Zivilschutz-Debatte im Bundestag : "Zeitenwende gilt auch für den Zivilschutz"
Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine forciert hierzulande auch die Debatte über die zivile Verteidigung in Deutschland.
Ein wenig klang es am Mittwoch im Bundestagsplenum bei den einleitenden Worten von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) zur Regierungsbefragung so, als wolle sie direkt zur Zivilschutzdebatte überleiten, die erst am Donnerstagabend auf der Tagesordnung der Abgeordneten stand: "Um der neuen Sicherheitslage gerecht zu werden, ist - neben der militärischen - die zivile Verteidigung absolut essentiell", konstatierte die Ressortchefin. Besonders Russland ziele darauf ab, mit Desinformation, Propaganda und Spionage bei den Verbündeten der Ukraine Zweifel und Zwietracht zu säen, warnte sie. Zudem setzten die "Feinde der Demokratie" verstärkt auf Cyberangriffe und Sabotage und nähmen neben staatliche Stellen und Unternehmen zunehmend auch kritische Infrastrukturen ins Visier.
Der Ausbau des Sirenennetzes gehört zu den Aufgaben des Bevölkerungsschutzes in Deutschland.
"Wir müssen", folgerte die Ministerin aus diesem Befund, "für die Zukunft widerstandsfähiger werden, was unsere zivilen Strukturen, Ressourcen und Dienste angeht. Wir müssen uns noch besser wappnen gegen Gefahren, die schon längst Gegenwart sind". Das bedeute, auch finanziell mehr in die zivile Verteidigung Deutschlands zu investieren.
Die zivile Verteidigung - für die im Gegensatz zum Katastrophenschutz der Bund zuständig ist und nicht die Länder - ist auch Thema des "Berichts zur Risikoanalyse für den Zivilschutz 2023", um den es dann am Donnerstagabend ging. Ging es in diesen jährlichen Berichten bisher darum, bestimmte Katastrophenszenarien wie Dürre, Flut und Pandemie mit Blick auf möglichen Verbesserungsbedarf durchzuspielen, richtet sich der Fokus nun dem neuen Bericht zufolge auf den Zivilschutz. "Aufgrund der sicherheitspolitischen Zeitenwende durch Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine werden zukünftig Szenarien mit Relevanz für die zivile Verteidigung, insbesondere für den Zivilschutz, Gegenstand der durchzuführenden Risikoanalysen sein", heißt es in der Vorlage.
Vier Katastrophenszenarien sollen noch erarbeitet werden
Danach sollen bis zum Ende dieser Legislaturperiode vier "Teilszenarien mit chemischem, biologischem, radiologischem und nuklearem Bezug (CBRN) erarbeitet und analysiert" werden, wobei sich das erste Teilszenario mit dem Einsatz chemischer Kampfstoffe befasst. Die Ergebnisse dieser Analyse werden laut Vorlage im Bericht 2024 an den Bundestag vorgestellt.
Risikoanalysen Bevölkerungsschutz
🔎 Seit 2012 untersucht das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) verschiedene Schadensszenarien und erstellt daraus Vorschläge zur Verbesserung des Bevölkerungsschutzes in Deutschland.
💥 Zu den bisher in den Risikoanalysen behandelten Szenarien gehören unter anderem die Schadensfälle Hochwasser, Pandemie, Wintersturm, Sturmflut, Freisetzung radioaktiver Stoffe, Freisetzung chemischer Stoffe, Dürre und Erdbeben.
Grundlage der vier Teilberichte ist ein "Gesamtszenario Zivile Verteidigung" unter Berücksichtigung der Erfahrungen und Erkenntnisse aus Russlands Krieg gegen die Ukraine, das vom Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) in Abstimmung mit dem Territorialen Führungskommando der Bundeswehr erarbeitet wurde. Es beschreibt den Angaben zufolge "einen hypothetischen Konfliktverlauf beginnend mit hybriden Bedrohungen über den Aufmarsch eines Aggressors an der Nato-Außengrenze bis hin zum Angriff des Aggressors auf das Bündnisgebiet und auch auf die Bundesrepublik selbst".
CDU/CSU kritisiert Zeitplan der Bundesregierung
In der Debatte betonte der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesinnenministerium, Johann Saathoff, (SPD), dass man angesichts der veränderten Bedrohungslage die Verteidigungsfähigkeit Deutschlands wieder in den Blick nehmen müsse. Das gelte für die militärische und die zivile Verteidigung gleichermaßen. Die Zivilbevölkerung müsse bei Eintritt eines Verteidigungsfalls vor drohenden Gefahren geschützt werden. Konkret bedeute dies, die für diesen Schutz notwendigen Voraussetzungen zu schaffen: Zukünftig seien daher "Szenarien mit Relevanz für die zivile Verteidigung" Gegenstand der Analysen.
Detlef Seif (CDU) sagte, diese Risikoanalysen seien mit Blick auf den russischen Angriffskrieg zu Recht beschlossen worden. Was die Bundesregierung indes als Zeitplan vorlege, werde "dem Ganzen nicht im Ansatz gerecht". So solle die erste der vier Analysen erst im Jahr 2025 vorgelegt und die zweite Analyse erst dieses Jahr begonnen werden, während die beiden anderen auf sich warten ließen. Hier müsse die Bundesregierung bei ihrer Planung "dringend nachbessern, um auch die Risiken im Zivilschutz angemessen zu bearbeiten".
Leon Eckert (Grüne) mahnte, die Zivilverteidigung als wichtige Aufgabe zur Sicherheit Deutschlands nicht nochmals "ein bisschen aus den Augen zu verlieren" wie in den zurückliegenden 20 Jahren. Auch die Bundesrepublik werde jeden Tag hybrid angegriffen. Angriffsmethoden wie Cyberangriffe, Desinformationskampagnen oder Sabotageakte richteten sich gegen Deutschland und seine Verbündeten. Da heute nicht vorhergesagt werden könne, welche Form von Angriffen noch gegen die Bundesrepublik gerichtet werden, sei es wichtig, sich auf alle möglichen Szenarien vorzubereiten.
Für Steffen Janich (AfD) zeigt der Krieg in der Ukraine, dass für eine moderne Kriegsführung heutzutage nicht teure Kampfpanzer und Bomberflugzeuge, sondern billige, in großer Zahl herstellbare und kaum abzuwehrende Kampfdrohnen das bevorzugte Mittel der Wahl seien. Dies müsse im künftigen Konzept zum Schutz von Leben, Gesundheit und Wohngebäuden der Zivilbevölkerung einbezogen werden.
Sandra Bubendorfer-Licht (FDP) beklagte, Deutschland habe sich jahrzehntelang einredet, "dass die Friedensdividende nach 1990 ewig währen würde". Mittlerweile habe die große Mehrheit des Hauses verstanden, dass dies ein Trugschluss gewesen sei. Daraus müssten nun Taten folgen: "Zeitenwende gilt auch für den Zivilschutz", fügte sie hinzu.