Kritische Infrastruktur : "Der vorhandene Bestand wird als nicht ausreichend bewertet"
Die Versorgung mit Trinkwasser gehört zu den elementarsten Herausforderungen - nicht nur in einem Katastrophenfall.
Während Deutschland über Wochen bei Temperaturen von deutlich über 30 Grad, örtlich gar 40 Grad, schwitzte, verabschiedete das Bundeskabinett Anfang August einen Gesetzesentwurf, mit dem der Bund Städte und Gemeinden verpflichten will, Trinkwasser an möglichst vielen öffentlichen Orten frei zugänglich zu machen. Mit dem Gesetz soll die EU-Richtlinie vom Dezember 2020 über die Qualität von Wasser für den menschlichen Gebrauch umgesetzt werden.
1.000 neue öffentliche Trinkwasserbrunnen geplant
Die Gesetzesvorlage sieht die Errichtung von öffentlichen Trinkwasserbrunnen vor - beispielsweise in Parks, Fußgängerzonen oder Einkaufspassagen. Aktuell existieren deutschlandweit etwa 1.300 solcher öffentlichen Trinkwasserbrunnen. Angesichts von rund 11.000 Kommunen in Deutschland ist dies eine sehr niedrige Quote. Nach Angaben der Regierung sollen aufgrund des Gesetzes weitere 1.000 Brunnen hinzukommen. Der Umstand, dass eben bei weitem nicht alle Kommunen durch das Gesetz betroffen sind, liegt an einem Passus, der die Errichtung von Trinkwasserbrunnen nur vorsieht, wenn "dies technisch durchführbar und unter Berücksichtigung des Bedarfs und der örtlichen Gegebenheiten, wie Klima und Geografie, verhältnismäßig ist".
Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) begründete die Gesetzesvorlage ausdrücklich mit dem Verweis auf die trockenen und heißen Sommer der vergangenen Jahre: "Andauernde Hitzewellen sind kein seltenes Ereignis mehr in Deutschland. In Zukunft werden Extremwetterereignisse wie Hitzewellen und Trockenperioden häufiger und intensiver sein." Deshalb müsse der Zugang zu Trinkwasser für alle Menschen "so einfach wie möglich sein".
Eine Frage des Überlebens
Der Zugang zu Trinkwasser gehört auch außerhalb von Dürreperioden neben der Versorgung mit Lebensmitteln und Energie sowie der medizinischen Versorgung und dem Verkehrssektor zur sogenannten "Kritischen Infrastruktur". Besser gesagt, ist der Zugang zu trinkbarer Flüssigkeit für den Menschen, dessen Körper selbst zu 60 Prozent aus Wasser besteht, die kritischste Infrastruktur überhaupt. Während ein durchschnittlicher Erwachsener je nach körperlicher Verfassung auch drei Wochen ohne Nahrung auskommen kann, droht ihm bereits nach drei bis vier Tagen ohne Wasser der Tod. Schon nach 24 Stunden ohne Flüssigkeitszufuhr zeigt der Körper erste Anzeichen einer Dehydrierung. Rund zwei Liter Flüssigkeit pro Tag verliert ein Mensch durch Schwitzen, Urinieren und Atmung, die kompensiert werden müssen. Diesen Wert legt auch das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) für jeden Haushalt als empfohlenen Notvorrat für zehn Tage zu Grunde. Doch welcher vierköpfige Haushalt bunkert wirklich 80 Liter Trinkwasser?
Die Versorgung der Bevölkerung mit ausreichend Trinkwasser ist durchaus anfällig. Unzählige Szenerien können diese gefährden. Etwa durch einen großflächigen Stromausfall, Verunreinigungen des Leitungsnetzes, einen Terroranschlag oder Naturkatastrophen. So war die Versorgung mit Trinkwasser auch während der Flutkatastrophe Mitte Juli 2021 in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz zeitweise in einigen Kommunen stark beeinträchtigt. Die Sturzfluten zerstörten Pumpanlagen und Rohrleitungen. Nicht nur Wohnhäuser, auch große Einrichtungen wie das Krankenhaus Maria Hilf in Bad Neuenahr wurden im Zuge des Starkregens von der Trinkwasserversorgung abgeschnitten.
