Wahlrecht : Neuer Anlauf, alte Streitfragen
Die Zahl der Abgeordneten soll sinken. Der Weg dahin ist umstritten. Eine Reformkommission des Bundestages soll nun eine Lösung erarbeiten.
Als CDU/CSU und SPD im Oktober 2020 im Bundestag ihren damaligen Koalitionskompromiss für eine neuerliche Wahlrechts-Reform durchsetzten, sollte dies laut ihrem dazu verabschiedeten Gesetzentwurf der "Verminderung der Bundestagsvergrößerung" dienen. Zu diesem Zeitpunkt zählte das Parlament 709 Abgeordnete; das waren 96 mehr als in der vorherigen Legislaturperiode. Bei der Bundestagswahl im vergangenen Herbst stieg die Zahl der Parlamentarier nochmals um 27 auf nunmehr 736, womit sich konstatieren ließe, dass die Vergrößerung tatsächlich vermindert wurde. Von der ursprünglichen Sollstärke von 598 Abgeordneten freilich hat sich das Hohe Haus noch weiter entfernt, weshalb das Parlament vergangene Woche einen erneuten Anlauf zur Begrenzung der Mandatszahl startete: Gegen die Stimmen von CDU/CSU und AfD beschloss der Bundestag die Einsetzung einer "Kommission zur Reform des Wahlrechts und zur Modernisierung der Parlamentsarbeit" und folgte damit einem Antrag der Ampel-Koalition (20/1023).
Auftrag: Effektive Verkleinerung des Bundestages
Danach soll sich das Gremium "auf der Grundlage der Prinzipien der personalisierten Verhältniswahl mit Vorschlägen befassen, die eine effektive Verkleinerung des Bundestages in Richtung der gesetzlichen Regelgröße bewirken und nachhaltig das Anwachsen des Bundestages verhindern" soll. Empfehlungen dazu soll die Kommission bis Ende August in einem Zwischenbericht vorlegen.
Weiterer Auftrag: Wählen ab 16 und Geschlechterparität
Zudem soll sie bis Mitte nächsten Jahres "verfassungskonforme Vorschläge erarbeiten, wie eine gleichberechtigte Repräsentanz von Frauen und Männern" im Bundestag erreicht werden kann. Ferner umfasst ihr Auftrag dem Beschluss zufolge, sich mit einer Absenkung des aktiven Wahlalters auf 16 Jahre, einer etwaigen Verlängerung der Dauer der Legislaturperiode, der Begrenzung von Amts- und Mandatszeiten und der Bündelung von Wahlterminen in Bund und Ländern sowie der Erleichterung der Ausübung des Wahlrechts für im Ausland lebende Deutsche zu befassen.
Angehören sollen dem Gremium 13 Sachverständige und 13 Abgeordnete - vier von der SPD-Fraktion, drei von CDU/CSU, je zwei von Grünen und FDP sowie je ein Mitglied von AfD und Linken.
Union mahnt Konsens an
In der Debatte kritisierte Ansgar Heveling (CDU), dass die Kommission ihren Abschlussbericht nicht wie bei dem in der vergangenen Wahlperiode beschlossenen Vorläufergremium vorgesehen mit einer Zweidrittelmehrheit, sondern nur noch mit einfacher Mehrheit beschließen kann. Projekte wie eine Absenkung des Wahlalters auf 16 Jahre ließen sich aber nur mit einer Grundgesetzänderung realisieren, die eine Zweidrittelmehrheit erfordere, fügte Heveling hinzu und mahnte, bei der Reform einen Konsens mit der Union zu suchen.
Stephan Brandner (AfD) sagte, zur Begrenzung der Abgeordnetenzahl müsse man nur dem seit Jahren vorliegenden AfD-Vorschlag folgen und brauche dazu keine Kommission. Zugleich wandte er sich gegen Quotenregelungen zur Erhöhung des Frauenanteils im Parlament.
Sebastian Hartmann (SPD) erinnerte daran, dass der Reformbeschluss von 2020 vorgesehen hatte, die Zahl der Wahlkreise von 299 zum 1. Januar 2024 auf 280 zu reduzieren. Die Sozialdemokraten würden nun nicht "nonchalant auf 250 Wahlkreise gehen", wie dies Grüne, FDP und Linke in der vergangenen Wahlperiode vorgeschlagen hatten.
Till Steffen (Grüne) betonte demgegenüber, dass dieser Vorschlag weiter auf dem Tisch liege. Durch die Verringerung der Zahl der Wahlkreise auf 250 würden die sogenannten Überhangmandate, die zusammen mit den daraus resultierenden "Ausgleichsmandaten" das Überschreiten der Sollgröße des Bundestages bewirken, effektiv vermieden. Mit Blick auf den Frauenanteil sagte Steffen, seine Fraktion werde sich dafür einsetzen, "einen Weg aufzuzeigen, der zu Parität im Bundestag führt".
FDP gegen verpflichtende Paritätsregelung
Konstantin Kuhle (FDP) lehnte eine "verpflichtende Paritätsregelung" klar ab. Er forderte zugleich eine Wahlrechtsreform, "bei der man sich über mehrere Legislaturperioden darauf verlassen kann, dass der Bundestag nahe an der Regelgröße von 598 Abgeordneten ist". Auch müsse die Reform allen Seiten "wehtun".
Amira Mohamed Ali (Linke) forderte ebenfalls, dass keine Partei durch die Reform begünstigt werden dürfe. Die Reduzierung der Mandate müsse vielmehr von allen getragen werden. Eine "Entwertung von Zweitstimmen" werde ihre Fraktion nicht mitmachen.