Editorial : Der Wert der Freiheit
Nach zwölf Jahren NS-Diktatur wussten die Väter und Mütter des Grundgesetzes um den Wert der Freiheit. Sie wirkt heute alltäglich, ist aber nicht selbstverständlich.
Reste der DDR-Diktatur: Die Freiheit, die heute so alltäglich daherkommt, war lange nicht selbstverständlich.
Die "freiheitlichste Verfassung, die Deutschland je hatte", nannte der frühere Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) einmal das Grundgesetz, zu dessen Erarbeitung vor bald 75 Jahren der Parlamentarische Rat am 1. September 1948 zusammengekommen war. Seine Mitglieder hätten Lammerts Würdigung wohl gerne vernommen, wussten sie nach zwölf Jahren nationalsozialistischer Diktatur doch nur zu gut um den Wert der Freiheit; viele von ihnen hatten Unterdrückung und Verfolgung am eigenen Leib erfahren. Und das Scheitern der Weimarer Republik erlebt, deren Verfassung von 1919 das Attribut "freiheitlich" nicht minder verdiente als die - nie in Kraft getretene - von 1849, die in der Frankfurter Paulskirche vom ersten frei gewählten gesamtdeutschen Parlament verkündet worden war.
Die Eltern des Grundgesetzes wussten auch um den Preis, den das Eintreten für Freiheit erfordern kann, und der schon Mitglieder der Nationalversammlung von 1848/49 das Leben gekostet hatte: Robert Blum etwa, nach dem Wiener Oktoberaufstand am 9. November 1848 standrechtlich erschossen, oder Wilhelm Adolph von Trützschler, im August 1849 wegen Hochverrats hingerichtet.
Welch' Glück es ist, in Freiheit zu leben
Dabei muss sich der Blick gar nicht unbedingt auf Freiheitstraditionen deutscher Geschichte richten in einer Zeit, in der wie so oft an vielen Ecken der Erde ein hoher Preis gezahlt wird im Kampf gegen Unfreiheit und Unterdrückung - von Frauen im Iran beispielsweise, die ihre Kopftücher verbrennen und dafür harte Strafen riskieren, oder vom belarussischen Menschenrechtsaktivisten und Friedensnobelpreisträger Ales Bjaljazki, der jüngst zu zehn Jahren Haft verurteilt wurde.
Die Aufzählung ließe sich beliebig verlängern, jedes Beispiel hat seinen eigenen Schrecken. Es mag uns ohnmächtig erscheinen lassen oder aufrütteln, wenn wir im warmen Wohnzimmersessel Notiz nehmen von solchen Freiheitskämpfern, ihrem Mut, ihrer Beharrlichkeit. Ihr Schicksal führt Tag für Tag vor Augen, welches Glück es ist, ohne staatliche Repressionen in Freiheit zu leben. Was uns seit fast 75 Jahren so alltäglich daherkommt, war früher hierzulande so wenig selbstverständlich wie heute noch in vielen Regionen der Welt. Das Grundgesetz verdient es, sich dieses Glück zumindest hin und wieder bewusst zu machen.