Aufforderung, sparsam mit dem Trinkwasser umzugehen
So verschickte der Kreis Ahrweiler in den frühen Morgenstunden des 15. Juli über die Katwarn-App erstmal eine Warnung für Bad Bodendorf wegen einer "massiven Einschränkungen in der Trinkwasserversorgung" und fordert die Bevölkerung auf, "mit dem Trinkwasser äußerst sparsam umzugehen".
Für solche Notlagen unterhält das Technische Hilfswerk in seinen acht Landesverbänden jeweils eine Fachgruppe Trinkwasseraufbereitung. Ausgerüstet sind diese Fachgruppen unter anderem mit mobilen Wasseraufbereitungsanlagen. Bis zu 15.000 Liter verunreinigten Wassers können mit ihnen pro Stunde so aufbereitet werden, dass es den Anforderungen der Trinkwasserverordnung entspricht. Während der Flutkatastrophe an der Ahr gewann das THW mit seinen vier in den Orten Hönningen, Schuld und Bad-Neuenahr aufgebauten mobilen Trinkwasseraufbereitungsanlagen mehr als fünf Millionen Liter Trinkwasser.
Die Versorgung der Bevölkerung mit Trinkwasser in großen Notlagen wurde erstmals 1965 angesichts der Bedrohungslage des Kalten Krieges im Wassersicherstellungsgesetz geregelt. Ursprünglich ausdrücklich für den Verteidigungsfall gedacht, kann das Gesetz heute aber auch bei Naturkatastrophen und anderen Szenarien angewendet werden. Es regelt nicht nur die Versorgung mit Trinkwasser, sondern auch mit Betriebswasser für überlebenswichtige Betriebe und Nutztiere sowie die Bereitstellung von Löschwasser.
Notbrunnen in ländlichen Gebieten der Ausnahmefall
Kern der Notversorgung bilden bundesweit etwa 5.200 Trinkwassernotbrunnen und -quellen sowie 130 Verbundleitungen, die mehrere Wasserversorgungsunternehmen verbinden. Bei den Trinkwassernotbrunnen handelt es sich um leitungsnetzunabhängige Anlagen, die sich in der Regel unmittelbar in Wohngebieten von Großstädten und Ballungsräumen befinden.
Bei einem großflächigen Ausfall der Wasserversorgung sieht das Konzept des BBK eine Versorgung der Bevölkerung mit 15 Litern pro Kopf und Tag für Trinken, Kochen und Hygiene in "Ersatz- und Not(trink)wasserqualität" für mindestens 30 Tage vor. Zum Vergleich: Aktuell liegt der tägliche durchschnittliche Wasserverbrauchs eines Bundesbürgers bei 127 Litern. Für eine Desinfektion des sogenannten Notwassers, für das niedrigere Qualitätsstandards als bei normalem Trinkwasser festgelegt werden können, sind nach Angaben des BBK etwa 450 Millionen Chlortabletten dezentral eingelagert. Das BBK rechnet damit, dass mit den Notbrunnen und Verbundleitungen eine Versorgung von nur etwa 30 Prozent der Gesamtbevölkerung zu realisieren ist. Während in Großstädten und Ballungszentren durchaus eine Notversorgung zu 100 Prozent machbar ist, wurden Notbrunnen in ländlichen Gebieten nur in Ausnahmefällen angelegt.
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Eine auffällige hohe Dichte an Straßenbrunnen und Notbrunnen verzeichnet die deutsche Hauptstadt. Nach Angaben des Senats existieren in Berlin 2.079 sogenannte Straßen- und Notbrunnen. Viele dieser Brunnen wurden bereits um 1900 errichtet. Allerdings ist rund ein Drittel von ihnen nicht funktionstüchtig. In einer Antwort auf eine Anfrage des Abgeordneten Benedikt Lux (Grüne) im Abgeordnetenhaus antwortete der Senat Ende Januar: "Der vorhandene Bestand wird als nicht ausreichend bewertet. Bereits das vorliegende Konzept zur Trinkwassernotversorgung von 2009 weist einen Fehlbestand von circa 1.000 Brunnen aus."