Werbeverbot für Schwangerschaftsabbrüche : Der Paragraf 219a zwischen den Fronten
Die Koalition will den umstrittenen Paragrafen streichen, die Union schlägt eine Modifizierung vor und Die Linke fordert eine Entkriminalisierung.
Das sogenannte Werbeverbot für Schwangerschaftsabbrüche in Paragraf 219a Strafgesetzbuch (StGB) steht nach Jahren der Diskussion vor der Aufhebung. Mit einem Gesetzentwurf will die Bundesregierung die Norm streichen, die Werbung für Schwangerschaftsabbrüche soll im Heilmittelwerbegesetz geregelt werden. Urteile auf Grundlage von Paragraf 219a sollen zudem aufgehoben werden.
Während der ersten Lesung des Entwurfes vergangenen Freitag begrüßten Rednerinnen und Redner der Koalition das Vorhaben teils euphorisch. Zudem kündigten sie weitere Schritte mit Blick auf die strafrechtliche Regelung des Schwangerschaftsabbruchs in Paragraf 218 StGB an. Union und AfD stellten sich gegen das Vorhaben.
Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) nannte den Paragrafen 219a eine Ungerechtigkeit: "Im Internet erlauben wir jedem Verschwörungstheoretiker, jeder Fake-News-Schleuder jeden Unsinn über Schwangerschaftsabbrüche zu verbreiten, aber qualifizierten Ärztinnen und Ärzte als Hüter der Wissenschaft, der Fakten, der Sachlichkeit, der Aufklärung, denen verbieten, wir sachliche Informationen bereitzustellen. Das ist absurd." Scharf widersprach er der Kritik, dass mit der Aufhebung des Paragrafen das vom Bundesverfassungsgericht vorgegebene Lebensschutzkonzept in Frage gestellt werde, das sich unter anderem in der Beratungslösung ausdrückt: "Es ist eine juristische, politische und historische Wahrheit, dass Paragraf 218 und Paragraf 219a nicht, aber auch gar nichts miteinander zu tun haben." Die Rehabilitierung der Verurteilten habe sich die Koalition nicht leicht gemacht, da es sich um einen Eingriff in die Gewaltenteilung handle. Man wolle aber nicht, dass sich die Betroffenen auf den "Gnadenweg" zum Bundespräsidenten begeben müssten, sagte der Justizminister.
"Dies ist der Moment, in dem uns Frauen ein Stück weit unser Körper zurückgegeben wird. Es ist ein schöner Moment", freute sich Carmen Wegge von der SPD. Sie verwies darauf, dass der Vorgänger von 219a, der ehemalige 220, ein "Paragraf des NS-Unrechtsregimes" gewesen sei. Ziel der Regelung sei es gewesen, Frauen durch einen Mangel an Information den Schwangerschaftsabbruch zu erschweren. "Es ist erschreckend, dass es 89 Jahre gedauert hat, bis wir diesen Missstand beheben können", sagte die Sozialdemokratin.
Für die Ampel geht es um ein Ende der Bevormundung
Ebenfalls euphorisch äußerte sich für die Grünen-Fraktion Canan Bayram. "Das ist ein Meilenstein für das Informationsrecht, für die reproduktive Selbstbestimmung und für die Gesundheit von Frauen", sagte die Abgeordnete. Die "Fortschrittskoalition" mache Schluss mit der "unsachlichen Kriminalpolitik der Union und Schluss mit der Bevormundung der Frauen". Bayram kündigte an, dass die Koalition die medizinische Ausbildung um den Schwangerschaftsabbruch ergänzen und die Kostenübernahme regeln wolle.
Unterstützung für die Pläne - aber auch Druck, schneller zu handeln - kam von der Linksfraktion. Heidi Reichinnek forderte, auch den Paragraf 218 abzuschaffen und den Schwangerschaftsabbruch zu entkriminalisieren. Die von der Koalition angekündigte Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung solle nicht das Ob, sondern das Wie prüfen, sagte Reichinnek. Diese und andere Forderungen hatte die Fraktion auch in einem Antrag zusammengefasst.
Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Bündnis 90/Die Grünen) sprach sich ebenfalls dafür aus, den Schwangerschaftsabbruch außerhalb des Strafgesetzbuches zu regeln. Sie verwies zudem auf die Ziele der angekündigten Kommission: "So wie sich Frauen auf medizinische Leistungen verlassen dürfen, wenn sie sich für ein Kind entschieden, sollen sie künftig auf medizinische Leistungen vertrauen können, wenn sie sich gegen ein Kind entscheiden."
Union verweist auf die Schutzpflicht für das Ungeborene
Union und AfD im Bundestag stellen sich hingegen gegen die Aufhebung. Man sei bereit für gezielte Verbesserung, eine Streichung des Paragrafen lehne man aber ab, sagte Nina Warken für die Unionsfraktion. Die Fraktion hatte dazu einen Antrag vorgelegt, in dem vorgeschlagen wird, den Paragrafen im Sinne der Ärzte zu modifizieren. Durch die Aufhebung von 219a werde aber mehr als das ermöglicht, kritisierte Warken, nämlich Werbung in Sozialen Medien, Anzeigen und Plakate, die sich zwar "nicht reißerisch, aber aktiv an die Zielgruppe" richten könnten. Das sei mit der verfassungsrechtlichen gebotenen Schutzplicht für das Ungeborene nicht vereinbar. Denn: Ein Schwangerschaftsabbruch sei keine normale ärztliche Heilbehandlung. "Er beendet einmaliges, individuelles menschliches Leben - und darf nicht verharmlost werden", so die Abgeordnete.
Thomas Seitz (AfD) widersprach der Argumentation der Bundesregierung, dass es ein Informationsdefizit gebe. Die Koalition wolle tatsächlich "das Verbot der Abtreibung in Frage stellen". Dabei sei das kein normaler medizinischer Eingriff. Zur sexuellen Freiheit gehöre auch, sich eigenverantwortlich vor einer ungewollten Schwangerschaft zu schützen. Aus Gesprächen mit Schülerinnen und Schülern habe er aber erfahren, dass für viele von ihnen "Abtreibung nur nachgelagerte Empfängnisverhütung und eine Selbstverständlichkeit" sei, behauptete der Abgeordnete. Die Gesellschaft dürfte Abtreibung nicht zu einfach machen, sagte Seitz und forderte eine "Willkommenskultur für Kinder".
An diesem Mittwoch befasst sich der Rechtsausschuss mit dem Vorhaben. Die beiden Anträge und der Gesetzentwurf sind zudem Thema einer öffentlichen Anhörung.