vorgesehen. Zudem sollen nur jene Pharmafirmen zur Geheimhaltung der Preise berechtigt sein, die eine relevante Arzneimittelforschung in Deutschland nachweisen können. Wollen Pharmafirmen von der Möglichkeit geheimer Erstattungsbeträge Gebrauch machen, wird außerdem ein zusätzlicher Abschlag von neun Prozent auf den zuvor ausgehandelten Betrag fällig.
Mehr Beteiligung der Länder bei der Bundes-Ethik-Kommission
Weiterhin änderten die Abgeordneten den Gesetzentwurf hinsichtlich der Standardvertragsklauseln und der geplanten spezialisierten Ethik-Kommission für besondere Verfahren auf Bundesebene. Um mehr Verbindlichkeit zu erreichen, soll die Bundesregierung nunmehr dazu ermächtigt werden, Standardvertragsklauseln mittels Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates für klinische Prüfungen festzulegen, nicht nur Vorschläge für solche Klauseln zu veröffentlichen.
Die Änderung bei der Ethik-Kommission zielt auf die Unabhängigkeit des Gremiums vom Bund. Bei der Besetzung der Ethik-Kommission sollen nun die obersten Landesgesundheitsbehörden mit eingebunden werden.
Klinische Prüfungen sollen vereinfacht und beschleunigt werden
Mit dem Medizinforschungsgesetz sollen die Rahmenbedingungen für die Entwicklung, Zulassung und Herstellung von Arzneimitteln und Medizinprodukten verbessert werden. Das Ziel ist, klinische Prüfungen und das Zulassungsverfahren von Arzneimitteln und Medizinprodukten zu vereinfachen, zu entbürokratisieren und zu beschleunigen.
Die Bundesregierung hatte auf eine breite Mehrheit gehofft, aber auch die Unionsfraktion stimmte gegen die Novelle. Georg Kippels (CDU) sagte, es habe ernstzunehmende Kritikpunkte gegeben, aber die Ampel habe "bedauerlicherweise keine positive Lernkurve" zu verzeichnen. Die jetzige Regelung für die vertraulichen Erstattungsbeträge beinhalte "einen Wust an unbestimmten Rechtsbegriffen" und ein kompliziertes, praxisfernes Instrumentarium. "Damit können wir den Forschungsstandort Deutschland nicht retten."
Neue Chancen für schwer kranke Menschen
Lauterbach verteidigte die Regelung, räumte aber ein, früher anderer Meinung gewesen zu sein, "denn früher war die Hoffnung die, dass alle Länder Europas die Erstattungsbeträge öffentlich machen". Das sei nicht geschehen. "Wir haben die höchsten Arzneimittelpreise in ganz Europa, weil wir als einzige Transparenz geboten haben." Lauterbach verspricht sich insbesondere für schwer kranke Menschen mehr Chancen durch Pharmaforschungserfolge und neue Medikamente.
Zufrieden wirkte Paula Piechotta (Grüne), weil die Erstattungspreise nun deutlich stärker reguliert würden. Von der günstigeren Regelung profitierten künftig nur Arzneimittelfirmen, "die tatsächlich auch in Deutschland produzieren, entwickeln und forschen". Als Fortschritt wertete sie auch die geänderte Strahlenschutzreglung bei klinischen Studien mit Kindern durch mehr Expertenrat.
AfD bemängelt Intransparenz und mehr Bürokratie durch die Novelle
Martin Sichert (AfD) befand hingegen, das Gesetz sei praxisfern, löse keine relevanten Probleme, "sondern schafft Intransparenz, und Bürokratie und verschafft der Bundesregierung mehr Macht". Andrew Ullmann (FDP) widersprach und betonte, mit der Novelle würden die Rahmenbedingungen für den Standort Deutschland erheblich verbessert. Dank klinischer Studien, etwa in der Krebsmedizin, könnten heute schon Therapien angeboten worden, die erst in Jahren zum Standard werden.
Heike Baehrens (SPD) fügte hinzu: "Wir entschlacken die überbordende Genehmigungsbürokratie". Zudem werde Deutschland unabhängiger von internationalen Lieferketten. Skeptisch bleibt die Linke. Kathrin Vogler (Linke) rügte, die Regierung habe "endgültig kapituliert und sich entschieden, das sehr lukrative Geschäft mit neuen Arzneimitteln noch profitabler zu machen".