Bundeswehr : Feuerwehr in oliv
Die Streitkräfte sind längst ein unverzichtbarer Bestandteil der Katastrophenhilfe. Dies haben sie immer wieder bewiesen.
Die Zahlen klingen durchaus beeindruckend. In ihrem insgesamt 48 Tage andauernden Einsatz in den Hochwassergebieten im rheinland-pfälzischen Ahrtal setzte die Bundeswehr von Mitte Juli bis Ende August 2021 zeitgleich bis zu 2.330 Soldaten und deutlich mehr als 300 Fahrzeuge - von Lastkraftwagen über Krankenwagen und Löschfahrzeugen bis zu Bergepanzern -, zwölf Boote und zehn Hubschrauber, sieben Satellitenkommunikationsanlagen und drei Trinkwasseraufbereitungsanlagen ein. Auf dem Landweg transportierte die Truppe insgesamt rund 3.060 Tonnen und über die Luft rund 100 Tonnen an Material in die Katastrophengebiete - darunter 331.500 Flaschen Wasser und 58.000 Ein-Mann-Verpflegungsrationen der Bundeswehr.
Pioniere der Bundeswehr errichten im Juli 2021 in Insul im Ahrtal eine behelfsmäßige Brücke.
Doch diese Zahlen geben nicht annähernd wieder, welches Bild der Zerstörung sich den Soldaten ebenso wie den tausenden Einsatzkräften der Rettungs- und Katastrophenschutzkräfte in den Hochwassergebieten bot. "Es war schlimmer als Krieg", gab Dennis Ritter, leitender Oberarzt im Bundeswehrzentralkrankenhaus in Koblenz, später gegenüber der "Rhein-Zeitung" zu Protokoll. Der 47-Jährige war einer der ersten Soldaten der Bundeswehr, die in der Nacht des 14. Juli 2021 ins Katastrophengebiet im Ahrtal fuhren und etwa 150 Menschen in Ahrweiler und Dernau das Leben retteten. Ritter weiß, wovon er spricht, blickt er doch auf Erfahrungen aus acht Auslandseinsätzen im Kosovo, in Afghanistan und Mali zurück. "Das ist nicht mit dem vergleichbar, was ich im Ahrtal gesehen habe", so Ritter.
Einsatz bei Naturkatastrophen und anderen Notlagen
Die Geschichte der Bundeswehr ist eng mit Einsätzen in Katastrophengebieten verbunden - im In- und im Ausland. Bereits sieben Jahre nach ihrer Gründung besteht sie bei der Hamburger Sturmflut vom 17. Februar 1962 ihre erste aufsehenerregende Feuertaufe. Hamburgs damaliger Polizeisenator Helmut Schmidt (SPD) setzt sich über alle rechtlichen Bedenken hinweg und fordert bei der Bundeswehr, aber auch den Nato-Verbündeten in Deutschland Hilfe an. "Ich habe die alle einfach selbst angerufen oder mit Funksprüchen oder Fernschreiben in Bewegung gesetzt", erinnert sich Schmidt 1982 in einem Interview mit dem NDR. "Ich habe gesagt: 'Sie müssen Hubschrauber schicken, Sie müssen Pioniere schicken, die mit Sturmbooten die Menschen von den Dächern runterholen'." Rund 400 Menschen retten die Hubschrauberpiloten der Bundeswehr unter teilweise waghalsigen Flugmanövern von den Dächern ihrer Wohnhäuser, auf denen sie vor den Fluten Schutz gesucht haben. Erst mit den Notstandgesetzen von 1968 wird der Einsatz der Bundeswehr im Inland im Fall von Naturkatastrophen und anderen Notlagen eindeutig geändert.
Größter Katastropheneinsatz beim Oderhochwasser 1997
Der größte Katastropheneinsatz in der Geschichte der Bundeswehr steht der Truppe jedoch beim Oderhochwasser von 1997 bevor. Unter dem Kommando von General Hans-Peter von Kirchbach kommen zwischen dem 18. Juli und dem 10. Oktober über 30.000 Soldaten, 3.000 Fahrzeuge und 50 Hubschrauber zum Einsatz. Sieben Jahre nach der Wiedervereinigung wird der Kampf der Soldaten aus Ost und West auf den bedrohten Deichen entlang der Oder zur ersten großen Bewährungsprobe für die "Armee der Einheit".
In Erinnerung an das Oderhochwasser 1997 wurde in Neuranft, Brandenburg, ein Gedenkstein platziert, der der Bundeswehr und all den Helfern dankt.
Auch wenn die Landes- und Bündnisverteidigung der eigentliche Kernauftrag der Bundeswehr bleibt, so ist ihr Einsatz in einem Katastrophenfall längst unverzichtbar. Mit einer aktuelle Stärke von rund 183.000 aktiven Soldaten und Soldatinnen und rund 949.000 dienstleistungspflichtigen Reservisten kann keine andere Organisation in der Bundesrepublik eine so große Manpower in die Waagschale werfen. Wie wichtig gerade der Einsatz von Reservisten in Notlagen ist, zeigte die Corona-Pandemie. So wurden allein 2021 mehr als 18.000 Reservisten für die Bekämpfung der Pandemie zum Dienst herangezogen, tausende von ihnen folgten jedoch ganz freiwillig dem Aufruf der damaligen Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU).
Wehrdienst im Heimatschutz
Um die Reserve der Bundeswehr zu stärken, startete Kramp-Karrenbauer im April 2021 zunächst als Pilotprojekt einen neuen "Freiwilligen Wehrdienst im Heimatschutz." Dieser Dienst sieht eine dreimonatige militärische Grund- und eine sich anschließende viermonatige Spezialausbildung in der Truppe vor. Im Rahmen der "Spezialausbildung Heimatschutz" stehen neben dem Objektschutz und dem Gefechtsdienst unter anderem eine Pionier-, Sanitätausbildung, Fernmeldeausbildung sowie der Brandschutz im Fokus.
