Debatte über Migrationspolitik : Kritik an "Politik der offenen Türen"
Die Reaktion der Regierungskoalition auf den Flüchtlingszustrom bleibt unter den Fraktionen im Bundestag heftig umstritten.
Blick in eine Notunterkunft für 700 Menschen im thüringischen Hermsdorf im Januar 2023 vor der Aufnahme ukrainischer Kriegsflüchtlinge
Die Dimension der Lage machte Thorsten Frei (CDU) schon am Anfang der Aussprache deutlich: Im vergangenen Jahr seien 1,1 Millionen Ukrainerinnen und Ukrainer nach Deutschland gekommen, zusätzlich habe es etwa 250.000 Asylanträge gegeben, rechnete er vergangene Woche in der Bundestagsdebatte über die Migrationspolitik der Bundesregierung vor. Damit seien 2022 mehr Menschen schutzsuchend nach Deutschland gekommen als in den Jahren 2015 und 2016 zusammen, konstatierte er und wertete es als "gigantische Leistung", dass die Kommunen diese Situation bislang "so hervorragend" bewältigt hätten.
Die Hauptursachen für diese Situation benannte Helge Lindh (SPD), nämlich Russlands "Putin-Regime" mit seinem Angriffskrieg gegen die Ukraine, die Taliban-Herrschaft in Afghanistan und das "Assad-Regime" in Syrien. Zugleich warnte er davor, den Eindruck zu erwecken, als ließe sich die Lage der Kommunen substanziell verbessern, wenn weniger Menschen ein Bleiberecht gegeben oder massiv abgeschoben würde. Für die aktuelle Lage hätten nicht unzureichende Abschiebungen oder Grenzkontrollen gesorgt: "Entscheidend ist die Kriegssituation und auch entscheidend ist, dass wir Regime haben wie in Syrien und in Afghanistan".
Union kritisiert Sonderweg Deutschlands
Am Ende lehnte der Bundestag einen CDU/CSU-Antrag zur Verminderung illegaler Migration und zur verstärkten Rückführung ausreisepflichtiger Ausländer mit den Stimmen der Koalition sowie der Linksfraktion ab. In der Vorlage hatte die Union der Bundesregierung zudem "einen migrationspolitischen Sonderweg in Europa" vorgeworfen. Mit mehreren Migrationspaketen wolle die Koalition insbesondere Ausreisepflichtigen den Verbleib in Deutschland erleichtern und verstärke dadurch bestehende Anreize.
Frei sagte, man wolle solidarisch sein mit Menschen, die vor Krieg, Tod und Vertreibung fliehen, doch setze dies voraus, zwischen illegaler und legaler Migration zu unterscheiden und Personen ohne Bleiberecht in Deutschland wieder zurückzuführen. Notwendig sei, sich auf die wirklich Bedürftigen zu konzentrieren, doch verfolge die Koalition eine "Politik der offenen Türen". Dies werde zu einem wachsenden Migrationsdruck führen.
Schahina Gambir (Grüne) betonte dagegen, die "vage Theorie, dass Anreize - sogenannte Pull-Faktoren - Menschen zur Flucht verleiten", gelte in der Migrationsforschung als längst überholt. Wenn man dafür Sorge trage, dass Flüchtlinge in der Bundesrepublik angemessen untergebracht und versorgt werden, sei dies kein Anreiz für Menschen in der Ukraine, in Syrien oder in Afghanistan, nach Deutschland zu fliehen, sondern heiße das nichts anderes, als dass die Würde der Menschen respektiert werde.
AfD kritisiert Werben um Fachkräfte
Bernd Baumann (AfD) beklagte demgegenüber eine "ungebremste Masseneinwanderung". Seit 2015 habe die Bevölkerung in Deutschland insgesamt um fast vier Millionen Menschen zugenommen. Dabei stammten die allermeisten Migranten aus dem Orient und Afrika, und auch jetzt kämen von dort jeden Monat 30.000 "völlig unkontrolliert" in die Bundesrepublik. Statt den Migrationsdruck einzudämmen, werbe die Bundesregierung für Einwanderung aus Afrika, um den Fachkräftemangel zu beheben.
Stephan Thomae (FDP) entgegnete, die Koalition wolle mehr reguläre Migration in den Arbeitsmarkt und "weniger irreguläre Migration durch die Wüste und über das Meer". Er verwies zudem darauf, dass seit Anfang Februar der neue Sonderbevollmächtigte der Bundesregierung für Migrationsabkommen im Amt sei, dessen Aufgabe es sei, Migrationsabkommen auszuhandeln, die auch Rücknahmeverpflichtungen enthalten. Thomae wandte sich zugleich gegen Kritik, der Bund lasse die Kommunen bei der Unterbringung der Flüchtlinge im Stich. Tatsächlich habe der Bund dafür 2022 und 2023 insgesamt 6,25 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt.
Linke fordert bessere Seenotrettung
Clara Bünger (Linke) mahnte, ukrainische Schutzsuchende nicht gegen andere Flüchtlinge auszuspielen, "als ob es im Krieg einen Unterschied machen würde, welchen Pass man besitzt". Zugleich betonte sie mit Blick auf die zuletzt vor der italienischen Küste ertrunkenen Flüchtlinge, dass dringend sichere Fluchtwege gebraucht würden. Auch seien Aufnahmeprogramme erforderlich, "damit Menschen gar nicht erst in Boote steigen müssen", fügte Bünger hinzu. Statt die "Festung Europa" weiter auszubauen, werde ein funktionierendes Seenotrettungsprogramm benötigt, damit niemand auf der Flucht sterben müsse.
Lindh wies den Vorwurf eines "Sonderweges" als "unwahr und unsinnig" zurück. Bei der Zahl der Asylanträge gehe Deutschland keinen Sonderweg, sagte der SPD-Abgeordnete mit Verweis auf die Situation in Österreich. Bei den Abschiebungen wiesen Frankreich, Italien und Spanien niedrigere Quoten auf. Auch seien die von der CSU/CSU in den vergangenen Jahrzehnten gestellten Bundesinnenminister bei Abschiebungen nicht "erfolgreicher" im Sinne der Union gewesen, weil viele Länder Geflüchtete nicht zurücknähmen und es "schlicht nicht machbar ist", 300.000 oder 400.000 Menschen abzuschieben. Dies wäre auch nicht sinnvoll bei Menschen, die seit vielen Jahren in der Bundesrepublik leben, fügte Lindh hinzu.