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Gemeinsames Europäisches Asylsystem : EU-Kompromiss bleibt umstritten

Die Verständigung im Rat der EU-Innenminister auf neue Regeln für das Asylsystem ist im Bundestag heftig umstritten. Der Union gehen die Vorschläge nicht weit genug.

19.06.2023
True 2024-05-03T12:17:07.7200Z
4 Min

Eine Woche nach dem Kompromiss der EU-Innenminister auf einen Reformvorschlag für das Gemeinsame Europäische Asylsystem ist es im Bundestag zu einer heftigen Kontroverse über die angestrebte Neuregelung gekommen. Während die CDU/CSU dabei den im EU-Innenrat getroffenen Beschluss am vergangenen Donnerstag als unzureichenden Schritt in die richtige Richtung bewertete, äußerten AfD und Die Linke mit gegensätzlicher Argumentation scharfe Kritik an der Entscheidung des Rats. Vertreter der SPD- und der FDP-Fraktion verteidigten dagegen den Beschluss, während Grünen-Abgeordnete massive Vorbehalte und Bedenken gegenüber der Einigung formulierten.

Filiz Polat (Grüne) empfahl in der Debatte dem Europäischen Parlament und dem Rat, "diesem Beschluss so nicht zuzustimmen". Die Einigung laufe auf eine "Verstetigung von Leid und Chaos" hinaus, beklagte sie. Auch gebe es keinen verbindlichen Verteilmechanismus, während die Durchsetzung der Rechte von Geflüchteten massiv erschwert werde. Polats Fraktionskollege Julian Pahlke sagte, er teile die Unzufriedenheit mit dem Reformvorschlag. Einigkeit bestehe darüber, dass es eine Reform brauche, aber der jetzt im Rat beschlossene Kompromiss werde "in der Summe wohl keine Verbesserung bringen". Weil er "im Kern keines der Probleme löst", hätte er sich eine andere Entscheidung gewünscht.

Andrea Lindholz (CSU) konstatierte, aus deutscher Sicht könne man mit dem Ratsbeschluss "nicht ganz zufrieden sein". Es sei zwar ein "guter Schritt", dass man sich auf ein verpflichtendes Grenzverfahren an der EU-Außengrenze geeinigt habe. Die dafür vereinbarten 30.000 Plätze dürften aber zu wenig sein. Auch sei völlig unklar, ob die Grenzverfahren tatsächlich so kommen. So habe Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) bereits angekündigt, dass man bei den weiteren Verhandlungen die Beschlüsse "noch aufweichen" wolle. Falsch sei auch die Darstellung, dass es einen verpflichtenden Solidaritätsmechanismus bei der Aufnahme von Flüchtlingen gebe: "Am Ende werden es wieder einige wenige Staaten sein, die überhaupt Asylbewerber aufnehmen werden", fügte Lindholz hinzu.

SPD: Familien mit Kindern sollen vom Grenzverfahren ausgeschlossen werden

Gülistan Yüksel (SPD) begrüßte dagegen, dass es einen "dauerhaften und verbindlichen Solidaritätsmechanismus" geben solle, über den mindestens 30.000 Flüchtlinge pro Jahr aus den Außengrenzstaaten verteilt werden sollten. Länder müssten Geflüchtete aufnehmen oder sich "durch finanzielle Beiträge solidarisch zeigen". Flüchtlinge würden so gleichmäßiger und fairer innerhalb der EU verteilt. Auch habe Deutschland erreicht, dass unbegleitete Minderjährige direkt in die EU einreisen könnten. In den anstehenden "Trilog"-Verhandlungen zwischen Europäischem Parlament, Rat und Kommission über die Reform werde Deutschland darauf dringen, dass auch Familien mit Kindern von den Grenzverfahren ausgeschlossen werden.

Gottfried Curio (AfD) bewertete den Innenminister-Beschluss als "riesige Alibi-Veranstaltung". Bei Flüchtlingen aus Herkunftsländern wie Syrien und Afghanistan, von denen mehr als 20 Prozent anerkannt werden, solle sich nichts ändern. Auch sei klar, dass am Ende das meiste an Deutschland "hängen" bleibe, wenn sich etliche Länder von der Aufnahme "freikaufen". Auch sei bei den geplanten Abweisungen die Rücknahme unklar. "So lange hierzulande nicht der Wille zu effektiver Rückweisung und Abschiebung besteht, ist das alles reine Makulatur", kritisierte Curio.

Linke spricht von einem "Frontalangriff auf die Rechte Schutzsuchender"

Janine Wissler (Linke) nannte den Ratsbeschluss demgegenüber einen "Frontalangriff auf die Rechte Schutzsuchender" und ein "Anschlag auf die Menschenrechte". Damit hätten die EU-Innenminister die "faktische Abschaffung des Grundrechts auf Asyl beschlossen". Künftig sollten Geflüchtete an den EU-Außengrenzen in Haft und unter haftähnlichen Bedingungen interniert werden. Für sehr viele Menschen werde es keine Asylverfahren mehr geben, "sondern nur noch geprüft werden, ob sie in einen vermeintlich sicheren Drittstaat abgeschoben werden können". Daher sei es falsch zu sagen, dass etwa syrische Flüchtlinge nicht betroffen seien.

Stephan Thomae (FDP) entgegnete, das Asylrecht bleibe weiterhin erhalten. Es sei eine gute Nachricht, dass jetzt nach jahrelangem Stillstand bei der EU-Asylreform eine erste Blockade gelöst worden sei. Momentan würden im EU-Asylsystem Regeln nicht befolgt. An den EU-Grenzen werde aktuell europäisches Recht ständig verletzt, und im Schengen-Raum halte sich auch niemand an die geltenden Regeln. Daher würden Regeln benötigt, die wieder alle akzeptieren, und dazu sei jetzt trotz höchst unterschiedlicher Interessen in der EU ein erster Schritt gemacht. Dabei werde "manchem viel zugemutet", doch wäre ein Scheitern der Reform "noch schlimmer für Europa" und "verheerend für Schengen".

Anträge überwiesen und abgelehnt

Einen CDU/CSU-Antrag zu der Reform überwies der Bundestag zur weiteren Beratung an die Ausschüsse. Darin bewertet die Fraktion den Beschluss des EU-Innenrats als unzureichend und fordert die Bundesregierung auf, in der Trilog-Verhandlung dafür zu sorgen, "dass die irreguläre Migration spürbar reduziert wird und die Lasten in Europa besser verteilt werden". Ein Linken-Antrag, die Bundesregierung aufzufordern, auf EU-Ebene "verpflichtenden Grenzverfahren und der Ausweitung sicherer Dritt- und Herkunftsstaaten-Regelungen" zu widersprechen, wurde mit 632 von 665 abgegebenen Stimmen abgelehnt. Keine Mehrheit fanden auch Linken-Anträge zur Verhinderung illegaler Pushbacks und Verteidigung der Flüchtlingsrechte in der EU.