An diese insgesamt militärische Ausbildung schließt sich eine sechsjährige Grundbeorderung als Reservist an, innerhalb derer die Heimatschützer mindestens fünf Monate einen heimatnahen Reservedienst zum Beispiel bei Katastrophen- und Hilfseinsätzen leisten müssen. "Wir stellen fest, dass wir in Deutschland gerade in der jüngeren Generation durchaus das Bedürfnis haben, dem Land und den Menschen in diesem Land etwas zurückzugeben und sich zu beteiligen", verkündete die Ministerin bei der Vorstellung des neuen Dienstes in Berlin.
Bis 2025 will die Bundeswehr fünf aus Reservisten bestehenden Heimatschutzregimenter aufstellen, in denen die bereits aufgestellten sogenannten Regionalen Sicherungs- und Unterstützungskompanien zusammengeführt werden und die den Kern der Territorialen Reserve bilden sollen. Der Aufbau des ersten Landeskommandos in Bayern ist inzwischen abgeschlossen.
Hohe Abbruchquote bei Heimatschützern
Lobende Worte für den neuen Freiwilligen Wehrdienst Heimatschutz fand die Wehrbeauftragte des Bundestages, Eva Högl, in ihrem im März dieses Jahres vorgelegten Jahresbericht 2021 (20/900). Mit insgesamt 899 geworbenen Freiwilligen habe die Bundeswehr im vergangenen Jahr ihre Zielmarke von 840 eingeplanten Stellen übertroffen. "Die Zahlen bestätigen das hohe Interesse, sich dieser Aufgabe für das Gemeinwohl zu stellen", schrieb sie in ihrem Bericht. "Sehr erfreulich" sei, dass sich insgesamt 302 Heimatschützer weiterverpflichtet hätten. 298 seien in regulären Freiwilligen Wehrdienst mit einer Dienstzeit zwischen 13 und 23 Monaten gewechselt und vier hätten sich als Zeitsoldaten verpflichtet.
Gleichwohl brachen nach Angaben der Wehrbeauftragten 201 Heimatschützer ihren Dienst aus privaten Gründen vorzeitig wieder ab, 15 seien von der Bundeswehr entlassen worden. "Auch andere Vorstellungen darüber, was Heimatschutz in der Bundeswehr bedeutet - eben nicht nur Fluthilfe und Unterstützung bei Pandemien - veranlassten junge Frauen und Männer dazu, die Bundeswehr wieder zu verlassen", schrieb Högl. Es sei gut, dass "viele junge Menschen den neuen Dienst mit Freude und viel Tatendrang antreten". Allerdings müsse die Bundeswehr die Gründe für die Abbruchquote von 25,6 Prozent ernst nehmen.
Bei einem Truppenbesuch sei ihr zudem von Soldaten berichtet worden, dass viele Interessenten in den Karrierecentern der Bundeswehr zu einem Dienst im Heimatschutz "gedrängt" worden seien, obwohl eigentlich andere Wünsche vorgelegen hätten. "Soldatinnen und Soldaten äußerten den Verdacht, dass die Karrierecenter Quoten erfüllen müssten."
Streitkräftebasis verantwortet Einsätze
Verantwortlich für die Katastrophenschutzeinsätze der Bundeswehr ist die Streitkräftebasis. Sie verfügt bundesweit über ein Netzwerk von Verbindungskommandos in allen Bezirken und Landkreisen beziehungsweise kreisfreien Städten, die den zivilen Behörden als erste Ansprechpartner dienen. Kommt es zum Katastrophenfall, sitzen sie als Berater meist als erste mit in den jeweiligen Krisenstäben. Übergeordnet sind 16 Landeskommandos in den Bundesländern. Diese übernehmen bei kleineren, auf einen begrenzten Raum beschränkten Einsätzen die Koordination.
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Im Fall eines größeren Katastrophenfalles, der einen bundeslandübergreifenden Einsatz der Bundeswehr erfordert, wird dieser durch das Kommando Territoriale Aufgaben in Berlin oder die Führung des Kommando Streitkräftebasis in Bonn koordiniert.
Inspekteur mahnt "dringenden Handlungsbedarf" an
An der Spitze der Streitkräftebasis steht deren Inspekteur, Generalleutnant Martin Schelleis, der zugleich als Nationaler Territorialer Befehlshaber fungiert. Schelleis kommandierte im vergangenen Jahr auch den Einsatz der Bundeswehr in den Hochwassergebieten in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen. Noch während des Einsatzes mahnte er "dringenden Handlungsbedarf" beim Katastrophenschutz in Deutschland an. Dies habe nicht erst die Hochwasserkatastrophe, sondern auch die Corona-Pandemie gezeigt. Das nationale Führungssystem müsse "auf allen Ebenen" verbessert werden. "Sobald eine Katastrophe überörtlich ausgreift, zeigen sich Defizite etwa bei der Herstellung und dann auch Aufrechterhaltung eines aktuellen Lagebildes", sagte der General. "Daraus folgt, dass die Prioritäten vielleicht nicht immer richtig gesetzt werden können und die entsprechende Koordination der Einsatzkräfte auch nicht optimal läuft." Die Bundeswehr und alle anderen wichtigen Akteure müssten sich "kritisch prüfen, was wir jetzt für Erkenntnisse haben und was wir aus dieser erneuten Katastrophe lernen".