Nach den Landtagswahlen : Neue Dynamik in der Asylpolitik
Nach dem schlechten Abschneiden der Ampel-Parteien in Hessen und Bayern beschließen die Spitzen der Parteien neue Maßnahmen gegen illegale Migration.
Falls die FDP so etwas wie eine Schuldenbremse für ihre eigene Parteikasse hat: Die Entscheidung, in ihrer Bundeszentrale keine Wahlparty nach den Landtagswahlen in Bayern und Hessen anzusetzen, war wohl aus ihrer Sicht besser: wegen der dadurch nicht entstandenen Bilder von enttäuschten Gesichtern, die noch dazu viel Geld gekostet hätten. Krachen lassen konnte es dagegen die AfD, die seitdem von Regierungsbeteiligungen träumt, ob auf Landes- oder Bundesebene. Dass die eigentliche Wahlsiegerin die Union gewesen ist, geriet wegen der Höhenflüge oder Abstürze von anderen Parteien fast aus dem Blick. Und damit sind nicht die mauen Werte der Sozialdemokraten in Bayern gemeint, denn Bayern wählt schon immer konservativ.
AfD-Bundessprecherin Alice Weidel und der Co-Landesvorsitzende der AfD Hessen, Robert Lambrou, beim Feiern. Die Prognosen zeichnen die AfD als zweit- bzw. drittstärkste Kraft in Hessen und Bayern.
Die Farbenlehre der künftigen Landesregierungen in Bayern und Hessen dürfte sich nach diesem 8. Oktober vermutlich gar nicht ändern. Die alten werden auch die neuen Ministerpräsidenten sein: Markus Söder (CSU) und Boris Rhein (CDU). Und während in Bayern alles auf eine Fortsetzung der Zweier-Koalition mit den Freien Wählern hinausläuft, traf sich in Hessen die CDU zuerst mit ihrem seit zehn Jahren gut vertrauten Koalitionspartner, den Grünen, offenbar zu guten Gesprächen, hält sich aber andere Optionen noch offen.
Die AfD erstmals in einem westdeutschen Bundesland zweitstärkste Kraft
Bleibt also alles beim Alten? Mitnichten. Denn auf den Rängen hinter der Union wurde die Farbenlehre der Balkendiagramme mit den Ergebnissen der Parteien ordentlich geschüttelt, allein dadurch, dass die AfD erstmals in einem westdeutschen Bundesland zweitstärkste (Hessen) beziehungsweise drittstärkste Kraft (Bayern) wurde. Die FDP setzte die Reihe ihrer Niederlagen bei Landtagswahlen fort, flog aus dem Landtag in München raus und schaffte es in Wiesbaden nur ganz knapp ins Parlament (Zahlen siehe Grafiken). Die SPD hatte sich in Bayern besseres erhofft, musste aber in Hessen, einem einstigen Stammland der Partei, eine viel dickere Kröte schlucken. Beide Ergebnisse sind für die Kanzlerpartei historisch schlecht.
Die Linke darf sich fürs erste von dem Gedanken verabschieden, gesamtdeutsch zu punkten - ein Gedanke, an den sich die AfD gerade erst gewöhnt. Man sei keine ostdeutsche Regionalpartei für Frustwähler mehr, stellte deshalb Parteichefin Alice Weidel nach der Wahl fest. Das wird so nach und nach auch der Konkurrenz klar - mit entsprechenden Reaktionen und Folgen für die Bundesebene. Auch die Grünen wurden abgestraft. Wenn man aber bedenkt, wie sehr der unselige "Heizungsstreit" und andere Streitereien mit der FDP ihre Umfragewerte und die ihres Aushängeschildes, Wirtschaftsminister Robert Habeck, nach unten drückten, sind sie noch mit einem blauen Auge davon gekommen.
Katerstimmung bei den drei Ampel-Parteien
Statt Feierstimmung war zum Wochenbeginn also eher Katerstimmung bei den drei Ampel-Parteien angesagt. "Wir haben eine Verunsicherung in der Gesellschaft", stellte der Grünen-Vorsitzende Omid Nouripour fest und appellierte an die Ampel, Vertrauen zurückzugewinnen. SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert erklärte: "Wir sollten die Signale alle miteinander in der Ampel-Koalition erkennen: In diesem Wahlergebnis liegt auch eine Botschaft für uns", sagte Kühnert. Man müsse erkennen, dass "die allgemeine Stimmungslage den Menschen aufs Gemüt drückt und dass mehr Orientierung erforderlich ist".
Die SPD stellte gleichzeitig klar, dass der Stuhl von Bundesinnenministerin Nancy Faeser, die als Spitzenkandidatin in Hessen angetreten war, keinesfalls wackelt. Bei der FDP wird sich zeigen, ob sie, wie nach den anderen Wahlniederlagen das Konzept, eine Art Opposition innerhalb der Regierung sein zu wollen, weiter verfolgt. Parteichef Christian Lindner kündigte auf jeden Fall an: "Wir müssen die Regierungsarbeit kritisch reflektieren."
Unzufriedenheit vieler Wähler mit dem Management der Migration
Wie sehr die Wahlen eine Zäsur bedeuteten, zeigte sich allein an der Dynamik, die in dieser Woche beim Thema Migration und Flüchtlinge entstand: Bereits Dienstagabend vereinbarten Bundeskanzler Olaf Scholz, Vizekanzler Habeck und Finanzminister Lindner in einem zunächst geheim gehaltenen Treffen im Kanzleramt, verschiedene Maßnahmen zur Begrenzung illegaler Migration schnell auf den Weg zu bringen. Unter anderem schnellere und leichtere Abschiebungen Ausreisepflichtiger hatte Ministerin Faeser zwar schon im Sommer vorgeschlagen, nach Kritik von den Grünen passierte dann aber erstmal nichts.
Auch die Kommunen schlagen schon seit einem Jahr Alarm, dass sie am Ende ihrer Aufnahmekapazitäten sind. Richtig voran kamen die unzähligen Verhandlungsrunden zwischen Bund und Ländern aber nicht. Bis zum 8. Oktober. Denn spätestens an diesem Tag bestätigten es noch einmal diverse Umfragen: Die Unzufriedenheit vieler Wähler (nicht nur jener der AfD) mit dem Management der steigenden Migration durch die Bundesregierung war wahlentscheidend. Wollen die Ampel-Parteien das Ruder für die nächste Bundestagswahl 2025 rumreißen, dann müssen sie auf diesem Feld anders agieren als bisher, auch wenn dies für nicht wenige in den Parteien einen Abschied von bisherigen Grundsätzen bedeutet.
Steht der Umstieg auf das Sachleistungsprinzip bevor?
Auf der Ministerpräsidentenkonferenz am Donnerstag und Freitag wurden die Forderungen von Ländern und Kommunen nach einer dauerhaften Finanzierung der Asylkosten durch den Bund noch einmal erneuert. Auch sieht es so aus, als stünde die Einführung einer Bezahlkarte und damit der Umstieg auf das Sachleistungsprinzip für Asylbewerber kurz bevor. Die Unionsfraktion fordert dies ebenfalls.
Für Freitagabend (nach Redaktionsschluss) hatte Scholz die Union und die Bundesländer zu einem Gespräch ins Kanzleramt gebeten. Zusammen mit Friedrich Merz sowie den Ministerpräsidenten-Vertreter Boris Rhein (CDU) und Stephan Weil (SPD) sollte es um das Ausloten gemeinsamer Handlungsoptionen in der Migrationspolitik gehen. Nach Ansicht vieler Beobachter handelt es sich wieder einmal um eine Woche der Zeitenwende.