Anhörung zur Fachkräftezuwanderung : Zu lange Wartezeiten
Experten beklagen "Dysfunktionalität" der Migrationsverwaltung. Der Gesetzentwurf der Ampel wird als Schritt in die richtige Richtung gewertet.
Die Daten des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) alarmieren: Bis 2035 sinkt die Zahl verfügbarer Arbeitskräfte in Deutschland aus demografischen Gründen um sieben Millionen - schon jetzt gibt es laut IAB bundesweit 1,75 Millionen offene Stellen.
Inländische und innereuropäische Potenziale zu heben, reicht aus Sicht der Bundesregierung nicht aus. Sie will die Fachkräfteeinwanderung aus Drittstaaten erleichtern und hat einen entsprechenden Gesetzentwurf auf den Weg gebracht. In dem Entwurf ist unter anderem vorgesehen, dass ausländische Fachkräfte künftig jede qualifizierte Beschäftigung ausüben können. Als von dem Gesetz erfasste Fachkraft gilt ein Zuwanderer auch, wenn er einen in seinem Herkunftsland anerkannten zweijährigen Berufsabschluss und mindestens zwei Jahre Berufserfahrung hat - sofern er einen deutschen Arbeitsvertrag hat. Wer keinen Arbeitsvertrag hat, soll über ein Punktesystem eine "Chancenkarte" zur Einreise und Jobsuche erhalten können.
Experten sind nicht sonderlich optimistisch
Bei einer Anhörung des Innenausschusses wurde das Ampel-Vorhaben vergangene Woche als ein Schritt in die richtige Richtung bewertet. Übermäßig optimistisch gaben sich die geladenen Sachverständigen aber nicht. An den schon heute zu lange dauernden Verwaltungsverfahren bei den deutschen Auslandsvertretungen wie auch den Ausländerbehörden und Anerkennungsstellen im Inland ändert sich durch die Neuregelung ihrer Ansicht nach nichts. Mehr Verfahren bei gleichem Personal könnten stattdessen sogar zu noch mehr Zeitverzug führen.
Wesentliches Hemmnis für die gezielte Erwerbsmigration seien die komplizierten und langwierigen Verwaltungsverfahren, konstatierte Nicolas Keller von der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitsgeberverbände (BDA). Schon jetzt sei es der Migrationsverwaltung nicht möglich, genügend Anträge zu bearbeiten, damit alle Menschen mit Arbeitsvertrag nach Deutschland kommen können, sagte er.
Schlankere Verwaltungsverfahren gefordert
Die Regelungen seien nicht weitgehend genug, kritisierte Engelhard Mazanke vom Deutschen Städtetag. "Wir brauchen schlankere Verwaltungsverfahren, längere Aufenthaltstitel, großzügigeren Familiennachzug und Fiktionsbescheinigungen", forderte er. Es gehe darum, etwa 100.000 Menschen pro Jahr in das Verwaltungsverfahren aufzunehmen; dabei sei man "jetzt schon am Rande der Dysfunktionalität". In den Inlandsbehörden gebe es Wartezeiten von drei bis vier Monaten - in den Auslandsvertretungen von "deutlich über einem Jahr", beklagte Mazanke.
Aus Sicht des Europarechtlers Roman Lehner von Universität Göttingen erweist sich im Kampf um die "besten Köpfe" das Visumverfahren als "echte Belastung für den Zuwanderungsstandort Deutschland". Die ernstzunehmenden Vollzugsmängel müssten dringend angegangen werden, mahnte Lehner. Der Gesetzgeber allein könne keine Fachkräfte nach Deutschland lotsen. Jedes noch so "clevere Erwerbsmigrationsregime" sei am Ende von nur geringem Wert, "wenn die effektive Vollziehung der materiellen Regelungen nicht gewährleistet ist".
Die auf Ausländerbeschäftigungsrecht spezialisierte Rechtsanwältin Bettina Offer kam zu der Einschätzung, dass die Verwaltung die Mengen an benötigter Zuwanderung nicht abbilden könne. Was das Gesetz an Verwaltungsvereinfachungen enthält, sei "hinten und vorne nicht ausreichend", urteilte sie. Marius Tollenaere, Rechtsanwalt für Migrations- und Staatsangehörigkeitsrecht, hält die Migrationsverwaltung für nicht in der Lage, "mehr Erteilungen hinzubekommen". Sie sei schon seit mehreren Jahren in einer Dauerkrise, sagte er. Gebraucht werde wesentlich mehr Personal, das gut geschult, gut eingruppiert und mit Karriereaussichten ausgestattet sein müsse.
Warnung vor Doppelstrukturen
Der Schaffung einer zentralen Einwanderungsbehörde stehe er kritisch gegenüber, sagte Klaus Ritgen vom Deutschen Landkreistag und verwies auf die damit verbundene Gefahr, "ineffiziente Doppelstrukturen" zu schaffen. Schließlich brauche es für die Zuwanderer "Ansprechpartner vor Ort".
Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) wandte sich gegen die Arbeitgeberforderung nach Ausweitung der sogenannten Westbalkanregelung, die Menschen vom Westbalkan für jede Beschäftigung einen Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt eröffnet. Während BDA-Vertreter Keller befand, dass dies "in der Praxis gut funktioniert", sagte Gerd Wiegel vom DGB, die über die Westbalkanregelung eingereisten Arbeitskräfte seien zumeist in Bereichen tätig, die durch schlechte Arbeitsbedingungen und schlechte Entlohnung gekennzeichnet seien. Eingewanderte aus Drittstaaten sollten grundsätzlich zu tarifvertraglichen Bedingungen beschäftigt werden.
Tara Käsmeier vom Paritätischen Gesamtverband plädierte dafür, Übergänge von der humanitären Einwanderung zur Erwerbsmigration zu ermöglichen. Beide Bereiche seien zwar separat zu betrachten und zu regeln. Denjenigen, die zunächst eingereist sind, um Schutz zu finden, sollte es aber möglich sein, "unter bestimmten Voraussetzungen auch in die Erwerbsmigration zu wechseln, wenn sie die dort genannten Bedingungen erfüllen", sagte Käsmeier.
IAB-Vertreter Herbert Brücker nannte die Erfahrungssäule im Gesetz "sinnvoll". So könne Restriktionen begegnet werden, die es bei der Anerkennung beruflicher Abschlüsse gebe. Kritik übte er an der hohen Mindestverdienstgrenze. Für den Zuzug müssten die Einstiegsverdienste und nicht die Durchschnittsverdienste maßgeblich sein, forderte Brücker.
Die Bundesagentur für Arbeit (BA) findet die erleichterte Einwanderung von Personen mit Berufserfahrung ohne formale Anerkennung ihres ausländischen Abschlusses arbeitsmarktpolitisch begrüßenswert. Es handle sich um einen der innovativsten Teile der Neuregelungen, befand BA-Vertreter Steffen Sottung. Damit werde erstmals in der Einwanderungsgesetzgebung honoriert, "dass Personen in ihrer beruflichen Entwicklung im Ausland auch auf Grundlage von Berufserfahrung eine gute Qualifikation erreichen, die für den deutschen Arbeitsmarkt nachgefragt werden kann".